Ein Hoch auf die Digitalisierung ...

Gute Stimmung allenthalben bei der Nationalen Konferenz Güterverkehr und Logistik in München. Die anwesenden Politiker - ausnahmslos von der CSU - haben bereits in den Wahlkampfmodus geschaltet. Man marschiert ob der jüngsten Wahlergebnisse mit geschwellter Brust. Optimistisch gibt sich auch die Branche. Gäbe es "kleine Probleme" wie den Fahrermangel, Sozialdumping oder Wettbewerbsverzerrung nicht, man könnte es vor lauter guter Stimmung kaum aushalten. Immerhin glaubt niemand, dass es dieses Mal nach dem Hoch zum tiefen Tal kommt wie 2008. Alarmiert durch die jüngsten Hackerangriffe ermahnte der bayerische Verkehrsminister Joachim Herrmann (CSU), dass man solches Tun als durchaus ernste Gefahr wahrnehmen muss. "Datenschutz darf nicht immer nur negativ kritisiert werden", so Herrmann. "Wir müssen das Thema Cybersicherheit ernst nehmen und etwas tun." Konkrete Maßnahmen blieb der Staatsminister schuldig. Stattdessen verwies er auf die individuellen Pflichten, sich und sein Unternehmen zu schützen. Dobrindt in der Endlosschleife Als ein gut gelaunter Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) ans Mikro trat, erwartete wohl niemand echte Neuigkeiten. Außer einem Hinweis, dass die Kommission zur Planungsbeschleunigung jetzt endlich konkret wurde, wiederholte Dobrindt einen seiner Lieblingssätze: "Wer nicht digitalisiert, der verliert!" Dem Thema Fahrermangel begegnete der Minister durch seinen Hinweis: "Durch Förderleistungen unter anderem bei der Aus- und Weiterbildung tragen wir dazu bei, dass Gelder an das Gewerbe zurückfließen." Dazu gab es im Publikum durchaus kritische Stimmen. Hätte sich Dobrindt beim Thema "Kosten für die Weiterbildung zur Erlangung der Schlüsselzahl 95 sind vom Fahrer zu tragen" ebenso vehement gegen die EU gestellt wie bei den Plänen zur Pkw-Maut, würde die Weiterbildung nicht so vor sich hindümpeln ... Auch seine Ausführungen zum Thema Autobahngesellschaft gingen eher in Richtung "quick and dirty". "Die Länder sind meinen Bitten, Planungskapazitäten zu schaffen, nicht nachgekommen", so der Minister. "Also habe ich reagiert. Man hätte es natürlich schöner machen können, aber das ist so eine epochale Wandlung. Da kann ich über den einen oder anderen Schönheitsfehler hinwegsehen. Und wenn wir es jetzt nicht gemacht hätten, hätte es wieder Jahre gedauert." Klingt fast so, als nehme Dobrindt an, dass den nächsten Verkehrsminister eine andere Partei stellt. Immerhin, und das dürfte Unternehmen zufriedenstellen, die nicht oder nicht ausschließlich auf den Straßengüterverkehr setzen, stellte Dobrindt für "demnächst" seinen Masterplan Schiene in Aussicht. Es ist zu vermuten, dass der noch vor September -Wahltermin ist der 24. September 2017 - veröffentlicht wird ... Als gute Idee muss man die Impulsvorträge der Fachkonferenz werten. Für die Teilnehmer ein spannendes Feld zwischen der alles bestimmenden Digitalisierung mit vielen Start-ups und der "Old Economy", die wohl nicht so old fashioned ist, wie man oft unterstellt. Ein beredtes Zeugnis davon legten Ferry Heilemann, CEO von FreightHub, und Markus Sontheimer von der Schenker AG ab. Heilemann präsentierte sein Unternehmen als innovativ und abseits ausgetretener Pfade unterwegs. Mit Fokus auf den Seeverkehr erläuterte er die Ideen einer digitalen Plattform. "Wir präsentieren uns den Kunden via Telefon und Screensharing: Das geht schnell, ist eingängig und bedarf keiner großen Reisen." Nach der Intention befragt, warum er sich ausgerechnet in einem bereits gut besetzten Feld versucht, meinte der FreightHub-Mitbegründer: "Selbst von den großen Playern auf dem Markt, Schenker, DHL, Kühne + Nagel und wie sie alle heißen, hat weltweit gesehen keiner über zwei Prozent Marktanteil. Das sind gute Chancen für neue Marktteilnehmer." Als große Vorteile seiner digitalen Spedition, wie Heilemann FreightHub nennt, bezeichnete er die Echtzeitquotierung, die Möglichkeit der sofortigen Buchung sowie die volle Kontrolle über die komplette Supply Chain. "Wer bei uns online bucht, erhält in Echtzeit Quotierungen mit transparenten Preisen", so der CEO. Damit liegt FreightHub voll im Trend, als "asset-freie Spedition", wie man sich selbst bezeichnet. Man konnte sich allerdings des Eindrucks nicht erwehren, dass man die Ideen alle schon mal irgendwo gehört hat. Und spätestens der Vortrag von Markus Sontheimer, CIO und CDO bei Schenker, bekräftigte den Eindruck. "Auch wir können digitales