Zug um Zug auf die Schiene

Ein ehrgeiziges Ziel hat sich der Handelskonzern Otto Group gesetzt: Bis 2020 sollen die Kohlendioxid-Emissionen im Vergleich zu 2006 um die Hälfte, fast 150.000 Tonnen, reduziert werden. In der Beschaffungslogistik ist dafür vor allem eine deutliche Verringerung des Luftfrachtanteils geplant, erläutert Andreas Streubig, Leiter Corporate Responsibility. Kein einfacher Schritt, wenn - wie heute fast überall im Handel - ein nennenswerter Anteil der Waren aus China geliefert wird und es öfter schnell, also per Luftfracht, gehen muss. Schließlich ist die klassische Alternative Seefracht einen guten Monat unterwegs. Streubigs Lösung: Im vergangenen Jahr wurden zunächst zehn Prozent der Luftfrachttonnage aus der Volksrepublik auf die Bahn umgestellt. Die Container sind binnen zwei Wochen in Hamburg, die Emission liegt um 96 Prozent unter der des Lufttransports. Hinzu kommt ein netter Nebeneffekt: Die Kosten jeder verlagerten Tonne liegen um 70 Prozent unter der Luftfrachtrate, so Streubig. China legt Fokus auf den Bahnverkehr Eine Verlagerung auf die Schiene zugunsten der Umwelt - das ist ganz im Sinne der Chinesen. Nach jahrelangen Milliarden-Investitionen in das Straßennetz und die Flughäfen legt die chinesische Regierung inzwischen einen vermehrten Fokus auf den Bahnverkehr. Emissionsvermeidung spielt dabei eine zentrale Rolle. Zu heftig hat das Land, inzwischen der weltgrößte Emittent von Kohlendioxid, unter den Folgen seines schnellen Wachstums im Hinblick auf die Umwelt zu leiden. Vor allem in den Wintermonaten nimmt die "Airpocalypse", eine extrem hohe Schadstoffbelastung der Luft, den Einwohnern von Metropolen wie Beijing und Shanghai buchstäblich den Atem. "Der Umweltverschmutzung den Krieg erklärt" hat Premier Li Keqiang vor gut einem Jahr. Präsident Xi Jinping ist im November erstmals eine konkrete Verpflichtung zur Reduzierung der Emissionen eingegangen. Zeitgleich hat er Investitionen von 40 Milliarden Dollar in den Ausbau einer neuen "Seidenstraße" angekündigt. Ein Großteil des Geldes soll in den kommenden Jahren in eine neue Bahnverbindung fließen, durch Zentralasien und den Iran nach Istanbul und weiter nach Europa. Der Schutz der Umwelt ist nicht der einzige Treiber des Projektes. Außerdem soll der Westen des Landes, der immer wichtiger wird für Produktionsbetriebe, aber per Bahn oder Lkw mehrere Tagesreisen von den Seehäfen an der Küste entfernt ist, besser angebunden werden an die Märkte in Europa. Die Nachfrage der Verlader steigt Schon heute ist eine Reihe an Zügen auf der Verbindung unterwegs. Mit wachsendem Erfolg: Über 300 Züge seien im vergangenen Jahr auf der Strecke gefahren, sagt Karl-Friedrich Rausch, Vorstand Transport und Logistik der Deutschen Bahn. 30.000 Container haben sie transportiert, rund doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Es sollen noch deutlich mehr werden. Bis Ende 2015 kündigte Rausch allein auf der Strecke China nach Duisburg vier Züge in der Woche an, bisher sind es drei. Auch in der Gegenrichtung und auf der Verbindung nach Hamburg soll der Verkehr ausgebaut werden. "Das Interesse an den Schienentransporten steigt beständig", bestätigt Bruno Selmoni, Leiter Road Freight und Multimodal für die Region Asien-Pazifik bei DHL. In der vergangenen Hochsaison, im vierten Quartal, habe die Nachfrage nach Zugplätzen oft das Angebot überstiegen. Zahlen will Selmoni nicht nennen und er räumt ein, dass die Volumina verglichen mit den See- und Luftfrachtverkehren aus China noch klein seien. Doch vor einigen Jahren sei DHL mit gerade einmal einem Container gestartet. Inzwischen fahren fahrplanmäßig zwei Züge in der Woche, einer aus Chengdu, der andere aus Suzhou. "Der Bahntransport rechnet sich vor allem bei Produkten, die schnell und preislich günstiger als die Luftfracht sein müssen, etwa Aktionswaren in der