Die Automobiler am Scheideweg

30 Jahre lange war Thomas Duvenbeck als geschäftsführender Gesellschafter an der Spitze der Unternehmensgruppe Duvenbeck in Bocholt gestanden. Wenige Monate vor seinem 56. Geburtstag hat er nun 70 Prozent seiner Anteile an Finanzinvestor Waterland verkauft. Paukenschlag in der Branche Mit 30 Prozent Anteil bleibt Duvenbeck zwar Minderheitsgesellschafter, wird sich aber künftig auf seine Rolle als Beiratsvorsitzender und die strategische Weiterentwicklung des Unternehmens fokussieren. In der Automobillogistik ist das ein Paukenschlag: Denn mit 6000 Mitarbeitern, 1500 eigenen Lkw und rund 700 Millionen Euro Jahresumsatz zählt die Unternehmensgruppe zu den führenden Anbietern von Transport- und Logistiklösungen im Automotive-Markt - einem Markt, der momentan schwer gebeutelt ist. Kein Wunder, dass aktuell mächtig über Duvenbecks Mehrheitsverkauf, vor allem an einen Finanzinvestor, spekuliert wird, auch wenn sich dazu keiner öffentlich äußern will. Die bange Frage vieler ist: Musste oder wollte Duvenbeck angesichts der Malaise in der Automobilindustrie verkaufen? "Natürlich haben wir im Jahr 2020 und 2021 profitabel gearbeitet", betont Duvenbeck im Gespräch, ohne konkrete Zahlen zu nennen (Interview unter www.verkehrsrundschau. de). Überhaupt habe seine Entscheidung ausschließlich mit der Nachfolgregelung seines Unternehmens zu tun. "Mit 55 Jahren bin ich in einem Alter, in dem man sich Gedanken machen muss", erläutert er, "wie man für ein solches Unternehmen verantwortungsbewusst eine gute Lösung für die Zukunft findet. Und da meine Kinder dafür nicht infrage kommen, das auch nicht wollten, ist also dieser Verkauf eine proaktive Sicherung unserer Nachfolgeregelung." Fakt ist auch: Die Automobilindustrie kämpft derzeit an vielen Fronten. Herausforderungen sind nach wie vor die Corona-Pandemie, das hochinfektiöse Omikron - mit den entsprechenden Friktionen auf personelle Ressourcen und Kapazitäten. Schlimmer als Corona wiegt nur noch der Halbleitermangel, der seit mehr als einem Jahr die gesamte Branche in Atem hält und sich mittlerweile zu einer echten Existenzkrise des einen oder anderen Dienstleisters auszuwachsen droht. "Fahrzeuglogistiker stehen am Abgrund", warnte im Oktober etwa der Verband der Europäischen Fahrzeuglogistik (ECG) in Brüssel. Und fast noch schlimmer trifft der Chipmangel Inbound-Transportlogistiker. Die eine Woche können sie auf Hochlast fahren, die nächste Woche müssen sie Kurzarbeit für ihre Fahrer anmelden" - alles das zehrt gewaltig an den Erträgen der Dienstleister - zumal in diesem Segment die Margen nicht in den Himmel wachsen. Ist der Mehrheitsverkauf von Duvenbeck an einen Finanzinvestor das Signal, das Beispiel, dem auch andere Mittelständler im Gewerbe folgen sollten? Zumindest ist der Zeitpunkt dafür offenbar günstig. "Der Markt ist aktuell sehr stark in Bewegung. Es gibt erstaunlich viele Opportunitäten, und es ist sehr viel Liquidität vorhanden", sagt Cornelius Geber, geschäftsführender Gesellschafter der CG Beteiligungs- und Management in Hamburg (siehe Kasten S. 28). Zuvor war er unter anderem fünf Jahre Deutschland-Chef von Kühne + Nagel und fünf Jahre Mitglied der Geschäftsleitung der Kühne + Nagel International AG. Wandel in nie dagewesenen Dimensionen Überhaupt ist die Frage welche Chancen und Risiken Speditions- und Logistikdienstleister im Automotive-Segment