Die Zehn-Milliarden-Frage

Nach der Ankündigung zusätzlicher Investitionen durch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) haben die Spekulationen eingesetzt, welche Ressorts von den avisierten zehn Milliarden Euro profitieren. Im Verkehrsministerium erwartet man, dass die Hälfte des kleinen Konjunkturprogramms in die marode Verkehrsinfrastruktur fließt. Der Optimismus speist sich aus zahlreichen Erklärungen von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), höhere Investitionen seien notwendig. Die Bund-Länder-Kommission unter Vorsitz von Ex- Bundesverkehrsminister Kurt Bodewig (SPD) war einstimmig zu dem Ergebnis gekommen, dass dem Staat pro Jahr rund 7,2 Milliarden Euro zum Erhalt der Verkehrswege fehlen. Anlässlich der neuen Steuerschätzung hatte Schäuble in der vergangenen Woche gesagt, die Regierung wolle für die Jahre 2016 bis 2018 insgesamt zehn Milliarden Euro zusätzlich für Investitionen mobilisieren. "Ich kündige selten etwas an, wenn ich nicht zuversichtlich bin, dass ich es mache", unterstrich der CDU-Politiker, blieb aber ansonsten wortkarg. Neue Schulden will die Regierung gleichwohl nicht aufnehmen. Zur konkreten Verwendung der Mittel wollte sich Schäubles Sprecher Martin Jäger nicht äußern. "Wir wollen jetzt keine vorschnellen Festlegungen treffen." Er bekräftigte nur, die Regierung setze auf den Effekt, dass öffentliche Investitionen, "wenn sie klug platziert werden", erhebliche private Folgeinvestitionen auslösen. Die Rede ist von 50 Milliarden Euro. Nach Informationen der Verkehrs-Rundschau soll die Aufteilung der Mittel erst mit der Aufstellung des Haushalts 2016 im kommenden Frühjahr beschlossen werden. Versichert wurde im Finanzministerium, die zehn Milliarden Euro würden zusätzlich bereitgestellt, keinesfalls würden bereits zugesagte Mittel eingerechnet. Das Ringen um die Milliarden Schäubles mit Merkel abgesprochene Geldspritze war kaum bekannt geworden, da meldeten bereits verschiedene Ressorts ihre Ansprüche an. "Das sind zu allererst Energieeffizienz und Gebäudesanierung", betonte Wirtschaftsminister und SPD-Chef Sigmar Gabriel. Das Verteidigungsministerium hielt sich bedeckt, doch gilt als sicher, dass erhebliche Mittel in die unzureichend ausgerüstete Bundeswehr fließen werden. Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) formulierte zurückhaltend, " mit den Zusatzmitteln, die wir für die Infrastruktur bekommen, werden wir unsere Netze weiter modernisieren und noch leistungsfähiger machen." Parteifreund Ulrich Lange vereinnahmte sogleich die komplette Investitionssumme für das Verkehrsressort. "Von den zehn Milliarden Euro, die ab 2016 zusätzlich für Investitionen in die Infrastruktur zur Verfügung stehen sollen, müssen wir vor allem Straßen, Schienenwege und Brücken ausbauen und sanieren." Der Vorsitzende der Fraktion Bündnis90/ Die Grünen, Anton Hofreiter, bezeichnet die zehn Milliarden Euro als "lächerlich". Schäuble verschweige zudem, wo das Geld herkommen solle. Der SPD-Finanzexperte Joachim Poß sprach von einem Kurswechsel Schäubles, der allerdings zu spät komme. In der Wirtschaft kamen die Mehrausgaben gut an. "Es ist richtig, dass die Politik den Spielraum nutzen will, um Investitionen zu stärken, sagte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Ulrich Grillo. Auch der Arbeitgeberverband BDA und der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) sprachen von einem positiven Signal. Der Deutsche Städtetag mahnte, die Regierung dürfe "nicht nur die Infrastruktur des Bundes in den Blick nehmen." In den Kommunen gebe es einen Investitionsrückstand von 118 Milliarden Euro. Verwendungszwecke Noch ist völlig offen, wie die zehn Milliarden Euro verwendet werden. Die Notwendigkeit, die Mittel für die Verkehrsinvestitionen signifikant zu erhöhen, ist in der Koalition unbestritten. Union und SPD waren sich auf ihrem Gipfel Anfang Oktober aber auch einig, dass vor allem die Digitalwirtschaft einen Schub braucht, um im internationalen Wettbewerb zu bestehen. Auch Anreize für Immobilienbesitzer sind denkbar, um ihre Häuser zum Energiesparen besser zu dämmen. Die Regierung muss bald ein Aktionsprogramm auflegen, weil sonst die ehrgeizigen Klimaschutzziele bis 2020 verfehlt werden. jök