Chancen für Nfz- und Logistikbranche

Bei den jüngsten Verhandlungen über ein transatlantisches Freihandelsabkommen (TTIP) ist erwartungsgemäß kein Durchbruch erzielt worden. Während sich die Verhandlungsführer in die Details der Fragen vertiefen, die wenig umstritten sind, wächst der soziale Widerstand gegen den Freihandel zwischen Amerika und Europa. Ob TTIP am Ende wirklich kommt, ist deswegen keineswegs sicher. Politisch durchsetzbar ist wahrscheinlich nur eine abgespeckte Version des transatlantischen Freihandels. Aber auch ein weniger anspruchsvolles Abkommen, als es der EU-Kommission und der US-Regierung vorschwebt, könnte der europäischen und der amerikanischen Wirtschaft Wachstumsimpulse geben. Zum Beispiel durch die Abschaffung der Zölle auf Industriegüter. Im Durchschnitt betragen die Zölle im transatlantischen Handel zwar nur noch 2 Prozent, konzentrieren sich aber auf einige wenige Produkte. Dort würde ihre Abschaffung neue Exportmöglichkeiten eröffnen. So erheben die USA beispielsweise 14 Prozent Zoll auf die Einfuhr von Eisenbahnwaggons aus Europa. Ohne diese Belastung könnten die europäischen Hersteller mehr Waggons in den USA verkaufen. Große Hoffnungen setzt vor allem die europäische Automobilindustrie auf den transatlantischen Freihandel. Der Einfuhrzoll für europäische Personenwagen beträgt zwar in Amerika nur 2,5 Prozent, für Nutzfahrzeuge werden aber 25 Prozent fällig. Umgekehrt erheben die Europäer 10 Prozent Zoll auf Pkw und leichte Nutzfahrzeuge. Auf Lkw wird eine Einfuhrabgabe von 22 Prozent fällig. Das ist aber nur ein Element des Freihandels. Stärkere Impulse erwartet Matthias Wissmann, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) von einer Harmonisierung der Vorschriften, die diesseits und jenseits des Atlantiks für die Zulassung von Kraftfahrzeugen gelten: "Bedienungshebel am Lenkrad, Außenspiegel, Stoßfänger und vieles andere haben eins gemeinsam: Sie müssen beim Export in die USA doppelt gebaut und getestet werden. Das verursacht hohe Kosten. Wenn Handelsbarrieren abgebaut werden, spart das Zeit und Geld - auch das der Kunden." Künftig gemeinsame Standards Unbestritten ist, dass Autos, die in den USA zugelassen werden, genauso sicher sind wie Fahrzeuge, die den europäischen Normen entsprechen. Obwohl in beiden Wirtschaftsräumen dafür unterschiedliche Standards gelten. Deswegen muss jeder Fahrzeugtyp sowohl in der EU als auch in den USA zugelassen werden. Um das in Zukunft zu vermeiden, wollen sich beide Seiten zunächst darauf verständigen, welche geltenden Standards gleichwertig sind. Für sie würde man die von den jeweiligen Behörden ausgestellten Zertifikate gegenseitig anerkennen. Für neue Technologien will man sich von vornherein auf gemeinsame Standards verständigen. Sie könnten sofort in der EU und den USA angewendet werden, zum Beispiel für Elektroautos. Solche Standards könnten dann im Rahmen der UN auch leichter als globale Lösung für neue Technologien durchgesetzt werden. Abstimmung über neue Behörde Für die Zukunft wollen Brüssel und Washington versuchen, sich vor der Einführung neuer technischer Anforderungen an Kraftfahrzeuge auf eine gemeinsame Lösung zu verständigen. Der Verband der europäischen Fahrzeughersteller (ACEA) und das amerikanischen Pendant (AAPC) lassen in einer gemeinsamen Studie ermitteln, wie solche Standards aussehen könnten. Damit auch in Zukunft diesseits und jenseits des Atlantiks vergleichbare Vorschriften erlassen werden, hat die EU in der letzten Verhandlungsrunde den Vorschlag unterbreitet, eine gemeinsame Behörde zu gründen. Der "Regulatory Cooperation Body" (RCB) würde mit Beamten beider Seiten besetzt und dafür sorgen, dass keiner Regierung Gesetzesvorhaben der jeweils anderen Seite entgehen. Der RCB würde jedes Jahr einen Bericht über die laufende euro-amerikanische Zusammenarbeit und absehbare, neue Regulierungsprojekte