Die Zeitbombe tickt

"Wenn Fahrer sechsstellig verdienen", titulierte das Handelsblatt am 7. Februar 2012. Australische Rohstoffkonzerne suchten während des Rohstoff-Booms in Down Under händeringend nach neuen Mitarbeitern und zahlten - so das Handelsblatt damals - unfassbar hohe Gehälter: darunter bis zu 200.000 Australische Dollar für Lastwagenfahrer. Die jüngst exponentiell ansteigenden Löhne von Fahrern und anderen Logistikfachkräften sind auch hier ein Resultat des Marktgesetzes von Angebot und Nachfrage - jedoch: Höhere Löhne sind Folge, nicht aber Lösung für den Fachkräftemangel. Worum geht es? Ein Blick auf die Zahlen verdeutlicht: Unabhängig davon, ob die Bundeswehr im letzten Jahr vor dem Ende der Wehrpflicht 2011 noch 17.800 Personen zu Berufskraftfahrern ausgebildet hat, gibt es dank der Berufskraftfahrer-Qualifikation eine statistische Datenlage, die ziemlich genau die Anzahl der dem deutschen Transportmarkt zur Verfügung stehenden Berufskraftfahrer beziffert: KBA-Bestand Fahrerkarten zum 1. Januar 2020: 1.434.313. Demgegenüber geht das Bundesamt für Güterverkehr von 572.248 sozialversicherungspflichtig beschäftigten Berufskraftfahrern aus. Pro Jahr 40.000 Lkw-Fahrer weniger Die demografische Entwicklung ist seit Jahren für alle deutlich sichtbar: Auf Basis der Zahlen des Kraftfahrtbundesamtes gehören 966.252 Fahrer/-innen und damit 67 Prozent aller Fahrer/-innen der Altersgruppe 45 Jahre und älter an. Mit einem durchschnittlichen Renteneintrittsalter von 60 Jahren gehen (linear) jährlich 64.000 Fahrern/Fahrerinnen dem Markt verloren. Die Industrie- und Handelskammern geben für 2019 insgesamt 22.034 Prüfungsteilnehmer zur (beschleunigten) Grundqualifikation an. Hinzu kommen noch 1833 abgeschlossene Berufsausbildungen zum/zur Kraftfahrer/-in. Das Delta liegt somit bei 40.000 Fahrern/Fahrerinnen pro Jahr, die dem Arbeitsmarkt verloren gehen. Weniger zur Vermeidung einer gerechten Lohnentwicklung als zur Vermeidung von Logistikproblemen muss mit allen verfügbaren Instrumenten versucht werden, diese Entwicklung zu stoppen oder zumindest abzumildern. Dabei wirken Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität des Berufes sowohl gegen den Bestandsrückgang als auch für einen erhöhten Zufluss. Das Thema gleicht einer tickenden Zeitbombe und die Entwicklung kommt alles andere als überraschend. Auf eine kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur potenziellen Gefahr eines sich verstärkenden Mangels an Berufskraftfahrerinnen und Berufskraftfahrern antwortete die Bundesregierung bereits 2013: "Ein Mangel an einer ausreichenden Zahl von Berufskraftfahrern/Berufskraftfahrerinnen zeichnet sich nach Information insbesondere auch der betroffenen Unternehmen ab. Dieser Umstand dürfte vor allen Dingen durch die Arbeitsbedingungen (unter anderem geringes Einkommen und Schichtarbeit) begründet sein." Was sich ändern muss 2018 hat eine Verbändeinitiative unter Beteiligung des BWVL in einem "Fünf-Punkte-Plan gegen Logistikengpässe und Fahrermangel im Straßengüterverkehr" der Bundesregierung entsprechende Empfehlungen an die Hand gegeben (siehe Kasten rechts). Diese Handlungsvorschläge können eins zu eins an die neue Regierung weitergereicht werden. Lösungsansätze müssen ursachenorientiert angegangen werden. Das Image steht hier ganz oben auf der Aufgabenliste als Folge auch (zum Teil) schlechter Arbeitsbedingungen, über die