in den kommenden Jahren noch haben. "An sich agiert da die Automobilindustrie im Moment nicht unclever", bewertet Professor Raimund Klinkner, Vorsitzender des Präsidiums des Deutschen Verkehrsforums und Geschäftsführer des IMX Institute for Management Excellence in Martinsried bei München, die derzeitige Situation. So versuchen die OEMs, ihre Margen zu halten, indem sie sich derzeit auf ihre Premiummarken fokussieren und dort die limitierten Chips einsetzen. "Kurz- und mittelfristig wird dies aber zum Umschwappen führen", warnt der Automobillogistik-Experte, "mit entsprechenden Nachholeffekten, die dann erneut die ganze Flexibilität aller Beteiligten in der Logistikkette fordern werden - sprich die von Zulieferern, Speditions- und Logistikdienstleistern." Über alledem stünde aber, betont er, der gigantische Transformationsprozess der Automobilwirtschaft weg vom Verbrennermotor hin zu alternativen Antrieben sowie hin zu neuen Mobilitätsformen und zu autonomem Fahren. "Da sind die deutschen OEMs mittendrin, ihr Geschäftsmodell verändert sich gerade fundamental. In einer Dramatik, wie wir sie in dieser Branche noch nie erlebt haben." Er sei zwar davon überzeugt, dass die Industrie dies aufgrund ihrer Leistungsfähigkeit meistern werde, aber der Wettbewerbsdruck sei massiv - auch aus dem Ausland. "Auf die Automobillogistik und die Dienstleister werden also in den nächsten Jahren Risiken, Belastungen und Herausforderungen in einer Dimension, Mehrdimensionalität und Veränderungsgeschwindigkeit zukommen, die es in dieser Branche noch nie gegeben hat", befürchtet er. Klinkner muss es wissen, er war lange Jahre in der Produktionslogistik bei namhaften Unternehmen wie etwa Porsche tätig, zuletzt bei Knorr Bremse als Vorstandsvorsitzender, und hat etliche Aufsichtsratsmandate in dieser Industrie. "Der Optimierungs- und Investitionsdruck auf Dienstleister wird noch höher", skizziert er das künftige Umfeld, in dem die Firmen sich dann behaupten müssen. Denn jede Veränderung kostet Geld und erfordert Investitionen in einem Segment, in dem sich schon immer eher niedrige Margen erzielen ließen. Und weil die Veränderungsgeschwindigkeit steigt, wird der Return of Investment für Betriebe noch kürzer. Kurzum: "Die Kostenlast in der Automobillogistik für Dienstleister wird höher - bei noch kürzeren Amortisationszeiten. Das geht für Dienstleister nicht wirklich auf", mahnt der DVF-Präsident. Heiner-Matthias Honold, Gesellschafter der Honold Logistik Gruppe in Neu-Ulm, will indes nicht klagen (siehe Kasten S. 29). Trotz Corona habe er den Umsatz um 13 Prozent auf 255 Millionen Euro steigern können. Was ihn besonders stolz macht: Sein Unternehmen hat 2021 weitere Logistikaktivitäten des Luft- und Raumfahrtkonzern Airbus übernommen. Honold ist auch in der Automobilindustrie in der Produktionsversorgung tätig - mit allen Höhen und Tiefen. Unterm Strich ist Honold jedoch fest davon überzeugt: "Die Automobilwirtschaft ist und bleibt für mittelständische Speditions- und Logistikbetriebe ein Zukunftsmarkt, der wächst und gedeiht. Bestimmte Automotive-Kunden boomen zurzeit, man muss nur den richtigen Kunden haben", betont er. Der Mittelstand stehe sogar besser da als jemals zuvor. Es wird sich weisen, ob das so bleibt. So werden heute schon in Asien mehr Fahrzeuge abgesetzt als in Europa oder Nordamerika, erläutert Professor Klinkner. Sprich: