Berlin/Frankfurt am Main. Deutschsprachige Unternehmen bevorzugen bei der Materialbeschaffung sichere so genannte Near-Shore-Länder wie die Tschechische Republik, Polen oder Ungarn gegenüber Off-Shore-Ländern wie China. In Fernost werden zwar die Erwartungen bei der Kosteneinsparung erfüllt, doch oft stimmt die Leistung nicht. So eine wichtige Erkenntnis der Studie, deren weltweiten Ergebnisse im Januar 2005 veröffentlicht werden. Drei Viertel aller Unternehmen verfügen über mehrjährige Erfahrung bei der Materialbeschaffung in den so genannten Near-Shore-Ländern Osteuropas – Tendenz steigend. Allerdings haben hier vor allem die deutschsprachigen Länder erheblichen Nachholbedarf: In punkto Einsparungen liegen sie um gut ein Fünftel unter dem weltweiten Durchschnitt von 16 Prozent. Obwohl der Trend zum Global Sourcing weiter zunimmt, bleiben weite Potenziale ungenutzt. Der Grund: Das Einkaufsgeschäft mit wesentlich günstiger und höherwertig anbietenden Off-Shore-Ländern gilt hierzulande als zu risikoreich. Unternehmen im deutschsprachigen Raum sehen die Vorteile der Beschaffung in Niedriglohnländern in erster Linie bei der Kostenreduktion. Während 94 Prozent der Befragten mit den Einsparungen zufrieden sind, zeigen sich nur 28 Prozent mit der Qualität der Leistungen einverstanden. Auch hinsichtlich Leistungsfaktoren wie Logistik und Produktinnovation überwiegt die Unzufriedenheit. Als Haupthindernisse für den Einkauf in Off-Shore-Ländern werden zumeist Sicherheitsprobleme angeführt, zum Beispiel die Wahrung von Marken- und Patentrechten oder Materialschwund. Um diese Risiken zu minimieren, sind deutschsprachige Unternehmen bereit, weniger günstigere, aber dafür als sicherer empfundene Beschaffungspartner zu wählen. Daher werden laut Studie Länder wie China bei der Materialbeschaffung – im Gegensatz zum weltweiten Trend – im deutschsprachigen Raum nur von 10 Prozent der Unternehmen bevorzugt. BME-Hauptgeschäftsführer Dr. Holger Hildebrandt: "Viele deutsche Unternehmen beschaffen seit Jahrzehnten im Ausland, sie haben ihre Erfahrungen mit fehlender Rechtssicherheit, Qualitäts- und Technologiemängeln sowie nachlässiger Termintreue gemacht. Für einen großen deutschen Automobilzulieferer beispielsweise lohnt sich der Einstieg in neue Beschaffungskanäle im Osten wegen des höheren Aufwands für Kontaktpflege und Qualitätskontrolle nur bei signifikanten Einsparungen von etwa 20 Prozent." Die Schmerzgrenze bei Auslandsengagements müsse jedes Unternehmen selbst bestimmen, so Hildebrandt. Dass Beschaffungssicherheit, niedrige Preise und hohe Qualität kein Widerspruch sein muss, belegt die Studie. Danach wählen die diesbezüglichen Innovatoren, die so genannten High Performer, ihre Lieferanten nicht nur nach dem Preis aus. Sie sorgen im Rahmen von strategischen Partnerschaften auch für die Erhöhung der Leistungsfähigkeit. "Die Global-Sourcing-Strategie muss Teil der Unternehmensstrategie werden. Das ist weitaus mehr als eine reine Schnäppchenjagd", sagt Stephan Haupt, Executive Director Supply Chain bei Accenture. Zu einem ganzheitlichen Sourcingansatz gehören laut Haupt sowohl die gründliche Lieferantenauswahl als auch deren ständige Weiterqualifizierung und Integration in die eigene Supply Chain. BME-Hauptgeschäftsführer Dr. Holger Hildebrandt: "Wer die Potenziale des Global Sourcing ausschöpfen will, muss in jedem Fall ein Risikomanagementsystem aufbauen, das die ganze Wertschöpfungskette erfasst." Hier hätten viele deutsche Unternehmen noch immer erhebliche Defizite. Accenture befragte im Frühjahr 2004 branchenübergreifend 238 Leiter Beschaffung in Unternehmen aus 14 Ländern zu Trends im Global Sourcing. 77 Prozent arbeiteten in Organisationen mit einem Umsatz von mehr als 500 Millionen Euro, 61 Prozent der Organisationen besaßen Einkaufsabteilungen mit mehr als 25 Mitarbeitern. Rund 30 Prozent aller Befragten stammten aus dem deutschsprachigen Raum. Hier wurde die Befragung mit Unterstützung des BME und des BMÖ (Österreich) durchgeführt.
BME/Accenture: Unternehmen geben Near-Shore-Ländern beim Einkauf den Vorzug
Der Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME) und die Unternehmensberatung Accenture haben im Rahmen des 39. BME-Symposiums in Berlin die deutschen Vorabergebnisse ihrer diesjährigen Procurementstudie präsentiert.