Binnenschifffahrt

Binnenschifffahrt„Vernichtend“Die neueste Kategorisierung der Binnenschifffahrtsstraßen durch das Bundesverkehrsministerium schlägt hohe Wogen. Etliche Hafenchefs fürchten, dass ihnen künftig wichtige Investitionsmittel fehlen.Über seine Verkehrsanbindungen kann sich der Hafen Halle nicht beklagen. Fünf Autobahnen, vier Bundesstraßen und ein halbes Dutzend Schienenstrecken verbinden den mitteldeutschen Standort mit allen großen Wirtschaftszentren und Überseehäfen in Deutschland. Und eine Binnenschifffahrtsanbindung existiert mit der Saale auch. Laufende Gutachten abwartenGenau um diese Anbindung sorgen sich nun die Hafenverantwortlichen, seit das Bundesverkehrsministerium Ende Juni die neueste Kategorisierung der Binnenschifffahrtswege bekannt gab. Der knapp 90 Kilometer lange Saale-Unterlauf bis zur Elbmündung wird wie die Elbe selbst vorerst überhaupt nicht kategorisiert, weil laufende Gutachten abgewartet werden müssen. Und der schiffbare Teil des Oberlaufs südlich von Halle wird lediglich als „sonstige Wasserstraße“ klassifiziert. Als „vernichtend“ empfindet Hafen-Halle-Geschäftsführer Dirk Lindermann dieses Vorgehen. „Mit diesen Einstufungen werden bis auf Weiteres sämtliche Investitionen auf Eis gelegt“, fürchtet der Hafenchef.Diese Bedenken liegen auf der Hand: denn für das Bundesverkehrsministerium (BMVBS) sind die neuen Kategorisierungen, die im Rahmen der Netzneustrukturierung vorgenommen wurden, Basis für künftige Investitionsentscheidungen. Ausbaumaßnahmen, die den Betrieb von größeren Schiffen erlauben, gibt es ausschließlich für Wasserstraßen der Kategorie A. In diese Stufe kommen Flüsse und Kanäle mit jährlich über fünf Millionen Tonnen Frachtaufkommen. Außer dem Rhein sind dies unter anderem der Main, der Rhein-Main-Donau-Kanal, die Donau mit Ausnahme des Abschnitts Straubing-Vilshofen, die Mosel, der Mittellandkanal und der Elbe-Seitenkanal. Kategorie B muss sich mit Optimierungsmaßnahmen wie Tiefenbaggerungen und Uferabtragungen begnügen. Mit dieser Stufe wurden Wasserstraßen klassifiziert, deren jährliches Frachtvolumen drei bis fünf Millionen Tonnen beträgt. Das trifft unter anderem auf die Saar, den Weser-Unterlauf ab Minden, die Ems und den Elbe-Havel-Kanal zu. Alle anderen Binnenschifffahrtswege fallen in die Katego-rie C beziehungsweise werden überhaupt nicht klassifiziert. „Solche Wasserstraßen werden grundsätzlich nicht ausgebaut“, teilt das Ministerium lapidar mit. Bei zwei Binnenschifffahrtswegen wurde die Kategorisierung zurückgestellt. Außer der Elbe bis Lauenburg (Elbe-Seitenkanal-Mündung) ist dies der Donau-Abschnitt Straubing-Vilshofen. Über den künftigen Ausbau dieses knapp 70 Kilometer langen Teilstücks soll eine EU-Studie Aufschluss geben, die zwei Varianten untersucht und bis Ende 2012 fertiggestellt wird. Trotzdem befürchten die bayerischen Donau-Häfen einen Stillstand und fordern ein politisches Signal. „Eine Null-Variante ist keine Option“, wettert Joachim Zimmermann, Geschäftsführer der Bayernhafen-Gruppe. „Die Zuverlässigkeit des Verkehrsweges Wasserstraße muss in diesem Abschnitt durch Kategorie A sichergestellt werden.“Basis ist die Verkehrsprognose 2025Zimmermann hat die wirtschaftlichen Fakten auf seiner Seite: Für Straubing-Vilshofen sind kaum weniger Frachtverkehre zu erwarten als für die übrigen Donauabschnitte zwischen Regensburg und Passau. Andere Häfen tun sich hier schwerer. Denn das Ministerium untermauert die Kategorisierungen mit vorhandenen und prognostizierten Gütertransportmengen. Basis für Letztere ist die Verkehrsprognose 2025 der Münchner Beratungsgesellschaft Intraplan Consult, auf der seit über zehn Jahren nahezu jede Infrastrukturplanung fußt. Marktkenner halten dies für ausreichend. „Wenn das Ministerium weitere Kriterien wie die wirtschaftliche Wertschöpfung einzelner Regionen heranziehen würde, kämen kaum andere Ergebnisse heraus“, mutmaßt Gunnar Platz, Geschäftsführer des Essener Beratungsunternehmens Planco. Völlig anderer Meinung ist der niedersächsische Verkehrsminister Jörg Bode. „Wer sich nur auf die transportierte Tonnage festlegt, plant am Trend zu mehr Containerverkehren vorbei“, kritisiert der Landespolitiker. „Containertransporte erhöhen jedoch aufgrund ihrer geringen Gewichte die Tonnage nur unwesentlich. Gleichzeitig werden aufgrund der großen Volumina mehr Schiffe fahren müssen.