Wenn Kollege Computer disponiert

Wenn die über 100 Disponenten des österreichischen Logistikriesen Quehenberger Touren für Teil- und Komplettladungen auf dem Transportmanagementsystem "Translogica" planen, werden ihnen mögliche Routen in Grün, Blau und Rot angezeigt. "Mit Grün markiert unsere Software die aus arithmetischer Sicht optimale Tour", sagt Thomas Kogler, Produktmanager von Quehenberger. "Mit Blau kennzeichnet sie Alternativen, welche ebenfalls infrage kommen, aber höhere Preise, größere Entfernungen und andere Nachteile haben. Von 'roten Touren' rät sie definitiv ab." Die Disponenten müssen entscheiden, ob sie die "grüne Tour" nehmen oder lieber auf eine "blaue" ausweichen. Für einen solchen Schritt kann es laut Kogler gute Gründe geben. Der beauftragte Subunternehmer gilt als besonders zuverlässig oder kann seinen Lkw mit einer Rückladung auslasten. Er fährt also unterm Strich doch wirtschaftlicher als der von der Software ausgewählte Kandidat. Der Disponent hat das letzte Wort Automatische Dispositionslösungen sind im Kommen. Die Prozesse solcher Systeme gleichen sich. Die Softwares schlagen den Disponenten Lösungen vor, welche die Anforderungen ihrer Arbeitgeber vor allem in puncto Kosten- und Zeiteffizienz besonders überzeugend erfüllen; die Disponenten entscheiden, ob sie diesen Vorschlägen folgen oder nicht. Gerne stellen Arbeitgeber solche Lösungen als praktische Alltagshilfen dar, welche die Mitarbeiter von Routinearbeiten entlasten und ihnen mehr Zeit für die Betreuung der Kunden lassen. "Wir unterstützen die Disponenten bei der kostenoptimalen Ladungsvergabe und Fahrzeugauswahl", sagt Kogler. Allerdings räumt er ein, dass solche Softwares für viele Disponenten eine Zäsur darstellen. Bei der Zusammenstellung von Touren und Auswahl von Frachtführern waren sie es gewohnt, ihren Erfahrungen zu folgen. "Mit der Software können unsere Disponenten den Anforderungen der Kunden optimal Rechnung tragen", betont Kogler. Mutmaßungen, mit solchen Produkten könnten Arbeitsplätze abgebaut werden, weist bislang jeder Anwender zurück. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass auf Dauer weniger Mitarbeiter benötigt werden. Mit "Translogica" hat sich Quehenberger für eine Lösung der Innsbrucker Software-Schmiede InfPro entschieden, die sich als Spezialist für die Automatisierung von internen Prozessen aller Art einen Namen gemacht hat. Aber auch andere Spedition versuchen, mit Managementsystemen ihre Abläufe zu verbessern. So hat Dachser seine Planungssysteme gründlich überarbeitet und wird diese 2020 in ganz Europa ausrollen. Im Fokus steht das Forecasting. "Frühe Informationen über den zu erwartenden Wareneingang erleichtern die Kapazitätsplanung für die Zustellung am nächsten Tag", sagt Thomas Schmalz, verantwortlich für das Produktionsmanagement von Dachser. Die Vordisposition erledigt die Software automatisch. Der Disponent nimmt anschließend auf einer grafischen Benutzeroberfläche Optimierungen vor. Er nutzt hierfür eine Datenbank mit Informationen über Öffnungszeiten sowie Anlieferbedingungen und -restriktionen. Ohne künstliche Intelligenz (KI) sind die meisten Lösungen für eine automatische Disposition nicht vorstellbar. Auf der Messe Transport Logistic 2019 wurden mehrere Systeme vorgestellt, welche sich an breitere Zielgruppen wenden. Der Software-Anbieter LBase präsentierte eine Tourenplanung, welche Sammelverkehre für Stückgut automatisch optimiert. Die Plattform Loadfox stellte das neue Tool "Planner" vor, das mit KI selbstlernende Dispositionspläne erstellt. Die Algorithmen hinterfragen bei jedem Abruf bisherige Entscheidungen und versuchen, wiederkehrende Muster zu identifizieren. Wenn diese existieren, können bereits optimierte Dispositionspläne nochmals verbessert werden. 