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Schengener Abkommen in Gefahr

09.09.2015 16:07 Uhr
Schengener Abkommen in Gefahr
Schlepper-Kontrolle: Ende August filzte die Polizei Fahrzeuge an der Ostgrenze Österreichs
© Foto: Picture Alliance/dpa/Herbert P. Oczeret

Um die Einreisewelle der Migranten nach Deutschland in den Griff zu kriegen, wird der Ruf nach Grenzkontrollen laut – das hätte Folgen für den Güterverkehr.

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Brüssel. Die europäische Migrationskrise könnte auch den freien Güterverkehr in Europa in Mitleidenschaft ziehen. Ein Zusammenbruch des Schengen-Raums würde vor allem den Gütertransport auf der Straße langsamer und teurer machen. Einen ersten Vorgeschmack auf die Wiedereinführung von Grenzkontrollen bekamen die Lkw-Fahrer Ende August. Um die Schlepper zu finden, die 71 Flüchtlinge auf einem Lkw ersticken ließen, führte die österreichische Polizei Personen- und Fahrzeugkontrollen an der Grenze zu Ungarn ein: Ein dreißig Kilometer langer Rückstau war die Folge. Grenzkontrollen gibt es inzwischen auch wieder auf dem Brenner. Dort könnte es für deutsche Trucks schon bald zu „Schwierigkeiten“ kommen, fürchtet Karlheinz Schmidt, Geschäftsführer des Bundesverbandes Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL).

Das könnte erst der Anfang sein, denn der freie Personenverkehr im Schengen-Raum lässt sich auf die Dauer nur aufrechterhalten, wenn das europäische Asylsystem funktioniert. Der Schengen-Raum reicht gegenwärtig von Portugal im Westen bis Estland im Osten. Seinen Personalausweis muss nur noch zeigen, wer nach Großbritannien, Irland, Rumänien, Bulgarien oder Kroatien einreisen will. Davon profitiert natürlich auch der Güterverkehr, denn die Fahrer von Lkw müssen sich an den Grenzen innerhalb der Schengen-Zone nicht mehr anstellen. Das beschleunigt den Transport von einem Schengen-Land in ein anderes – und es begünstigt das Unterlaufen der Sozial- und Kabotagevorschriften.

Dublin-Verordnung versagt

Der freie Personen- und der Güterverkehr hängen also zusammen. Die Länder im Inneren der Schengen-Zone können auf die Kontrolle ihrer Grenzen nur verzichten, wenn sie sich darauf verlassen können, dass niemand über die Außengrenzen kommt, der das nicht darf. Dafür wurde in den 1990er-Jahren die Dublin-Verordnung beschlossen. Sie legt fest, dass Asylanträge in den Ländern gestellt werden, in denen ein Flüchtling zum ersten Mal den Boden der EU betritt.

Dieses System droht jetzt zusammenzubrechen. Die Grenzstaaten im Süden der Union, insbesondere Italien, Griechenland und Ungarn, sind nicht mehr in der Lage, diese Aufgabe zu erfüllen. Sie lassen die meisten Flüchtlinge unversorgt weiterreisen, ohne sie zu registrieren. Die anderen Schengen-Länder stehen damit vor der Wahl, den Überblick vollends zu verlieren oder ihre Grenzen wieder zu kontrollieren. Der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, räumt ein: „Es ist vollkommen klar: Das Abkommen von Schengen ist bedroht.“ Auch Deutschland, sagt der Innenexperte der Union im Bundestag, Stephan Mayer, müsse sich fragen, „ob Schengen noch Sinn macht?“

Die Wiedereinführung systematischer Personenkontrollen würde den grenzüberschreitenden Güterverkehr zwar behindern, aber nicht grundsätzlich infrage stellen. Das wäre allerdings nur die praktische Seite. Sollten die Politiker es so weit kommen lassen, wären Folgen in anderen Bereichen kaum absehbar. Karlheinz Schmidt fürchtet, dass dann auch die Regeln des freien Warenverkehrs kein Tabu mehr sind.

Per Lkw in das gelobte Land

Beim BGL fürchtet man vor allem, dass auch an anderen Grenzen innerhalb der EU Verhältnisse wie in Calais entstehen. Schlepper könne schließlich jeder sein und angesichts der Gewinne, die in diesem Geschäft erzielt werden, müsse man damit rechnen, dass immer mehr illegale Einwanderer versuchten, das Aufnahmeland ihrer Träume mit dem Lkw zu erreichen. Die Fahndungserfolge der österreichischen, der deutschen und der ungarischen Behörden in den letzten Tagen zeigen, dass es sich dabei nicht um eine unbegründete Fiktion handelt. Teilweise machten die Österreicher zwölf Schlepper an nur einem Tag dingfest. Dagegen seien reine Personenkontrollen weitgehend wirkungslos, sagt Schmidt. Sollten die Behörden aber versuchen, bei jedem Fahrzeug unter die Plane zu sehen, um Flüchtlinge aufzuspüren, „wäre das das Ende des grenzüberschreitenden Güterverkehrs“.   (tw)

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