Von Rennern und Pennern

Da kann Gerhard Mahlmann nur neidisch zu seinem Kollegen Michael Bargl hinüberblicken. Von 30 Minuten Wartezeit an der Rampe hatte der IDS-Geschäftsführer berichtet: Länger warten die Fahrzeuge der Stückgutkooperation nicht, dann eilen sie zum nächsten Abladeort. Mahlmann ist da ganz anderes gewohnt. "Unsere Lkw warten auch schon mal fünf Stunden, bevor sie entladen werden", sagte der Inhaber und Geschäftsführer der Neumöbelspedition Heinrich Mahlmann in Steinheim. "Was da alles schiefläuft. Der Wahnsinn", schüttelte er auf einer Diskussionsrunde der VerkehrsRundschau auf der Messe Transport Logistic 2019 in München den Kopf über die Lage beim Möbelhandel. Doch auch Bargl und seine Unternehmen im Stückgutverbund IDS halten den Zustand an den Annahmestellen der Warenempfänger für untragbar: "Im Verteilerverkehr müssen pro Tag 15, manchmal auch 20 Empfänger angefahren werden. Wir kalkulieren daher mit neun Minuten Wartezeit. 20 Minuten sind schon schlimm, 30 Minuten eine Katastrophe. " Bargl schilderte die Folgen, wenn die Fahrer zu lange warten müssen. Zum einen seien damit Umsatzeinbußen verbunden. "Viel gravierender sind jedoch die Folgen der Verzögerungen: Die lösen Stress bei den Fahrern aus, weil sie das vorgeschriebene Pensum nicht mehr schaffen", sagte Bargl. Die Folge: Dort, wo sie lange warten müssen, wollen sie nicht mehr abliefern. "Der Fahrermangel entscheidet sich auch an der Rampe. Wenn sich die Situation nicht verbessert, bricht die Supply-Chain unserer Kunden zusammen", prophezeit Bargl. Auch Mahlmann sieht gravierende Engpässe auf die Branche zukommen: "Immer weniger junge Menschen sind bereit, den Job des Fahrers zu übernehmen." In der Neumöbellogistik komme erschwerend hinzu, dass die Anforderungen höher sind. Handwerkliches Geschick und die Kenntnis der deutschen Sprache sind unerlässlich. Immerhin, mit Zimlog gibt es eine Initiative, bei der die Akteure gemeinsam versuchen, die Probleme an der Rampe zu lösen (siehe Kasten Seite 26). Es gilt das Prinzip des Kriegsvölkerrechts Doch die Speditionen müssen sich auch nicht alles gefallen lassen. "Der Frachtführer hat Anspruch auf eine angemessene Vergütung, auf ein Standgeld, wenn er länger warten muss", verweist Detlef Neufang, Geschäftsführer des Bundesverbandes Wirtschaft, Verkehr und Logistik (BWVL), auf den Paragrafen 412 des Handelsgesetzbuchs. Doch die Einschränkung folgt umgehend von ihm selbst: "Die Praktiker werden zu Recht einwenden: In einer kaufmännischen Beziehung gelten keine Paragrafen. Dort gilt im Wesentlichen das Prinzip das Kriegsvölkerrechts, und das heißt: Macht geht vor Recht." Will heißen: Häufig trauen sich die Frachtführer nicht, ihr Recht einzufordern, weil sie befürchten, dann den Auftrag zu verlieren. Bei aller Kritik: Es gibt durchaus positive Beispiele, wie Warenempfänger versuchen, ihr Rampenmanagement zu verbessern. So hat Thyssenkrupp Steel Europe (TKSE) in seinem Stammwerk in Duisburg zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um die Abwicklung der Lkw zu beschleunigen. Dazu gehören Umbaumaßnahmen am Tor, aber auch veränderte Prozesse. So stellt das Unternehmen das Zeitfenstermanagement um, von einer starren auf eine flexible Regelung: "Wir wollen künftig wissen, welche Lkw auf unser Tor zurollen: Ist das Fahrzeug auch in der Lage, den Slot zu halten? Wenn nicht, erfolgt eine Kommunikation und eine Umbuchung, ein anderes Fahrzeug wird vorgezogen und das verspätete bekommt einen neuen Slot", erklärte Bert Kloppert, bei TKSE für die Logistik verantwortlich, die Veränderungen. Welche weiteren Möglichkeiten zur Reduzierung der Wartezeiten gibt es? Nach Ansicht von Paul Wittenbrink, Professor für Spedition, Transport und Logistik an der Dualen Hochschule in Lörrach, muss an zwei gravierenden Engpässen angesetzt werden: Zum einen sei eine stärkere Bündelung der Sendungen am Empfang erforderlich. Damit würde die durchschnittliche Sendungsgröße steigen und somit die Zahl der Anlieferungen. Zum anderen müsse der Fokus in der Prozesskette verändert werden. Bislang stünde der Kunde im Mittelpunkt, künftig müsste es die Fahrerzeit sein. "Das bedeutet dann auch eine ganz andere Preiskalkulation als bislang", sagte der Logistikexperte. Portal mit Renner und Penner Einen neuen Ansatz brachte Bargl in die Debatte ein. "Wir müssen unmittelbares Feedback geben, ob eine Rampe gut oder schlecht war", lautete sein Vorschlag. Ihm schwebt eine Bewertung vor, wie sie auch bei Hotels oder Ärzten üblich ist, "ein Portal mit Renner und Penner", wie er es formulierte. "Für Empfangsorte, die besonders gut sind, könnten Sendungen dann billiger sein. Wo es nicht so gut läuft, könnten die Preise in die andere Richtung gehen", hält Bargl zudem finanzielle Anreizmechanismen für denkbar. Bei den Diskussionsteilnehmern stieß Bargl zwar auf Zustimmung, allerdings versehen mit leichter Skepsis. So warf Neufang ein, dass unsachliche Schmähkritik vermieden werden muss. "Die Idee ist nicht schlecht, wir könnten uns vorstellen, mitzumachen", signalisierte Mahlmann Bereitschaft. Wittenbrink merkte an: "Es braucht eine neutrale Institution, die das übernimmt. Das können nicht die Spediteure machen." Und Kloppert begrüßte, mehr Transparenz zu schaffen: "Das streben wir ja auch für unsere Ladestellen an." Laut Bargl werde derzeit an dem Konzept noch gearbeitet. "Wir hoffen, im Herbst einen entsprechenden Plan vorstellen zu können." Ob diese Lösung tatsächlich einen Durchbruch bedeutet, wird die Zukunft zeigen. Aber Änderungen sind notwendig und werden kommen, wie Mahlmann zusammenfasste: "Ducken nutzt nichts, Kopf raus und kämpfen lautet die Devise." Ein Film von der Diskussionsrunde in der Mediathek: www.verkehrsrundschau.de/mediathek In Kürze An dem Rampen scheiden sich die Geister: Die anliefernden Dienstleister beklagen die viel zu langen Wartezeiten. Doch viele Warenempfänger zeigen sich immun gegen diese Kritik. Ein neues Bewertungsportal soll jetzt für Druck sorgen und Rampenbetreiber dazu bringen, die Warenannahme besser zu organisieren. Sieben Videos zum Rampenmanagement Hektisches Verladepersonal, staugeplagte Fahrer, gestresste Abfertiger, überforderte Pförtner: alles eine Folge langer Wartezeiten an den Rampen. Zwar gibt es für die Lösung dieser Probleme keine Patentrezepte. Aber in sieben Videoschulungen wird eine Reihe von Maßnahmen aufgezählt, mit denen erhebliche Verbesserungen erzielt werden können. Die Videos finden Abonnenten kostenfrei auf VerkehrsRundschau plus:www.verkehrsrundschau.de/plus/rampe

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