Die Absatzmärkte verschieben sich - weg von Deutschland und Europa hin nach Asien - und damit über kurz oder lang vermutlich auch die Produktionsstandorte. Ein Logistikgeschäft, das deutschen Speditions- und Logistikbetrieben, die ausschließlich hierzulande und in Europa tätig sind, also auf mittlere Sicht komplett wegbrechen könnte. Todesstoß für den Mittelstand? Ist das dann der Todesstoß für den Mittelstand in diesem Segment? "Keineswegs! Die Automobillogistik gilt schon seit Jahrzehnten als Benchmark in Sachen Prozess-Exzellenz. Wenn unter den genannten neuen Rahmenbedingungen bei den Dienstleistern eine neue Prozess-Exzellenz und neue Methodenkompetenz entsteht, und sie dieses Know-how auch auf andere Branchen übertragen können, etwa den Maschinenbau oder den Anlagenbau", macht Klinkner Branchenbetrieben Mut. Auf diese Weise ließen sich auch die höheren Investitionskosten indirekt schneller amortisieren. "Der Automobilindustrie muss aber eines klar sein: Hochwertige Lösungen sind nicht mit Low-Cost-Honorierung möglich. Das beißt sich", mahnt Klinkner. Sprich: Auftraggeber müssen ihren Dienstleistern den Mehrwert honorieren, den sie für die Industrie leisten. Aber auch die Dienstleister sieht er in der Pflicht. "Jedes Produkt, jeder Logistikservice verkommt irgendwann zum Standardgeschäft - mit entsprechendem Preisverfall." Umso wichtiger sei es, mahnt er, dass Dienstleister "mehr Intelligenz in ihre Lösungen bringen". Klinkner wörtlich: "Nachhaltigkeit, intermodale Transportketten und Resilienz in der Logistik - das sind die großen Themen der Zukunft, auf die die Automobilwirtschaft jetzt von ihren Speditions- und Logistikdienstleistern Antworten braucht, und intelligente Lösungen, zum Beispiel mehr Transparenz und Sicherheit durch Digitalisierung. Resilienz in der Lieferkette, im Transport und in der Logistik ist den Kunden sehr viel wert", betont er, "und dafür sollten sie bereit sein, den Dienstleistern mehr zu bezahlen." Zumal dies Aufgaben seien, die weit über das klassische Carrier-Geschäft hinausgehen. "Wenn das dem Kunden bewusst ist, hat er auch eine höhere Zahlungsbereitschaft." Alles in allem sieht Klinkner auch mittelfristig für mittelständische Speditionen und Logistikbetriebe im Automotive-Segment Zukunft. "Der eine findet vielleicht seine Nische, in der er Platzhirsch ist", sagt er. "Die Größenpotenziale seien in der Nische zwar limitiert, das Auskommen aber profitabel. Wer indes ein größeres Stück vom Umsatzkuchen wolle, dem sei auch dieser Weg offen - mittels Collaboration, also im Zusammenspiel mit anderen Firmen, dieses Geschäftsfeld zu erschließen. Darüber hinaus: Auch als kleines Unternehmen kann man international tätig sein. Vielleicht sogar in Afrika - einem Markt, der noch viel Pionierarbeit erfordert, aber auch Chancen bietet." Mehr zum Thema finden Sie unter #Automobillogistik www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag Interview mit Cornelius Geber, geschäftsführender Gesellschafter der CG Beteiligungs- und Management GmbH in Hamburg Wie gut ist aktuell der Zeitpunkt für Gespräche mit Investoren? Sie haben schon so manchen Unternehmenskauf und -verkauf eingefädelt – wie zuletzt den Deal von Duvenbeck und Investor Waterland. Wie attraktiv ist aus Investorensicht die Logistikbranche und welche Segmente da vor allem? Finanzinvestoren erkennen zunehmend die Attraktivität der