VR-Fahrbericht Mercedes-Benz: Mirror-Cam, die Zweite

Dem fehlt doch was? Diese Frage kam im Jahr 2018 vielen Premiere-Gästen in den Sinn. Und zwar gleich, nachdem Mercedes-Benz den Schleier von seinem runderneuerten Actros gezogen hatte. Was fehlte, waren die Außenspiegel, die der Stern als weltweit erster Lkw-Hersteller gegen ein innovatives Kamerasystem ersetzte. Ein mutiger Schritt, erst recht vor dem Hintergrund, dass Daimler Truck die sogenannten Mirror-Cams serienmäßig an sein neues Fernverkehrsmodell montierte - auch wenn die Möglichkeit der Abwählbarkeit bis heute gewährt wird. Frei von Kritik blieb die erste Generation des Systems nämlich keinesfalls. Unveränderte Displays Diese soll nun das umfangreiche Update beseitigen, das Mercedes-Benz jüngst durchführte. Ob dem wirklich so ist, davon konnte sich die VerkehrsRundschau bereits im Rahmen einer ausgedehnten Testfahrt überzeugen. Keine Veränderungen nahm Mercedes-Benz bei der Größe und der Position der Displays vor. Sie sind nach wie vor rechts und links 15 Zoll groß und fügen sich damit nahezu passend in die Breite der A-Säulen ein. Geblieben sind ebenfalls alle bisherigen Hilfslinien, wie beispielsweise die sehr nützliche, weil das Aufliegerheck markierende Linie, die sich individuell einstellen lässt. Kontrast durch "Ton-Mapping" Dafür präsentieren sich die Bildschirme ab sofort mit einer höheren Kontrastauflösung (Mercedes-Benz spricht von "Ton-Mapping"), wodurch die übertragenen Bilder deutlicher auf den Displays erscheinen. Unsere Meinung: Die Darstellung fällt tatsächlich etwas kontraststärker aus, von der Klarheit eines konventionellen Spiegels bleiben die Mirror-Cams allerdings weiterhin entfernt. Da wirken sich die Modifizierungen beim Hell-Dunkel-Abgleich deutlicher aus. Der wird besonders wichtig, wenn man bei hellem Sonnenschein rückwärts in eine dunkle Halle oder auf eine Fähre rangieren muss. Die Kamera fokussiert sich von der Blickrichtung her nun nicht mehr auf die strahlende Hallenwand, sondern erkennt deren dunkle Einfahrt oder eben Fährauffahrt als das wesentliche Element und gewichtet diese um das Achtfache. Die Folge ist ein deutlich helleres Bild, was Hindernisse oder Personen in der Halle besser erkennbar macht. Die unserer Meinung nach wirksamsten Verbesserungen bringen aber die veränderten Haltearme der Mirror-Cams. Diese fallen ab sofort pro Seite um zehn Zentimeter kürzer aus. Das gilt übrigens sowohl für die breiten Actros-Fahrerhäuser als auch für alle schmaleren Kabinen mit 2,3 Meter Breite. Die Verkürzung sorgt gleich für mehrere positive Effekte. Einerseits rücken die Kameralinsen dadurch weiter ans Fahrzeug heran, was für einen direkteren Darstellungswinkel nach hinten sorgt. In der Folge fallen die bisherigen Verzeichnungen, durch die das Bild leicht schräg auf den Displays erschien, nun nahezu weg. Der neue Blickwinkel ist jetzt durchaus mit dem eines konventionellen Spiegels vergleichbar. Das macht sich bei Rangiermanövern positiv bemerkbar, denn die gehen mit den neuen Mirror-Cams merklich leichter von der Hand als mit dem alten System - zumindest dem VR-Tester. Aufsatteln gelingt leichter Gleiches gilt für das Aufsatteln. Hier kann der bislang eigentlich obligatorische Kontrollblick aus dem heruntergelassenen Seitenfenster nun unterbleiben. Denn das punktgenaue Positionieren der Zugmaschine unter den Auflieger gelingt nun allein über die Monitore. Darüber hinaus eliminiert die Verkürzung der Haltearme die Gefahr von Beschädigungen der Kameras durch "Feindkontakt". Laut Mercedes-Benz ist das übrigens die häufigste Ursache dafür, dass die Werkstatt Hand an den Mirror-Cams anlegen muss. Besondere Gefahr galt bisher auf der Beifahrerseite, wo der Haltearm vom Fahrersitz aus naturgemäß nicht einsehbar ist. Dass der rechte Arm nun aber nur noch exakt so breit baut wie der im Seitenfenster sichtbare Rampenspiegel, sollte diese Problematik deutlich entschärfen. Auch weil der Spiegel extra in den vorderen Bereich des Seitenfensters versetzt wurde und damit die zu durchfahrende Engstelle also vor den teuren Mirror-Cams passiert - zumindest, wenn sich der Lastwagen vorwärtsbewegt. Rampenspiegel weiter vorn Weitere praktische Gründe für die Versetzung des Rampenspiegels: einerseits würde dessen Kunststoffgehäuse ansonsten ins Bild der Mirror-Cams ragen, außerdem habe der Fahrer beim Blick nach rechts sofort Bildschirm, Rampen- und Frontspiegel im Blick, argumentiert Mercedes-Benz. Gerade bei Letzterem, der nach wie vor rechts vor der Windschutzscheibe im Fahrtwind hängt, hätten wir im Rahmen des Updates aber eine Digitalisierung à la MAN oder DAF erwartet - das aber lohne sich in Hinblick auf eine Verbesserung der Aerodynamik nicht, betonen die Daimler-Mitarbeiter, was wir jetzt mal unkommentiert so stehen lassen. Neu hinzu kam dafür eine zusätzliche Tropfkante an den Kameragehäusen. Diese soll verhindern, dass Regenwasser auf die Linse gelangt und es zu unerwünschten optischen Effekten kommt. Das könnte laut Daimler Truck ansonsten vor allem bei Starkregen passieren, auch weil die im Schnelllauf arbeitenden Scheibenwischer das Wasser auf die nun näher am Fahrzeug positionierten Linsen schleudern würden. Von der Wirksamkeit dieser Maßnahme konnten wir uns am sonnigen Testtag allerdings noch nicht überzeugen. Insgesamt überzeugend Die anderen Verbesserungen am Mirror-Cam-System sind im Alltag dagegen teilweise deutlich zu bemerken! Gut möglich, dass künftig noch weniger Actros-, eActros und Arocs-Kunden von dem weiterhin möglichen Downsizing auf konventionelle Spiegel Gebrauch machen werden. Fazit Merklich verbessert Ich gebe zu, dass ich den versprochenen Verbesserungen anfangs mit Skepsis begegnet bin. Die ist nach diesem intensiven Test der neuen Mirror-Cam allerdings größtenteils verflogen. Vor allem die kürzeren Haltearme bringen echten Mehrwert. Die bislang störenden Verzeichnungen fallen dadurch weg, weshalb Rangiermanöver viel leichter von der Hand gehen. jan.burgdorf@springernature.com Mehr zum Thema unter #DaimlerTruck www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Die neue Generation der Mirror-Cam montiert Mercedes-Benz ab sofort an die Baureihen Actros, eActros und Arocs. Als wünschenswert erachten wir allerdings darüber hinaus eine Umrüstmöglichkeit für bestehende Mercedes-Benz-Lkw auf das verbesserte System. Ob Daimler Truck ein solches Kit anbieten wird, bleibt offen. 1,5% weniger Verbrauch soll durch die Mirror-Cams möglich sein.

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