SOS bei Adblue

Man möchte sich die Augen reiben und hoffen, dass es nur ein schlechter Traum war. Doch die Wirklichkeit ist gnadenlos: Wieder einmal steht das Harnstoffgespenst vor der Tür und klopft mächtig an. Seit Wochen steigt der Preis für das Additiv und droht, alles zum Stillstand zu bringen. Für die Abgasnachbehandlung mittels selektiver katalytischer Reduktion (SCR) ist bei Dieselmotoren die Zuführung von Harnstofflösung - Markenname Adblue - erforderlich. Fehlt diese, stehen alle Fahrzeuge mit Euro-VI-Dieselmotoren still, nicht nur circa 90 Prozent der Lkw. Zusätzlich zu den hohen Dieselpreisen sorgt die Entwicklung bei Adblue sowohl aufgrund von dramatischen Preissteigerungen als auch durch den Mangel des Produkts als solches für den nächsten Schock für Transport, Logistik und Verlader. Führte Adblue bis vor Kurzem ein Schattendasein als Kostenfaktor mit im Vergleich zum Diesel relativ geringem Mengenbedarf, war das Ob der Verfügbarkeit schon gar keine Frage. Mit den drastisch steigenden Energiekosten stiegen die Produktionskosten vor allem für das Grundprodukt der Adblue-Produktion, Ammoniak. Dieser wird für die Produktion von Düngemitteln benötigt, Adblue ist dabei ein Nebenprodukt. Aufgrund der stark gestiegenen Erdgaspreise ist die Produktion der gesamten Produktkette in Europa aktuell unwirtschaftlich mit der Folge, dass die Produktionsstandorte ihre Arbeit entweder gedrosselt oder gänzlich eingestellt haben. Das kostbare Gut ist physisch knapp mit drastisch steigender Tendenz. Bei ähnlicher Folgewirkung war die Ursache im vergangenen November eine andere gewesen: Landwirte hatten keinen unmittelbaren Kaufbedarf und in der Hoffnung auf sinkende Gaspreise abgewartet, um den Dünger zu einem späteren Zeitpunkt und dann vermeintlich günstigeren Preisen zu kaufen. Während die dadurch verursachten Produktionsrückgänge bei Dünger und als Folge auch beim Harnstoffadditiv zum Glück nicht zu einer fundamentalen Gefährdung der Versorgung geführt hatten, könnte sich die Situation dieses Mal anders entwickeln. Das liegt zum Teil auch an der grundsätzlichen Belastung der Düngemittelproduzenten durch die Gasumlage. In Verbindung mit den gleichsam volatilen wie hohen Gaspreisen von kürzlich 350 Euro und aktuell 200 Euro pro Megawattstunde erscheint ein Wiederanfahren der Ammoniakproduktion in Deutschland ebenso wie im Rest Europas in relativer Ferne. In den Niederlanden wird im Zuge dieser Produktionseinstellung zusätzlich vor der Verknappung von Trockeneis gewarnt, auch ein Nebenprodukt der Düngerherstellung, das unter anderem für den temperaturgeführten Transport von Medikamenten verwendet wird. Während bei der Versorgung mit Dünger auf Importe aus dem Ausland ausgewichen werden kann, ist das bei Adblue nicht möglich. In Deutschland kommt noch ein Produktionsrückgang beziehungsweise -stillstand in der größten Produktionsanlage in Piesteritz hinzu. Das alles führt zu einer Alarmstimmung, die für Verlader, Werkverkehr, Spediteure und Frachtführer über die der Situation im November 2021 hinausgeht. BWVL-Mitgliedsunternehmen aus Industrie und Handel sehen die Versorgung ihrer Betriebe durch Transportausfälle gefährdet. Tatsächlich werden erste Befürchtungen laut, wonach Versorgungsausfälle analog derer im Jahr 2020 drohen könnten - dieses Mal nicht nur für Toilettenpapier, Nudeln und Mehl. Keine Lösung ist die Deaktivierung der AdBlue-Abgasanlagen in den Lkw. Werkstattbesuche, die Reduzierung auf Euro-3-Niveau sowie steuer- und mautrelevante Fragen sprechen dagegen. Die priorisierte Zuweisung vorhandener Reservebestände ist auch keine dauerhafte Alternative. Vielmehr müssen die Ursachen für die Produktionseinstellungen direkt angegangen werden - mit einer Ausnahme bei der Gasumlage und einer Deckelung beim Gaspreis. Die Marktverfügbarkeit von Adblue stellt einen entscheidenden Versorgungsfaktor dar. Das darf die Politik nicht unterschätzen - sie muss sich der Verantwortung gegenüber der Gesellschaft stellen. Zu hoffen, dass es wieder einmal nur gutgeht, erscheint aus Sicht des BWVL grob fahrlässig. Zur Erinnerung: Das Schwert über Damokles hing nur an einem einzigen Rosshaar! Wochendurchschnittspreise (Deutschland) für AdBlue in Euro/100 Liter ab Werk 25-Feb-2022 39,15 25-Mrz-2022 76,60 22-Apr-2022 59,38 20-Mai-2022 49,75 17-Jun-2022 46,88 15-Jul-2022 56,78 12-Aug-2022 61,73 26-Aug-2022 67,47 02-Sep-2022 99,51 Quelle: Argus Media Impressum BWVL Forum, eine Information des Bundesverbandes Wirtschaft, Verkehr und Logistik e.V. Augustastraße 99, 53173 BonnTelefon 0228/92535-0, Fax 0228/925345, www.bwvl.de, E-Mail: info@bwvl.deSchriftleitung: Markus Olligschläger (verantwortlich)Verlag: Springer Fachmedien München GmbH, Aschauer Straße 30, 81549 München

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