veröffentlichen. Er würde die Umsetzung bereits vereinbarter Projekte verfolgen und neue Regeln anregen, die in beiden Wirtschaftsräumen gebraucht werden. Vorschläge dazu könnten die US-Regierung oder die EU-Kommission unterbreiten aber auch Verbände, Firmen, Gewerkschaften oder Nichtregierungsorganisationen (NGOs). "Damit wollen wir sicherstellen, dass die Zusammenarbeit zwischen den Regulierungsbehörden auch nach der Ratifizierung des Abkommens fortgesetzt wird", sagt der Verhandlungsführer der EU, Ignacio Garcia-Bercero. "Der RCB kann aber keine Entscheidungen treffen und die Arbeit der gesetzgebenden Körperschaften auch nicht verzögern." Die Amerikaner prüfen den Vorschlag der Europäer noch. Man sei sich aber einig, dass die regulatorische Zusammenarbeit zwischen der EU und den USA einen "institutionellen Rahmen" brauche, sagt der amerikanische Chefunterhändler Dan Mullaney. Angst vor zu starkem US-Einfluss Die Aufgaben des RCB würden die Regulierung von Kosmetika, der Energiewirtschaft, Telekommunikation und anderer Branchen bis zu zahlreichen Dienstleistungen umfassen. Eines der ersten Projekte, mit dem er sich befassen müsste, wären möglicherweise die neuen Vorgaben für die Fahrerkabine von Lkw, die die EU-Kommission in den nächsten Jahren entwickeln will. Lkw spielen im Handel zwischen der EU und den USA gegenwärtig praktisch keine Rolle, aber das könnte sich ändern, wenn keine Zölle mehr erhoben werden und in der EU und den USA ähnliche Standards zur Anwendung kommen. Die meisten NGOs stehen der euro-amerikanischen Zusammenarbeit bei der Regulierung äußerst skeptisch gegenüber. Sie fürchten, dass die Lobbyisten der Industrie über den RCB noch mehr Einfluss auf die europäischen Vorschriften nehmen könnten als heute. Über strengere Abgasgrenzwerte für Personen- oder Nutzfahrzeuge sollte besser im Rahmen der UN gesprochen werden, sagt Nico Muzi von der europäischen Umwelt-NGO "Transport & Environment". Es geht bei TTIP aber nicht nur um Waren, sondern auch um Dienstleistungen. "Wir brauchen Zugang zur Logistik, zu den Häfen, zum Luftverkehr. Es ist doch nicht in Ordnung, dass amerikanische Airlines von Paris nach Frankfurt weiterfliegen und für die Lufthansa ist beim ersten Airport in Amerika Schluss", sagt der Europaabgeordnete Daniel Caspary (siehe Interview). Die europäischen Airlines sollten im Passagier- und im Frachtverkehr die gleichen Rechte in den USA haben wie amerikanische Airlines in der EU, findet der CSU-Politiker. Der Erwerb von Mehrheiten an US-Airlines oder die Gründung eigener Fluggesellschaften in den USA ist bislang verboten. Als Begründung führen die USA die nationale Sicherheit an. Sie muss auch herhalten, wenn es um den Seeverkehr zwischen amerikanischen Häfen geht. Nach dem Jones-Act von 1920 ist der Transport von Passagieren und Gütern Schiffen vorbehalten, die in den USA gebaut wurden, US-Bürgern gehören und von US-Bürgern betrieben werden. Sie dürfen noch nicht einmal außerhalb der USA repariert oder nachgerüstet werden. Europäische Reeder haben da keine Chance. Amerikanische Schiffe haben dagegen kein Problem, eine Fracht von Liverpool nach Hamburg zu befördern. Die Amerikaner sind deswegen auch nicht sehr motiviert, ihre Häfen für die Europäer zu öffnen: "Wir kennen die Interessen der EU in diesem Bereich, aber beiden Seiten ist auch bewusst, dass es hier eine erhöhte Sensibilität gibt", sagt US-Unterhändler Mullaney. Die Europäer bezweifeln, dass es dabei um die Sicherheit Amerikas geht. Unter dem Schutz des Jones-Act prosperiert nicht nur die amerikanische Schifffahrt, sondern auch ein System der sozialen Sicherung für die dort Beschäftigten. Die amerikanischen Seeleute haben für den Schutz dieses Sozialsystems auch die Unterstützung der europäischen Gewerkschaften. Die Europäische Transportarbeiter-Gewerkschaft ETF spricht sich ausdrücklich gegen eine "Aufweichung