Blindflug beenden

Stellen Sie sich vor, Sie schließen, während Sie Auto fahren, für zwei Sekunden die Augen. Unvorstellbar? 64 Prozent der Autofahrer in Deutschland tun das laut einer Studie. Natürlich im übertragenen Sinne, indem sie ihr Smartphone am Steuer nutzen. Der Versicherer schätzt, dass zu jedem beliebigen Zeitpunkt durchschnittlich sieben Prozent der Autofahrer gerade durch ihr Handy vom Fahren abgelenkt sind. Das kann verheerende Folgen haben: Wer nur zwei Sekunden die Straße aus dem Blick lässt, ist bei Tempo 50 schon knapp 30 Meter im Blindflug gefahren.Routine bringt UnaufmerksamkeitDass sich gerade routinierte Berufskraftfahrer schneller ablenken lassen, hat einen einfachen Grund, wie der ADAC in einer gemeinsamen Studie mit dem österreichischen Automobilclub ÖAMTC 2015 herausfand: Je vertrauter die Strecke für einen Fahrer ist, desto schneller nimmt seine Konzentration ab und er lässt sich leichter von dem Wunsch nach ständiger Erreichbarkeit verleiten. Menschen unterschätzen laut der Studie zudem die Folgen von ablenkenden Tätigkeiten auf ihr Fahrverhalten leicht.Der niederländische Transportverband Transport en Logistiek Nederland (TLN) hat das hohe Ablenkungspotenzial durch aufpoppende Nachrichten auf dem Handy-Display erkannt und fordert deshalb, dass Handys sich während der Fahrt erst gar nicht nutzen lassen. Dafür hat der TLN nun eine Initiative gestartet, die Smartphone- und Lkw-Hersteller aufruft, nach entsprechenden Lösungen zu suchen. "Wir wollen dagegen kämpfen, dass Lkw-Fahrer während der Fahrt auf ihrem Handy rumtippen. Mit so einem Verhalten schaden sie unserer Branche, ihrem eigenen Image und natürlich der Verkehrssicherheit", sagte ein Sprecher des TLN.Technisch ist das automatische Abschalten des Handys während der Fahrt machbar. Ob die App "Beim Fahren nicht stören" von Apple oder andere Programme, die man sich auf das Smartphone laden kann: Die Apps sperren den Bildschirm des Handys, wenn sie Bewegung registrieren oder sich per Bluetooth mit dem Auto verbinden. Eine solche Lösung hat zwei Nachteile: Einerseits muss der Fahrer sie zunächst aktiv herunterladen, andererseits lässt sie sich ganz einfach abschalten.VW-Tochter hat professionelle LösungEine bessere Lösung ist dem TLN zufolge der "Safe DrivePod", eine Drei-Komponenten-Lösung der VW-Tochtergesellschaft CarMobility. Hierbei gibt ein fünf Cent großer Sender, der im Fahrzeug angebracht ist, ein Radiosignal ab. Dieses aktiviert eine App, die auf dem Handy installiert ist, sodass nur noch Telefonate und Navigationsbefehle über das Handy empfangen werden können. Das Besondere hierbei: Der Safe DrivePod hat auch ein Reporting-System. So erhält der Fuhrparkmanager Informationen über das Nutzungsverhalten seiner Mitarbeiter.Da das Programm das Handynutzverhalten aufzeichnet, muss der Unternehmer eine Einwilligung des Fahrers einholen. "In jedem Fall ist eine Betriebsvereinbarung zur Nutzung des Safe DrivePods empfehlenswert, in der auch alle datenschutzrechtlichen Punkte vom Unternehmen aufzunehmen und zu berücksichtigen sind. Diese Betriebsvereinbarung wird dann vor der Nutzung jedem Fahrer ausgehändigt und mit ihm abgeschlossen", erklärt die Produktmanagerin Sarah Zengerling. Auch wenn der Safe DrivePod auf das Diensthandy geladen wurde; beim Privathandy hat der Arbeitgeber keine Handhabe. Er kann lediglich seine Fahrer auf die Gefahren der Handynutzung am Steuer hinweisen.Das ist nicht genug, meint Axel Plaß, Geschäftsführer der Spedition Konrad Zippel. "Da, wo das Gewissen der Fahrer erwiesenermaßen nicht ausreicht, muss der Gesetzgeber regulieren", erklärt er. Plaß wünscht sich, dass die Handynutzung in Deutschland bis auf Anrufe per Freisprecheinrichtung im Fahrzeug technisch unmöglich wird.Eine solche Änderung wäre rechtlich möglich, schätzt Christian Solmecke von der Medienrechtskanzlei Wilde Beuger Solmecke. Er hat sich auf die Beratung der IT-Branche spezialisiert. Seiner Einschätzung nach gäbe es drei verschiedene rechtliche Wege: "Die EU könnte entweder eine Verordnung erlassen, die direkte Wirkung beispielsweise gegenüber den Speditionen oder Fuhrparks entfalten würde. Eine weitere Möglichkeit wäre eine Richtlinie. Diese müsste dann in den einzelnen Mitgliedstaaten jeweils in nationales Recht umgesetzt werden. Alternativ wäre es möglich, das Ganze auch auf deutscher Ebene durchzusetzen."Pläne für eine solche Regelung oder Richtlinie gibt es derzeit nicht - weder in Deutschland noch in der EU. Der Verband TLN fordert deshalb als Akutmaßnahme härtere Sanktionen. Vorbild ist Großbritannien. Dort zahlt ein Smartphone-Sünder bis zu 1100 Euro Strafe. Das sind etwa 1000 Euro mehr als in Deutschland. Doch das Bundesverkehrsministerium hat die Strafen erst im vergangenen Jahr erhöht und setzt nun auf die Präventiv-Kampagne "Tipp, tipp, tot". Sie soll mit Bildern und Slogans, die auf 700 Plakatwänden entlang deutscher Autobahnen stehen, Fahrer vor dem Handy am Steuer warnen. Viel Aufwand, der wohl besser in intensive Polizeikontrollen investiert wäre.

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