die Medien vermehrt berichten. Diese haben sich in den letzten Jahren nicht wirklich verbessert. Es gibt immer noch zu wenig Parkplätze, und deren sanitäre Anlagen sind oft nicht gerade einladend. Zu begrüßen ist, dass die Bundesautobahn-Gesellschaft hier neue Wege beschreiten will. Auch an einigen Rampen ist das Miteinander auf beiden Seiten verbesserungsbedürftig. Das Prädikat "nicht empfehlenswert" trifft zum Teil auch auf das Angebot sanitärer Einrichtungen zu - manchmal auch erst nach dem Besuch einzelner Fahrer. Pauschalurteile sind jedoch nicht angebracht und treffen im Zweifel die Falschen. Wenn die Entwicklung und Aufrechterhaltung der erforderlichen Infrastruktur von staatlicher Seite zu lange dauert, sollten die Lösungen auch durch technische Veränderungen an den Fahrerhäusern erlaubt werden, um eine würdige Kombination von beruflicher Arbeitsumgebung und privatem Lebensraum zu gewährleisten. Der Fahrermangel trifft den Werkverkehr von Industrie und Handel, Frachtführer, Speditionen und Verlader gleichermaßen. Lieferverzögerungen können zu Planungs- und Produktionsschwierigkeiten oder leeren Regalen führen. Eine Zuführung ausländischer Fahrer sollte stärker gefördert werden. Dabei ist jedoch aus Sicht des BWVL eine Gesamtbetrachtung der europäischen Arbeitsmärkte ratsam. Gemeint sind die unterschiedlichen Arbeitsentgeltstrukturen in manchen Niedriglohnländern - trotz Mindestlohn. Solange dort der Spesenanteil den Hauptbestandteil der Nettolöhne ausmacht, wird ein Zusammenwachsen europäischer Dienstleistungsangebote auf fairem Niveau eher behindert und eine nachhaltige Lösung des Fahrerfachkräftemangels eher verschärft. Nicht zuletzt zeigt sich der Verkehr auch als Spiegelbild der Gesellschaft. Wenn sich Fahrer/-innen für jeden erkennbar dauerhaft in einer durch Aggression, Stress, Hektik und Egoismus geprägten Umgebung bewegen, fällt es schwer, in der Öffentlichkeit ein positives Image mit dem Berufsalltag zu verbinden. Logistik muss in die Schulen Dass es im Verkehr auch ein anderes Miteinander geben kann, zeigt ein Blick in die Schweiz oder in die Niederlande, wo vom Chauffeur die Rede ist - und wo der durch Blinker angezeigte Fahrbahnwechsel des Lkw vom Pkw nicht als Aufforderung gedeutet wird, noch schnell überholen zu müssen. Es bleibt zu hoffen, dass durch die breite Thematisierung der Lieferketten in den Medien die Logistik und damit auch der Lkw-Transport und der/die Lkw-Fahrer/-in einer wertschätzenderen Wahrnehmung zugeführt wird. Last, but not least: Warum nicht das Thema Logistik, das doch so wichtig für das Funktionieren unserer Gesellschaft und Wirtschaft ist, stärker in den Unterricht an den die Schulen bringen. Deutschland ist Logistikweltmeister - wir sollten unseren Kindern davon etwas mitgeben. Fahrer 2019: traurige Fakten Anzahl Fahrerkarten (FK): 1.434.313FK Lebensalter > 45 Jahre: 966.252 Ø Renteneintrittsalter: 60 Jahre BKF-Prüfungen (IHK): 22.034 BKF-Berufsabschlüsse: 1.833 Jährl. Fehlmengen (linear): ca. 40.000 ImpressumBWVL-Forum, eine Information des Bundesverbandes Wirtschaft, Verkehr und Logistik e.V., Lengsdorfer Hauptstraße 75, 53127 Bonn, Telefon 0228/92535-0, Fax 0228/9253545, www.bwvl.de, E-Mail: Info@bwvl.de, Schriftleitung: Markus Olligschläger (verantwortlich), Verlag: Springer Fachmedien München GmbH, Aschauer Straße 30, 81549 München

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