König aller Greife

Was 40 Tonnen mit der Kraft von 770 PS und 3700 Newtonmeter Drehmoment machen? Sie treiben sie in die Langeweile! Zumindest sobald Scanias neuer Top-V8 die Fuhre auf Reisetempo 85 beschleunigt hat. Diesen Sprint erledigt der 770 S übrigens in aberwitzigen 33,5 Sekunden, wenn auch im unwirtschaftlichen Power-Modus! Ist das erledigt, verstummt das 16,4 Liter große Triebwerk akustisch nahezu völlig, dass es überhaupt noch da ist, lässt sich nur dem Drehzahlmesser entnehmen, der in Verbindung mit der längsten 2,87er-Hinterachsübersetzung niedrige 1050 Touren bei 85 km/h meldet. Und dabei bleibt es auch, denn eine weitere Absenkung der Tourenzahl unter 1000/min per Zusatz-Schongang, wie sie das neue G33-Getriebe bietet (siehe VR 2/2021), ist beim 770er nicht vorgesehen. Es ist für dessen gewaltige Kräfte nicht ausgelegt, weshalb hier die Vorgängerversion des Getriebes zum Einsatz kommt. Der Vorschub scheint unendlich Was der 770er zu leisten imstande ist, wird spätestens klar, wenn es gilt, die 40 Tonnen nach einer Verkehrsbehinderung wieder aufs Reisetempo zu beschleunigen. Die Kraftentfaltung ist beeindruckend und scheinbar unendlich. Im elften Gang ist der Zwischensprint von 60 auf 80 km/h nach 13,5 Sekunden absolviert, ganz egal ob es gerade bergauf geht oder nicht - da hat mancher beladene Kleintransporter das Nachsehen. Überhaupt Steigungen: Deren Definition verschwimmt in diesem Lkw, denn in 95 Prozent der Fälle bügelt er solche ohne spürbare Kraftanstrengung und ohne Tempoverlust platt. Erst wenn sich ein ernst zu nehmenderes topografisches Hindernis in den Weg stellt - das ausnahmsweise mal nicht von einem Überholverbot "kastriert" wird -, regen sich aus dem Maschinenraum spürbare Lebenszeichen. Und das umso vehementer, denn erkennt die Elektronik, dass sogar der 770er am folgenden Berg nicht ohne Rückschaltung auskommt, wird schon am Fuß der Steigung und damit auffallend früh die elfte Fahrstufe verordnet. Ein Zugeständnis an die in dieser Leistungsklasse obligatorische Overdrive-Auslegung der zwölften Fahrstufe. Direkt übersetzt ist hier der elfte Gang, in dem weniger Zahnräder bewegt werden müssen und somit geringere Widerstände auftreten. Was laut Scania mehr Sparpotenzial bietet, als das höhere Drehzahlniveau im elften Gang kostet. Dem Fahrer darf's egal sein oder vielmehr freuen, denn erst oberhalb von 1200 Touren entwickelt der V8 sein legendäres Grollen erst so richtig ... Allerdings, ganz so wie er könnte, darf er dann doch nicht, schließlich lässt sich auch bei einem PS-Boliden das Thema Wirtschaftlichkeit nicht ganz aus den Augen wischen. Weshalb die Elektronik außerhalb des Powermodus den unbändigen Vortrieb leicht einbremst und an steilen Stichen ein "Downgrade" auf Tempo 82 verordnet. Halb so schlimm, denn auch so gibt es hangwärts keine Gegner, sondern nur Opfer, selbst manches Wohnmobil muss sich kräftig strecken, um nicht in die Klauen dieses Greifs zu geraten. Schnell unterwegs - und durstig Gesetzt den unwahrscheinlichen Fall, dass der 770er unterwegs von solchen und anderen Störungen verschont bleibt, legt er die Latte bei der Transportgeschwindigkeit eine Stufe höher und brennt auf der VR-Testrunde