HVO: Hilft viel, oder?

Wer durch Schweden oder Finnland fährt, der entdeckt an vielen Tankstellen den Treibstoff "HVO 100". Meist ist er deutlich teurer als herkömmlicher Diesel, aber eben auch sauberer. Hinter dem Zauberwort HVO verbirgt sich der Begriff "Hydrogenated Vegetable Oils", also ein Kraftstoff auf Basis von Pflanzen- oder Tieröl. Wir interpretieren die Abkürzung in eine andere Richtung: "Hilft viel, oder?" Wichtig ist zunächst das Ausgangsprodukt. HVO sollten nicht mit Biodiesel verwechselt werden, denn es handelt sich in der Herstellung um zwei völlig verschiedene Produkte. HVO können aus verschiedenen Stoffen gewonnen werden. Dabei nutzt man immer die Öle oder Fette eines Ausgangsproduktes, reinigt diese, versetzt sie mit Wasserstoff und erzeugt dadurch einen Treibstoff, der sich nahezu so verwenden lässt wie Diesel. Inhaltsstoffe sind zum Beispiel alte Küchenfette, Abfallprodukte aus der Tierschlachtung oder auch frische sowie gebrauchte Pflanzenöle. An diesem Punkt setzen oft Kritiker von HVO an, denn häufig wird für die Herstellung das günstige Palmöl verwendet. Die Hälfte der Importe innerhalb der EU, so schätzt es der Verein "Rettet den Regenwald", wird für die Produktion von Biodiesel und HVO verwendet. Größter Hersteller aus Finnland Auf der Suche nach den großen Produzenten kommt man an Neste nicht vorbei. Das Unternehmen ist seit 15 Jahren im HVO-Business tätig und erzeugt in diesem Jahr schätzungsweise 3,2 Millionen Tonnen des regenerativen Treibstoffes. Auf die Fahnen schreibt man sich das patentierte NExBTL-Verfahren, welches bei der HVO-Produktion zum Einsatz kommt. Carl Nyberg bekleidet bei Neste den Posten des "Executive Vice President Renewables Platform". Angesprochen auf das Thema Palmöl erhält man von ihm eine überraschende Antwort: "Wir werden bis Ende des kommenden Jahres komplett darauf verzichten", erklärt Nyberg. "Als wir begonnen haben, HVO zu produzieren, war es wichtig, Rohstoffe zu finden, für die es schon eine bestehende und verlässliche Lieferkette gab. Palmöl war so gesehen ideal, da es überall verfügbar war. Heute sehen wir das anders." Mittlerweile kommen die Ausgangsprodukte aus aller Welt, wobei vor allem Schlachtabfälle zum Einsatz kommen. Aber Neste pflegt auch andere Kooperationen: So arbeitet man beispielsweise in den Niederlanden mit McDonalds zusammen, indem altes Küchenfett in Treibstoffe umgewandelt wird. Je nach Ausgangsprodukt liegt laut Neste die Treibhausgasreduktion bei bis zu 90 Prozent. Dieser Wert wird aber nur mit tierischen Fetten erreicht, bei pflanzlichen Ausgangsprodukten liegt die Ersparnis bei etwa 60 Prozent, so der Hersteller. Auch in einer 2020 veröffentlichten Analyse des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages wurde das HVO von Neste erwähnt - im Zuge einer Studie hatte die TU Wien den Treibstoff untersucht und niedrigere Treibhausgas- und Partikelemissionen bei der Verbrennung festgestellt. Einsatz in Deutschland? Nun fragt man sich, warum HVO trotz des Sparpotenzials noch nicht in Deutschland als Reinkraftstoff eingesetzt werden darf. Das wird er - allerdings nur von einer Tankstelle, deren Betreiber namens Zieglmeier trotz gesetzlichen Verbotes einfach HVO 100 verkauft und wohl auch bislang dafür nicht belangt wurde. Tatsächlich schätzt Carl Nyberg von Neste Deutschland sogar als "sehr interessanten Markt" ein, und vermutet, dass Deutschland seine Klimaziele ohne HVO gar nicht erreichen könne. Technisch gesehen dürften nahezu alle neuen Lkw ohne Modifikation