des Jones Act" aus, die Arbeitsplätze auf amerikanischen Schiffen und in amerikanischen Häfen gefährden würde. Nicht viel besser sieht es mit dem Wunsch der Europäer aus, Post- oder Kurierdienste in den USA anbieten zu können. Während UPS oder Fedex in der EU zum Alltag gehören, scheitern europäische Anbieter am amerikanischen Postmonopol oder unerfüllbaren Lizenzauflagen. Vereinfachung beim Zoll Größere Hoffnung auf ein positives Verhandlungsergebnis hat man in Brüssel, wenn es um die Beseitigung der Bürokratie an den Zollgrenzen geht. Die Abschaffung von Zöllen wäre bereits ein wichtiger Schritt zum Bürokratieabbau, sagt Caspary. Denn wenn man keinen Zoll mehr zahlen muss, brauchen die Behörden weniger oder gar keine Angaben mehr über die Einfuhr einer Ware. Grundsätzlich haben sich die Mitglieder der Welthandelsorganisation (WTO) bereits auf eine globale Vereinfachung der Zollformalitäten verständigt. Man wolle die Vorgaben der WTO nicht unterlaufen, sagt Garcia-Bercero: "Wir können da bilateral aber noch mehr tun, vor allem im Interesse kleinerer Firmen, die mit der Bürokratie die größten Probleme haben. Mit einer engeren Zusammenarbeit der Zollbehörden können wir ihnen das Leben leichter machen." Dafür sollen einheitliche und einfachere Formulare und mehr Elektronik sorgen. Die Zollämter sollen außerdem verpflichtet werden, Auskünfte über die Eingruppierung und die Zollsätze angemeldeter Waren in einer bestimmten Frist zu erteilen. Allerdings hat man sich noch nicht darauf verständigt, wie lang diese Frist sein soll. Diese Punkte werden bei TTIP verhandelt Regeln für DienstleistungenVerhandelt wird über den erleichterten Marktzugang für Dienstleister. Ziel ist, dass Dienstleister aus der EU in den USA zu den gleichen Bedingungen tätig werden können wie US-Anbieter - und umgekehrt. Tochterunternehmen ausländischer Unternehmen sollen gleichgestellt werden. Allerdings soll die "Empfindlichkeit bestimmer Wirtschaftszweige" anerkannt werden. diwiAngleichung von StandardsViele technische Standards und Normen verfolgen gleiche oder vergleichbare Ziele. Deshalb sollen sektorspezifisch (z.B. Automobilindustrie) gleiche Standards mit gleichem Schutzniveau in Anlehnung an internationale Standards definiert werden. Auf diese Weise sollen doppelte Zulassungen und Überprüfungen vermieden und Kosten gesenkt werden. diwiInvestitionsschutz/ SchiedsgerichteDie Frage, ob Konzerne die Möglichkeit bekommen sollten, Regierungen vor einem nichtöffentlichen Schiedsgericht zu verklagen, ist umstritten. Verhandelt wird dies unter dem Kapitel Investorenschutz. Der deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) musste den Investorenschutz im Freihandelsabkommen mit Kanada akzeptieren. diwiZollerleichterungenZiel ist die Erleichterung von Warenimporten und -exporten. Vorschriften und Verfahren sollen modernisiert und vereinfacht werden, die Dokumentation standardisiert und Normen durch die Zollbehörden gegenseitig anerkannt werden. Außerdem sollen Einfuhrzölle und Gebühren auf Waren im bilateralen Handel weitgehend abgeschafft werden, um den Handel zu fördern. diwiRegeln für den Automobilmarkt14 Prozent (620.000 Fahrzeuge) der deutschen Pkw-Exporte gingen 2014 in die USA. Hohe Kosten verursachen unterschiedliche technische Vorschriften, sodass bestimmte Bauteile für den US-Markt extra angepasst und zugelassen werden müssen. Von der Angleichung der Vorschriften und Abschaffung der Importzölle soll der Fahrzeughandel auf beiden Seiten profitieren. cdChemie/ PharmazieDie Europäer wollen erreichen, dass Klassifizierung und Kennzeichnung von Substanzen an internationale Standards der UN angepasst werden. Der hohe Standard der europäischen Zulassungsverfahren für chemische Substanzen soll möglichst nicht aufgeweicht werden. Im pharmazeutischen Bereich sollen Zulassungsverfahren für neue Medikamente beschleunigt werden. diwi