2020 will das Münchner Unternehmen mit einer Beta-Version in den Markt gehen. CEO Sebastian Sorger verspricht nicht weniger als eine Lösung für jeden Logistikdienstleister. Die Beta-Version wendet sich an Unternehmen mit mindestens 50 Lkw, die endgültige Version soll dann für jeden Dienstleister unabhängig von der Fahrzeugzahl eine effizientere Disposition ermöglichen (siehe Interview unten). Von anderen Tools grenzt Sorger den "Planner" scharf ab. "Die vorhandenen Individuallösungen mancher Unternehmen setzen hohe Invests voraus und machen den Anwender von einem Anbieter abhängig", sagt der Geschäftsführer. "Und die übrigen Anbieter haben unserer Meinung nach nur Teillösungen realisiert und können deshalb keinen vollständigen Dispoplan erstellen." Über ein fertiges Produkt verfügt jetzt die Geis-Gruppe. Geis disponiert Nahverkehre teilautomatisiert und führt mit dem IT-Tool "Tour-Assistent" seines Transportmanagementsystems eine Vordisposition für Zustellfahrzeuge ein. "Dieser Prozess beruht auf Erfahrungswerten der Disposition sowie vorhandenen Routings und Zustellgebieten, die in einer Stammdatei hinterlegt sind", erläutert Klaus Stäblein, Deutschland-Geschäftsführer Road der Geis-Gruppe. Außerdem identifiziert der Tour-Assistent Großempfänger anhand von Adressdaten und berücksichtigt Sendungsdaten. Der Disponent prüft den Vorschlag des Assistenten und führt anschließend "Feindispositionen" (Stäblein) durch. Solche Prozesse hält der Logistikmanager weiterhin für zwingend erforderlich. "Ausschließlich der Disponent kennt Warenannahmezeiten und andere Besonderheiten der Kunden", erläutert Stäblein. Er müsse gegebenenfalls fehlende Sendungen "wegdisponieren" und dann Abholund Zustellaufträge neu kombinieren. Verkehrsstörungen und Fahrer- oder Fahrzeugausfälle machen ebenfalls regelmäßig Neuplanungen erforderlich. "Für eine vollständig automatisierte Lösung benötigen wir eine vielfach verbesserte Datenqualität", zeigt Stäblein Grenzen auf. Je mehr Daten vorliegen, desto besser Denn je mehr Datenquellen zur Verfügung stehen und je höher deren Qualität ist, desto bessere Lösungen kann eine automatisierte Dispositionssoftware entwickeln. Während der letzten Jahre haben die InfPro-Spezialisten die Datenbasis der Quehenberger-Lösung ständig erweitert. Heute zeigt diese nicht nur Fahrtkosten, Leerkilometer und andere Fahrzeug- und Ladungsparameter an, sondern ruft auch die Daten von Subunternehmern und GPS-Providern ab. Der Standort eines jeden Lkw, der gerade frei ist und Ladungen übernehmen kann, wird von der Software erfasst. Wenn er dann eine Tour übernommen hat, werden deren Daten regelmäßig abgerufen. "Wir können jetzt auch unseren Kundenservice verbessern und mit Geofencing die voraussichtliche Ankunftszeit seiner Sendung mitteilen", freut sich Kogler. Außerdem verfügt Translogica über eine Schnittstelle zu Timocom. Für Lkw ohne Rückladungen werden automatisch geeignete Sendungen auf der Frachtenbörse angezeigt. Heute arbeiten alle 18 österreichischen Quehenberger-Niederlassungen mit Translogica. Jetzt werden auch die ausländischen Standorte angeschlossen. Bei den deutschen Niederlassungen in Berlin, Hamburg und Weiterstadt soll es noch 2019 so weit sein. Weltweit hat Quehenberger 85 Standorte in 19 Ländern - es gibt also noch einiges zu tun. Mehr zum Thema im Dossier "Speditionssoftware" www.verkehrsrundschau.de/dossiers In Kürze Transportmanagementsysteme, die die Disponenten bei der Tourplanung unterstützen, setzen sich immer mehr durch in Speditionen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die jeweiligen Systeme der Software-Anbieter immer leistungsfähiger werden. Dabei setzen die meisten Lösungen auch auf Künstliche Intelligenz (KI). 56 Prozent der Tätigkeiten in der Verkehrsund Logistikbranche können laut einer Studie des Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) von Computern übernommen werden.

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