mit dem Diesel fahren. Verhindert wird der Einsatz bislang von der Politik. HVO darf als Reinkraftstoff nur in Kommunalfahrzeugen oder zu Versuchszwecken verwendet werden. Für eine generelle Inverkehrbringung gilt in Deutschland Folgendes: Kraftstoffe werden nicht als Marke zugelassen, sondern anhand ihrer technischen Parameter verschiedenen DIN-Klassen zugeordnet. Klassischer fossiler Diesel zum Beispiel fällt unter die DIN EN 590, HVO gehören zu den paraffinischen Kraftstoffen, die unter der DIN EN 15940 einklassiert sind. Um als Reinkraftstoff zugelassen zu werden, müsste die entsprechende DIN-Norm in die Bundesimmissionsschutzverordnung aufgenommen werden, in der die DIN EN 15940 bislang nicht zu finden ist. Dafür zuständig ist das Bundesumweltministerium, welches über einen Sprecher auf die Fragen der VerkehrsRundschau Stellung bezieht. So heißt es aus dem Ministerium, dass eine Zulassung dieser Norm als Reinkraftstoff die Folge hätte, das andere der sogenannten paraffinischen Kraftstoffe, welche möglicherweise gar keinen Umweltnutzen haben, auch auf den Markt gebracht werden dürften. Da diese billiger erhältlich seien, befürchte das Umweltministerium sogar einen negativen Umwelteffekt. Sind genug Rohstoffe vorhanden? Zudem bezweifelt das Bundesumweltministerium, dass genug Rohstoffe für die Herstellung von HVO verfügbar seien. Konkret heißt es in der Stellungnahme: "Auch ein verstärkter Einsatz grundsätzlich nachhaltiger Biokraftstoffe aus Altspeiseölen bzw. abfallbasierten Kraftstoffen ist nicht unproblematisch. Die verfügbaren Rohstoffe hierfür sind stark begrenzt und werden bereits vollständig eingesetzt. Eine Steigerung der Mengen abfallbasierter Kraftstoffe würde lediglich zu einem Abziehen dieser Rohstoffe aus anderen Sektoren führen." Tatsächlich, so ergaben es auch die Recherchen der VerkehrsRundschau, ist es nicht einfach, genügend Rohstoffe für die Herstellung von HVO zu finden. Die Servicegesellschaft Tierische Nebenprodukte (STN) befasst sich mit der Weiterverwendung von vermeintlichen Abfällen, die bei der Fleischproduktion anfallen. Deren Geschäftsführer Jörg Beer sieht in der Treibstoffproduktion große Chancen: "Die Herstellung von Kraftstoff ist schon heute eines der wichtigsten Felder, wenn es um die Weiterverwendung von tierischen Nebenprodukten geht", so Beer. "Auf diesem Wege wird beispielsweise Biodiesel produziert. Es ist ein großes Bestreben unseres Verbandes, diese Art der Weiterverwendung von Nebenprodukten zu fördern, denn so können auch umweltfreundliche Schiffs- oder Flugzeugtreibstoffe gewonnen werden." Und dennoch weist er darauf hin: "Die verfügbare Menge an Rohmaterial für tierische Nebenprodukte dürfte nicht ausreichen, um allein Deutschland mit nachhaltigen Treibstoffen zu versorgen. Sie kann aber einen wichtigen Beitrag dazu leisten." Neste will 2030 rund 40 Millionen Tonnen Müll- und Abfallstoffe zur Verfügung haben, um HVO herzustellen. Für wie viele Liter Diesel das reicht, ist unklar - Deutschland verbraucht pro Jahr mehr als 30 Millionen Liter davon. Unbeleuchtet ist dabei auch noch die Frage, welche Lücke Neste durch den starken Zukauf von Müll- und Abfallstoffen aufreißt. Sollten die Produkte beispielsweise eigentlich für den Einsatz in Kraftwerken gedacht sein, denen der wissenschaftliche Dienst des Bundestages in seiner Recherche einen höheren Wirkungsgrad bescheinigte, so würde sich dort ein Mangel ergeben, der möglicherweise durch fossile Rohstoffe geschlossen werden muss. Eigentlich ginge mehr Es stellt