Auf den ersten Blick scheint sich in Deutschland ein logistisches Drama anzubahnen: Kosten in dreistelliger Millionenhöhe soll ein flächendeckender Streik der Lokführer pro Tag verursachen, warnen die Prognosen mehrerer großer Forschungsinstitute. Versorgungsengpässe und in der Folge stillstehende Produktionsbänder könnten die Wirtschaft schon nach kurzer Zeit weitgehend lahmlegen, heißt es dort. Doch ist dieses Horrorszenario realistisch? Was die Zukunftsforscher nämlich nicht in ihren Aussagen berücksichtigen, ist die Findigkeit der deutschen Wirtschaft. Kein Transportmanager, Logistikchef, Versandleiter oder Disponent sitzt wie das Kaninchen vor der Schlange und wartet tatenlos darauf, dass ihn ein Streik mit allen seinen Auswirkungen trifft. Im Gegenteil: Überall dort, wo Bahnverkehre zur Transportkette gehören, suchen und finden die Verantwortlichen längst Alternativen, mit deren Hilfe sie Engpässe und Ausfälle überbrücken können. Und nachdem die Kapazitäten bei LKW und Binnenschiff begrenzt sind oder ein Umstieg von der Schiene auf andere Verkehrsträger kurzfristig kaum realisierbar ist, setzen viele Unternehmen nun auf die nichtbundeseigenen Eisenbahnen. Ein Streik bei der DB könnte sich also als Push für private Bahnbetreiber erweisen – wenn sie es denn schaffen, die gestellten Aufgaben zu lösen. Dann käme als Ergebnis sogar ein Ziel in Sichtweite, an dem die Politik seit Langem mit mäßigem Erfolg herumdoktert: die Stärkung des Wettbewerbs auf der Schiene. Man sieht: Auch ein Streik ist sinnvolles Hilfsmittel einer marktwirtschaftlich orientierten Gesellschaft. Rudolf Gebhardt stellv. Chefredakteur
Pushfaktor Bahnstreik?
Der Kommentar der Woche von Rudolf Gebhardt, stellvertretender Chefredakteur