“Die harsche Kritik aus Hannover ist kein Zufall. Mit Ausnahme von Mittellandkanal und Elbe-Seitenkanal ist keine Wasserstraße im Landesgebiet mit A kategorisiert worden. Mancher Hafen befürchtet bereits jetzt stagnierende Transportmengen als Folge ausbleibender Investitionen. Mit der B- und C-Kategorisierung der Weser tun sich vor allem Minden und andere Mittellandkanalstandorte, die in der Kooperation Hafenband zusammengeschlossen sind, schwer. „Auf diesem Fluss können Containerverkehre nur mit 110 Meter langen Großmotorschiffen dauerhaft wirtschaftlich gestaltet werden“, versichert Hafenband-Projektkoordinator Sebastian Jezek – das allerdings setzt wenigstens zwei neue Schleusen auf der Mittelweser voraus. Wesentlich zufriedener äußert sich der Hafen Braunschweig. Mit der Heraufstufung des Elbe-Seitenkanals in Kategorie A sieht Geschäftsführer Jens Hohls die Weichen für weiteres Wachstum gestellt. Jetzt soll die Zusammenarbeit mit dem Überseehafen Hamburg ausgebaut werden. „Rund 60 Prozent unserer Binnenschifffahrtsverkehre nutzen diese Wasserstraße“, betont Hohls. „Zusätzlich müssen die Anbindungen an den Osten gestärkt werden.“ Der wunde PunktDer Hafenchef legt den Finger auf einen wunden Punkt. Denn mit Ausnahme des Mittellandkanal-Schlussstücks bei Magdeburg ist keine ostdeutsche Wasserstraße mit A kategorisiert worden – die fünf neuen Bundesländer gelten als klare Verlierer der Netzneustrukturierung. Mancher Hafenchef fragt bereits, ob die Kategorisierung nicht wie eine „selbsterfüllende Prophezeiung“ wirken werde. Da der Bund viele Wasserstraßen nicht mehr ausbaut, verzichten ortsansässige Unternehmen auf Investitionen oder schieben diese auf die lange Bank. An der Saale ist dieser Effekt bereits zu beobachten. Allein vier große Chemie-, Kalisalze- und Düngemittelhersteller der Region könnten nach Angaben des Hafens Halle jährlich rund 1,5 Millionen Tonnen über die Saale verschiffen – das wäre die halbe Miete für Kategorie B. Voraussetzung ist allerdings die Beseitigung eines Engpasses an der Elbmündung – ob die kommt, weiß gegenwärtig niemand. „Wir äußern uns zum Thema Binnenschifffahrt erst, wenn die Wirtschaftlichkeitsstudie des Bundesverkehrsministeriums vorliegt“, sagt eine Sprecherin des Chemie- und Sodakonzerns Solvey in Bernburg. ❙❚■ Stefan Bottler, freier JournalistDürfte dank der A-Kategorisierung der Donau auch in Zukunft kein Problem sein: die Verladung von Windkraftflügeln in PassauBinnenschifffahrt„Was fehlt, sind klare Pläne für die Infrastruktur“Gerade einmal 1,5 Milliarden Euro sind im laufenden Bundeshaushalt für die Binnenschifffahrt reserviert. Rund 60 Prozent davon fließen in Aus- und Neubaumaßnahmen. Für die kommenden Jahre sieht es kaum besser aus. Angesichts dieser chronischen Unterfinanzierung findet der Wunsch des Bundesverkehrsministeriums, klare Prioritäten zu setzen, durchaus Verständnis. So hat für Jens Schwanen, Geschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Binnenschifffahrt (BDB), der Substanzerhalt „klare Priorität“. Mit Neubauten sollten lediglich gravierende Engpässe beseitigt werden. Ein Beispiel ist das baufällige Schiffshebewerk Scharnebeck am Elbe-Seitenkanal, das wegen Reparaturen und Wartungen wiederholt tagelang geschlossen werden musste. Kritischer sieht Boris Kluge vom Bundesverband Öffentlicher Binnenhäfen (BÖB) die Ministeriumsvorgaben. „Der Ist-Zustand ist bekannt“, sagt der Verbandschef. „Was fehlt, sind klare Planungen für die Infrastruktur.“ Kluge zufolge sollten die Kategorisierungen alle drei statt – wie vorgesehen – alle fünf Jahre überprüft werden. Dann können aktuelle Veränderungen schneller berücksichtigt werden. botReformvorhaben: Was die Verbände sagen

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