einen neuen Rekord in den Asphalt. Allerdings: Objektiv betrachtet sind es nicht einmal zweieinhalb Minuten, die vernünftigere Vertreter der Zunft, wie beispielsweise der "kleine Bruder" Scania 540 S, auf der gesamten Testrunde aufs Topmodell verlieren. Dabei aber ungleich wirtschaftlicher unterwegs sind: Reichliche 27,4 l/100 km sog der V8 auf der Testrunde durch seine volumigen Brennräume. Ein deutlicher Aufschlag ist, neben dem hohen Anschaffungspreis, also in jedem Fall einzukalkulieren. Ob sich das lohnt, muss jeder Transportunternehmer für sich selbst ausrechnen. Auf jeden Fall sollte dem spitzen Bleistift dabei eine gehörige Portion V8-Faszination gegenüberstehen. Mehr zum Thema finden Sie unter #ScaniaTrucks www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze 770 PS sind für ihren Einsatz deutlich zu viel? Dann könnten die schwächeren Einstellungen des V8 interessant sein. Scania bietet alternativ 660, 590 oder (fast) schon vernünftige 530 PS mit acht Zylindern an. Für alle genannten Motoren stünde zudem auch das neue G33-Opticruise-Getriebe bereit. Testurteil beeindruckende Fahrleistungen, ausgezeichneter Fahrkomfort, sehr niedrige Geräuschkulisse, hohe Materialgüte und Verarbeitungsqualität, ergonomisch gestaltetes Cockpithoher Diesel- und AdBlue-Verbrauch, teurer Anschaffungspreis und hohe Unterhaltskosten, schwache Motorbremse, umständlicher Bettenbau mit Sitzvorschub in der Kabine. Technische Daten Motor Wassergekühlter Achtzylinder-V-Motor; kugelgelagerter Single-Turbolader, CommonRail, 10-Loch-Düsen, Euro 6d mit SCR-Only und Partikelfilter, Hubraum: 16.400 cm3 , Leistung: 770 PS (566 kW) bei 1800/min, max. Drehmom.: 3700 Nm bei 1000–1450/min Kraftübertragung Automatisiertes Schaltgetriebe „Opticruise“ (Scania GRS O926 R), synchronisiertes DreigangGrundgetriebe, Overdrive, Range- u. Splitgruppe, 12 Vorwärtsgänge, 2 Rückwärtsgänge, 2x Crawler, Hinterachsübersetzung: i = 2,47 Fahrwerk Vorn: 9-t-Lenkachse, Zweibalg-Luftfederung Hinten: 11,5-t-Antriebsachse + 7,5-t-Nachlaufachse (lenkbar), Luftfederung Reifen (im Test): VA: 385/55 R 22.5; 1. HA: 315/70 R 22.5; 2. HA: 385/55 R 22.5 Bremsen Zweikreis-Druckluftbremsanlage, Scheibenbremsen, Motorbremse: 300 kW (408 PS) bei 2400/min, Option: Retarder (Scania „R4100D“, 4100 Nm, 500 kW (680 PS)) Maße und Gewichte Radstand: 4750 mm; L x B x H: 9980 x 2600 x 3833 mm (ohne Dachspoiler); Leergewicht: 12.140 kg (inkl. 400 l Diesel; 60 l AdBlue) Bewertung: Scania 770 S Highline Motor/Antrieb (max. 140): 132Getriebe/Kupplung (max. 140): 126Bremsen (max. 120): 104Lenkung (max. 40): 36Pedale (max. 20): 16Fahrverhalten (max. 60): 54Sicht (max. 50): 43Klima/Lüftung (max. 50): 41Sitze (max. 40): 36Armaturen/Instrumente (max. 50): 44Scheibenwischer (max. 30): 24Fahrerhaus (max. 240): 201 Gesamtwertung (max. 980): 857 + beeindruckende Fahrleistungen, ausgezeichneter Fahrkomfort, sehr niedrige Geräuschkulisse, hohe Materialgüte und Verarbeitungsqualität, ergonomisch gestaltetes Cockpit - hoher Diesel- und AdBlue-Verbrauch, teurer Anschaffungspreis und hohe Unterhaltskosten, schwache Motorbremse, umständlicher Bettenbau mit Sitzvorschub in der Kabine

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