Pricing, nicht nur die neuen Start-ups. Unser Handicap ist nur, dass wir offensichtlich kein so gutes Marketing machen", gab sich Sontheimer selbstkritisch wie auch angriffslustig. Der Schenker-Vorstand brachte das Thema Digitalisierung ein wenig auf den Boden der Tatsachen zurück: "Es wird auch in 20 Jahren noch Lkw-Fahrer geben - davon bin ich überzeugt. Ich bin aber auch sicher, dass es dann autonom fahrende Lkw geben wird." Als Zeithorizont nannte der Logistikexperte 2025. "Aber bis es so weit ist, müssen wir die OEM in die Pflicht nehmen. Es nützt nichts, wenn ein MAN mit einem MAN und ein Mercedes mit einem Mercedes 'spricht'! Wir brauchen gemischte Platoons als ersten Schritt zum autonomen Fahren." Mit Blick auf die Seefracht prophezeite Sontheimer, dass künftig nur noch wenige Reeder-Allianzen das Geschehen bestimmen werden. Und der Schenker-Vorstand ist sicher, dass die Preise, bei einer ständigen Volatilität, am Ende des Tages steigen werden. An die anwesenden Transport- und Logistik-Unternehmen appellierte Sontheimer, flexibel zu agieren. "Die Preise auf dem Spotmarkt sind nur noch wenige Tage oder wenige Stunden gültig. Darauf muss man sich einstellen." Und weiter: "Wie finde ich als Unternehmen im Internet statt, wie finde ich in den Social-Media-Kanälen statt? Darüber müssen Sie sich Gedanken machen." Sontheimer unterstrich aber auch die Notwendigkeit, bei Logistikprozessen anfallende Daten zu bekommen und zu beherrschen. In diesem Punkt seien Start-ups oft schneller und besser. Aber man hole auf. "Wir haben aktuell 15 Mathematiker und Physiker im Unternehmen, die dafür zuständig sind", so der CIO. "Und Sie können sich nicht vorstellen, was man aus den Daten alles herausbekommt - Preisverläufe, Menge und vieles mehr. Wir können heute schon mit über 90-prozentiger Sicherheit unsere Volumina planen. Und schon jetzt haben wir 30.000 Carrier auf unserer Plattform 'Drive4Schenker' - und täglich werden es mehr." Patriarchisches Management bremst Dass man am Thema Digitalisierung nicht mehr vorbeikommt, war wohl allen Teilnehmern der Logistik-Konferenz klar. Der Weg dahin ist dennoch für viele ein undurchsichtiger. Wie es gehen könnte, dazu gaben Thomas Eisenbarth, Leiter Business Innovation Daimler, und Professor Ulrich Weinberg von der HPI School of Design Thinking ein paar gute Anregungen. Was zunächst mal wie Allgemeinplätze wirkt, zeigt sich bei näherer Betrachtung als durchaus revolutionär. "Alles fängt mit der Kultur an", so Eisenbarth. "Wenn Sie ein partriarchaisches Management haben, bekommen Sie keine Ideen rein. Offene Strukturen und der Leitsatz 'Ich weiß auch nicht, wie's geht, und ich weiß, dass es schwer ist - aber lass es uns angehen' sind eine wichtige Maxime." Unterstützung bekam Eisenbarth von Weinberg. An seiner Uni geht man längst weg von Unterricht im Hörsaal. Kleine Gruppen von nicht mehr als acht Studierenden, besser noch sechs - vor allem aber interdisziplinär. Das sei das Geheimnis guten Lernens. Team-of-Team-Modus nennt es Weinberg, im variablen Raum. Wobei auch das wörtlich zu nehmen ist: kein Computer, kein Schreibtisch. Stattdessen Bar-Hocker, Flipcharts und Kreativität. Spätestens bei diesen Ideen wurde den meisten klar, dass die Transport- und Logistikbranche vor einer Kulturrevolution steht. Und einmal mehr gilt: Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Verkehrspolitik www.verkehrsrundschau.de/dossiers Podiumsdiskussion bei der nationalen Konferenz Um den heißen Brei ... Die Aufgabe war eine undankbare: eine Podiumsdiskussion ab 14.00 Uhr - wenn die meisten Teilnehmer im "Modus Suppenkoma" laufen. Dennoch hätte Moderator Jürgen Pfeiffer mehr draus machen können, wenn er sich vorher kundig gemacht und nicht nur Allgemeinplätze zum Thema Pkw parat gehabt hätte. Ein paar Ergebnisse gab's letztlich trotzdem: Einmal mehr forderte Markus Sontheimer (Schenker) endlich einen gemeinsamen Datenstandard - prophezeite aber auch, dass künftig Disponenten durch "die Maschine" ersetzt werden, so wie es aktuell schon den Investmentbankern geht. Hansjörg Durz (CDU/CSU) zeigte sich beim Thema Intermodalverkehr als Politiker ziemlich hilflos."Das kann die öffentliche Hand nicht organisieren. Das muss aus der Wirtschaft kommen." Und als völlig ungelöstes Problem zeigt sich bei der Diskussion einmal mehr das Thema City-Logistik."Da führt man mit jeder Stadt eine andere Diskussion", brachte Dieter Janecek (Die Grünen) das Durcheinander auf den Punkt. gg