Bekleidungsindustrie oder Geräte aus der High-Tech- und Elektronikindustrie", sagt Chen Si, Head of Rail Eurasia beim Logistiker Hellmann, der seit zwei Jahren China-Transporte auf der Schiene anbietet. Sowohl Teilladungen als auch Komplettladungen kommen dafür infrage. Für die Automobilindustrie organisiert Hellmann beispielsweise neben Verladungen von Einzelteilen auch den Transport kompletter Fahrzeuge für den chinesischen Markt. Zudem hat der Logistiker für einen Kunden aus der chemischen Industrie kombinierte Rail-Sea-Containerverkehre entwickelt. Von Deutschland geht es per Bahnfracht nach Fernost-Russland, anschließend mit Seefracht in die nordöstlichen Seehäfen Chinas. Auch DB Schenker transportiert für die Autoindustrie, für BMW fahren wöchentlich bis zu 60 Container mit Fahrzeugkomponenten von den Standorten Leipzig und Wackersdorf zum BMW-Brilliance-Werk in Shenyang im Nordosten Chinas. In der umgekehrten Richtung fährt der Computerkonzern Hewlett-Packard inzwischen zwei Drittel seiner im Werk Chongqing hergestellten Produkte per Bahn nach Europa. Einer der Anbieter der Zugverkehre ist die 2004 gegründete Trans Eurasia Logistics (TEL), ein Tochterunternehmen von Deutscher Bahn und Russischer Eisenbahn. TEL funktioniert als Bahnoperateur, der den Einkauf der Transportleistung und das operative Tagesgeschäft mit den beteiligten Staatsbahnen koordiniert. Verlader arbeiten dagegen klassisch mit Spediteuren zusammen, beispielsweise Hellmann, DB Schenker oder DHL. Eine Vielzahl der anfänglichen Probleme - Sicherheitsbedenken, Zollprüfungen, unterschiedliche Spurweiten - sind inzwischen gelöst. Trivial sind die Transporte nicht. "Die Regionen, durch die wir fahren, können im Winter eisig kalt werden, im Sommer auch brütend heiß", sagt Selmoni von DHL. In Sibirien sind Temperaturen von minus 40 Grad Celsius in den Wintermonaten nicht ungewöhnlich. Empfindliche Ware, etwa Kommunikationselektronik, transportieren die Anbieter daher im Winter über mehrere Monate temperaturkontrolliert. Ein Problem für die Spediteure: Ähnlich wie bei der Seefracht sind die Verbindungen in Richtung Europa heute noch stärker ausgelastet als jene in die Gegenrichtung. Doch mit wachsendem Wohlstand und Konsum in der Volksrepublik ändert sich das langsam. Im Dezember kam ein Zug aus Yiwu in der Provinz Zhejiang nach 13.000 Kilometern Fahrt in Madrid an, beladen mit Spielwaren, Papierbedarf und Wohnaccessoires für das Weihnachtsgeschäft. Er machte sich prompt auf die Rückreise - um Olivenöl, Schinken und andere spanische Delikatessen rechtzeitig zum chinesischen Neujahrsfest in die Volksrepublik zu bringen. Zwei Routen für die Transporte Durch den wilden Osten - über die nördliche oder südliche Route Der Zugverkehr zwischen der Volksrepublik und Europa erfolgt heute über zwei Routen. Die nördliche Strecke verläuft durch Sibirien, nördlich der Mongolei, die südliche Route erstreckt sich über Kasachstan, Russland und Weißrussland. Durchschnittlich sind die Züge zwischen 16 und 19 Tagen unterwegs, in denen sie 10.000 bis 12.000 Kilometer zurücklegen.Eine zusätzliche Herausforderung stellen die unterschiedlichen Spurweiten auf der Strecke dar, zwei Mal müssen die Container auf ihrem Weg umgesetzt werden. China hat die gleiche Spurweite wie Europa. In Weißrussland, Russland, der Mongolei und Kasachstan wird auf Breitspur gefahren. Der Wechsel von der Normalspur (1435 Millimeter) auf die Breitspur (1520 Millimeter) erfolgt in Asien entweder an der mongolisch-chinesischen Grenze in Erlian/Zamyn Uude, an der chinesisch-russischen Grenze in Zabaykalsk/Manzhouli oder an der chinesisch-kasachischen Grenze in Dostyk/ Alashankou. In Brest/Malaszewicze, an der Grenze zwischen Weißrussland und Polen, wechseln die Container im europäischen Teil der Trasse wieder auf Normalspur. cw

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