Trè(s) bien!

"Ist ja gar nicht so groß", dürfte sich Mitte September der eine oder andere Besucher der Werkseröffnung von Nikola gedacht haben. Geschätzt war der Raum so groß wie eine Schulsporthalle, in der Mitte stand eine große Bühne, rundum mit schwarzen Laken ausgehängt. Und dann drückten der CEO Mark Russell und sein Amtskollege von Iveco, Gerrit Marx, auf einen großen Knopf auf der Bühne. Die Vorhänge fielen und enthüllten die dahinter versteckte, 11.000 Quadratmeter große Produktionshalle. Spätestens da war allen Beteiligten klar: Nikola meint es wohl wirklich ernst. Für die Produktion des hauseigenen E-Lkw hat man sich jedenfalls einen geschichtsträchtigen Ort ausgesucht, denn in eben jenem Bau wurde einst der erste Iveco Stralis gefertigt. Nach der Auslagerung der Produktion nach Madrid stand der Komplex leer und wurde jetzt mit neuem Leben gefüllt. Nikola - wer ist das eigentlich? Das Start-up war in den letzten Jahren immer wieder in die Schlagzeilen geraten. So hatte man groß einen Wasserstoff-Lkw für den europäischen Markt angekündigt, wurde schon als das Tesla des Schwerverkehrs bezeichnet und machte mit dem "freiwilligen" Abgang des geistigen Vaters und Ex-CEOs Trevor Milton von sich reden. Dieser wird nach wie vor des Betrugs beschuldigt und hat sich aus dem operativen Geschäft - so scheint es zumindest - zurückgezogen. Der Name Trevor Milton fiel zwar bei der Werkseröffnung. CEO Russell beließ es aber bei ein paar unspektakulären Worten und machte damit freundlich klar: Das Thema hat hier heute nix verloren. Stattdessen zeigte man stolz, zu was man mittlerweile in der Lage ist. Der Nikola Tre BEV wird zumindest zeitweise das Flaggschiff des Konzerns sein. Ein E-Lkw, der seinen Rahmen und die Kabine vom Iveco Stralis bezieht, ansonsten aber von Nikola ausgerüstet wird. So bauen die Techniker einen 645 PS-starken Elektromotor ein, der seine Kraft über ein 1-Gang-Getriebe auf die Straße bringt. Bemerkenswert ist die Kapazität des Batteriepaketes, das satte 753 Kilowattstunden liefern soll. Zum Vergleich: Der VW ID.3 hat in der größten Konfiguration ein Zehntel davon. Für schwere Aufgaben Nun darf man aber auch nicht vergessen, dass der Nikola Tre für den Transport an der Oberkante, sprich 44 Tonnen, ausgelegt ist. Laut Nikola-Rechnung soll der Lkw im Alltag 560 Kilometer Reichweite bringen. Ob dieser Wert tatsächlich erreicht wird, muss man im Alltag austesten. Nach den bisherigen Erfahrungswerten mit anderen E-Lastzügen könnte das aber realistisch sein. Jedenfalls beginnt Nikola ab diesem Herbst mit der Produktion des Tré in der Batterievariante. Zu Beginn wird lediglich die 6x2-Version gebaut. Das bedeutet: keine Fahrzeuge für den deutschen Markt, denn hierzulande soll dem Vernehmen nach nur die 4x2-Variante vertrieben werden. Eine kleine Ausnahme bleibt aber der Hamburger Hafen: Denn Hamburg Port Authority (HPA) wurde für die Erprobung in Europa ausgewählt und bekommt im Laufe des kommenden Jahres 25 Nikolas nach amerikanischem Modell zur Verfügung gestellt. Die Produktionskapazität des Werkes ist zu Beginn noch überschaubar: Zwei Lkw sollen pro Woche vom Band laufen. Gegen 2023 erwartet man dann einen Sprung auf ein Fahrzeug pro Tag. Eine kleine Testrunde Logischerweise wollte Nikola seinen neuen Tre noch nicht für einen ausgedehnten Reichweitentest zur Verfügung stellen. Aber zumindest durften wir an der Seite eines Werksfahrers eine Runde durch das Iveco-Testoval in Ulm drehen. Und siehe da: Der Tre fährt - und zwar "très bien". Die Lautstärke ist sehr gering; zudem beeindruckt die Beschleunigung trotz Beladung mit einem heckbündigen 20-Fuß-Container. Unsere Vorführ-Konstruktion hatte laut der Test-Crew ein Gesamtgewicht von 36 Tonnen, war also gutbeladen. Dennoch würde man mit dem Nikola an der Ampel den einen oder anderen Pkw stehen lassen, wenngleich das sicher auf Kosten der Reifen und manch eines Verschleißteiles gehen würde. Denn so toll das Drehmoment eines E-Lkw auch ist, so hoch ist dadurch natürlich die Belastung der Komponenten. Merksatz beim E-Lkw: Soll der Brummi lange leben, darfst du ihn nicht feste treten. Amen. Noch ein Tre Das war aber noch nicht alles, was Nikola bei dem Event auf Lager hatte: Denn es gab noch einen zweiten Bereich, der mit schwarzen Vorhängen verdeckt war. Nach einem erneuten Countdown fiel auch hier der Stoff und entblößte eine seriennahe Version des Nikola Tre FCEV (fuel cell electric vehicle) - also die Brennstoffzellen-Version des Lkw. Dieser basiert auf seinem Batterie-Bruder, erhält aber statt der Akkus fünf Wasserstoff-Tanks, die dank 700 bar-System einmal rund 70 Kilogramm Wasserstoff speichern können sollen. Anvisierte Reichweite: mehr als 800 Kilometer. Der Brennstoffzellen-Nikola soll auch in Ulm gebaut werden. 2023, so der Plan, werden die ersten sieben Prototypen (zwei für Deutschland, fünf für die USA) zusammengesetzt und dann in die Erprobung geschickt. Danach folgt die Serienfertigung. Parallel baut Nikola mit mehreren Partnern ein Tankstellennetz für seine Wasserstoff-Lkw auf; denn auch das gehört zum Businessplan dazu. So schreibt man also eine spektakuläre Geschichte: In der Halle des ersten Stralis läuft bald der erste Nikola Tre vom Band. Aus Sicht der Angestellten vor Ort hat diese Story hoffentlich ein schöneres Ende als die des Stralis - also, gar keines. Jedenfalls hat Nikola schon mal das nächste Modell "Two" angekündigt. Da meint es wohl jemand ernst. Mehr zum Thema finden Sie unter #ElektroLkw www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Nikola hat in der Vergangenheit kräftig Kritik einstecken müssen. Auch heute noch sehen viele in dem Start-up eine Luftnummer. Aber der Schritt, die Produktion zu starten, hat wohl vielen gezeigt: Hoppla, die machen ja wirklich was. Und wir durften es live an Bord miterleben: Der Nikola Tre fährt - auch ohne Gefälle.

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