Branche, was auch auf die aktuellen Lieferkettenprobleme und einen erwarteten Konsolidierungsprozess zurückzuführen ist. Das Beispiel eines gelungenen Engagements von Finanzinvestoren ist sicherlich XPO Logistics, das sich als ein sehr attraktives Investment herausgestellt hat. Durch eine erfolgreiche Buy-&-Build-Strategie und Restrukturierung von zugekauften Firmen ist eine respektable und werthaltige Logistikgruppe entstanden. Dieses Beispiel zeigt, dass ein Engagement eines Finanz-investors sehr gut funktionieren kann. Für mich gilt grundsätzlich, dass das Unternehmen möglichst kein Sanierungsfall sein sollte und in seinem Kerngeschäft bei Betrachtung von Markt und Wettbewerb Geschäftsfelder betreibt, die sich gut internationalisieren oder durch Straffung und Digitalisierung von Prozessen, auch überneue Querschnittsfunktionen, gut organisatorisch und durch Zukäufe weiterentwickeln lassen. Wie gut ist aktuell der Zeitpunkt, um mit einem Investor ins Geschäft zu kommen? Der Markt ist aktuell sehr stark in Bewegung. Es gibt erstaunlich viele Opportunitäten, und es ist sehr viel Liquidität vorhanden. Welche Chancen bringt der Einstieg eines Investors aus Sicht des Mittelständlers? Finanzinvestoren erkennen in der Regel sehr schnell die Chancen eines Unternehmens, wenn sie Gelegenheit haben, mit dem Unternehmer in konstruktiven, aber auch kritischen Gesprächen das Entwicklungspotenzial des Unternehmens zu identifizieren. Investoren denken stets bis zum Ende eines Investments, das heißt, sie entwickeln gemeinsam „Buy-&-Build“-Strategien, also Szenarien für die Weiterentwicklung des Unter-nehmens bis hin zur Veräußerung. Am Ende wird dann ein Unternehmen in einer ganz anderen Größenordnung mit weiter verbesserter Profit-abilität stehen, womit interessante Perspektiven für einen sehr erfolgreichen Exit, etwa auch über einen Börsengang oder die Veräußerung an einen strategischen Investor, zur Verfügung stehen. Der Unternehmer kann, was oft attraktiv sein kann, an dem Unternehmen mit einer quali-fizierten Minderheit beteiligt bleiben, weiter sein Know-how dem Finanzinvestor zur Verfügung stellen und beim Verkauf des Unternehmens erheblich am Zugewinn der Gesellschaft partizipieren. ehDas komplette Interview finden VerkehrsRundschau-Abonnenten kostenlos unter www.verkehrsrundschau.de Heiner-Matthias Honold, Gesellschafter Honold Logistik Gruppe „Ein Zukunftsmarkt, der wächst und gedeiht“ Heiner-Matthias Honold, Gesellschafter von Honold in Neu-Ulm, ist in der Luftfahrt-, Pharma- und Immobilien-Entwicklung tätig sowie in der Automobilindustrie in der Produktionsversorgung. „Es gibt Automotive-Kunden, die gefühlt seit 24 Monaten in Kurzarbeit sind, und deshalb ist es hier entsprechend schwieriger.“ Dieser Geschäftsbereich mache aber nur einen sehr kleinen Umsatzanteil bei ihm aus, betont er. Weitaus größeren Anteil mache bei ihm im Automotive-Geschäft die Ersatzteillogistik aus. „Dieser Markt hat nicht gelitten. Es gibt hier im Gegenteil eher eine Tendenz nach oben." In Kürze Noch tummeln sich in der Automobillogistik viele mittelständische Speditions- und Logistikbetriebe. Doch die Malaise in der Automobilindustrie und nun der Mehrheitsverkauf von Thomas Duvenbeck an einen Finanzinvestorr lassen viele zweifeln. Ist für sie das Segment noch ein Zukunftsmarkt? Und wenn ja, was hilft?

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