sich ferner die Frage: Warum werden HVO in Deutschland noch nicht so stark eingesetzt, wie es rechtlich möglich wäre? Das Bundesumweltministerium sieht aktuell eine Beimischung von bis zu 26 Prozent zu herkömmlichen Diesel als unproblematisch - praktiziert werden dem Sprecher zufolge lediglich drei Prozent. Weiter heißt es in der Stellungnahme: "Darüber hinaus ist es für das Klima unerheblich, ob die verfügbaren Mengen an nachhaltigen Kraftstoffen in wenigen Fahrzeugen in Reinform eingesetzt werden oder auf die gesamte Flotte verteilt als Beimischung." Ein valider Punkt, denn offenbar schaffen wir es schon heute nicht, so viel HVO einzusetzen, wie erlaubt ist. Wie sähe es dann erst mit einem teureren Reinkraftstoff aus? Der Grund für die geringe Beimischung mag an der Verfügbarkeit liegen, aber sicher auch beim Preis zu finden sein. HVO sind in der Herstellung deutlich teurer als fossiler Diesel. Der Preisunterschied an der Zapfsäule hängt vom Land ab - Zieglmeier Tankstellen schreibt von etwa 15 Cent Unterschied pro Liter. Komm die Zulassung doch? Auch wenn das Bundesumweltministerium momentan gegen HVO als Reinkraftstoff ist, scheint es Gesprächspotenzial zu geben. Das Bundesverkehrsministerium musste bekannterweise ein Sofortprogramm zum Erreichen der Klimaziele aufsetzen. Darin findet sich als kleiner, etwas versteckter Punkt die Idee, HVO und andere synthetische Kraftstoffe der DIN-Norm in ihrer Reinform zuzulassen. Auch wenn das Sofortprogramm noch nicht endgültig beschlossen ist, laufen derzeit schon informelle Gespräche zwischen dem Bundesumweltministerium und den Kollegen des Verkehrsressorts. Unklar ist allerdings, ob dabei wirklich konkret schon über eine Zulassung der paraffinischen Kraftstoffe debattiert wird. Um zur Ausgangsfrage zurückzukommen: Hilft viel, oder? Deutschland profitiert bislang kaum von HVO und der Weg scheint weit zu sein. Die Tatsache, dass die Herstellung auch von Massentierhaltung abhängt, dürfte nicht gerade Freudenstürme in der Bevölkerung auslösen. Der Trend zeigt eher in Richtung weniger Fleischkonsum - wer in der Folge täglich ein Auto mit Treibstoff auf Tierbasis fährt, lügt sich selbst in die Tasche. Trotzdem sollte man HVO nicht abschreiben, denn Fleischkonsum wird es immer geben und die ordentliche Verwertung der Nebenprodukte ist nichts weiter als eine moralische Pflicht. Es gilt, ungenutzte Potenziale zu finden und zu verwerten. Das dürften in Deutschland zwar nur kleine Mengen sein, aber Sie wissen ja, wie es mit dem Kleinvieh ist: Das macht Mist. Und indirekt auch Diesel. Mehr zum Thema finden Sie unter #Diesel www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Häufig stolpert man über vermeintliche Super-Treibstoffe, die die Welt revolutionieren sollen. HVOs sind ein Beispiel dafür. Sie sind umweltfreundlich und theoretisch sofort verfügbar. Problematisch könnte die langfristige Beschaffung werden - und damit der eigentliche klimatische Nutzen des Diesel-Ersatzes. HVO-Nische gesucht HVO bringen wohl einige Umweltvorteile mit sich, aber die Beschaffung dürfte schwierig werden. In gewissen Mengen lassen sich HVO problemlos anbieten, eine breitflächige Versorgung der Tankstellen Europas scheint unwahrscheinlich. Es braucht dafür große Mengen an Schlachtabfällen, wobei der gesellschaftliche Trend eher in Richtung weniger Fleischkonsum geht. Trotzdem könnten HVO in Maßen produziert wichtige Märkte für sich gewinnen, wie etwa die Schiff- oder Luftfahrt.

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