Potenziale heben

Dass die Digitalisierung und hier insbesondere Machine Learning und Künstliche Intelligenz (KI) auch der Logistik ganz neue Geschäftsmodelle bescheren werden, ist nicht erst seit gestern eine These, die auf Logistikkongressen intensiv diskutiert wird. So auch beim vom Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML und dem Digital Hub Logistics veranstalteten Zukunftskongress Logistik, auch als Dortmunder Gespräche bekannt. "Die Potenziale für den Einsatz Künstlicher Intelligenz in der Logistik sind enorm, und die Logistik wird die erste Branche sein, in der sich KI-Verfahren durchsetzen werden", betonte einmal mehr Professor Michael ten Hompel, geschäftsführender Institutsleiter des Fraunhofer IML, in seiner Eröffnungskeynote am 17. September im Kongresszentrum Westfalenhallen. "Alles ist da, sei es IoT oder die Blockchain - wir müssen es nur machen", betonte der Wissenschaftler. Aber auch er weiß, dass auf dem Weg zum so dringend benötigten Ökosystem aus offenen, föderalen Plattformen und Datenräumen hierzulande schon viel versäumt wurde. Im Privatkundengeschäft hätten US-amerikanische oder chinesische Schwergewichte wie Amazon, Uber oder Alibaba längst gesamtwirtschaftliche Geschäftsprozesse übernommen. Jetzt sei es höchste Zeit, im B2B-Segment nicht auch noch den Anschluss zu verlieren, mahnte ten Hompel und bemühte die Allegorie vom Frosch im Kochtopf: "In Deutschland scheint vielen noch nicht klar zu sein, wie heiß das Wasser inzwischen geworden ist." Alleine in China gebe es 250 Start-ups, die sich mit Logistikfragen beschäftigen. Und diese seien gut darin, sich mit Risikokapital einzudecken. Als Beispiel nannte er die Manbang-Gruppe, Betreiber der Transportvermittlungsplattform Truck-Hailing, die binnen zwei Jahren 1,9 Milliarden Dollar einsammelte und laut "Forbes"-Magazin mit sechs Milliarden Dollar bewertet wird. Auch das US-amerikanische Logistik-Start-up Flexport wird nach einer Finanzspritze in Höhe von einer Milliarde Dollar mit über drei Milliarden US-Dollar bewertet. "Das Geld kommt nicht mehr zu uns, weil die adäquaten Geschäftsmodelle fehlen", resümiert ten Hompel und fordert, endlich auch hierzulande mutig in Ideen und neue Geschäftsmodelle zu investieren, die auf dem Einsatz von KI beruhen. Durchsetzen würden sich nämlich die digitalen Plattformen, die die gesamte Logistik und damit wesentliche Teile der Wirtschaft durchdringen. "Wer die Logistikketten der Welt steuert, der steuert auch die Wirtschaft der Welt", so ten Hompel. Unternehmerische Wetten eingehen "Wir sind gut in der Analyse von Problemen, aber schlecht darin, etwas dagegen zu tun." Mit diesen Worten wies auch Christoph Bornschein, Geschäftsführer der Beratungsagentur TLGG, nachdrücklich auf den Handlungsbedarf aufseiten deutscher Unternehmen hin, um gegenüber Amazon, Alibaba & Co. nicht ins Hintertreffen zu geraten. "Wir leben und wirtschaften in unsicheren Zeiten rasanter Veränderungen mit ungewissem Ausgang. Das erfordert die Fähigkeit, das bisherige Geschäft zu halten und zu pflegen und zugleich auf neue, flexible Alternativen zu setzen - also unternehmerische Wetten abzuschließen", betonte Bornschein. Diese Beidhändigkeit zu entwickeln, falle vielen noch schwer. Vorteile konsequent ausspielen Wie große Transportlogistiker auf den Druck reagieren, umriss Markus Sontheimer, bei Schenker als Chief Information Officer (CIO) und Chief Digital Officer (CDO) in Personalunion für die digitale Transformation des Konzerns zuständig, derweil in seinem Vortrag zum Thema "Logistics is the Future - Why does AI matter?" aus. Sein Unternehmen habe rechtzeitig damit angefangen, große Datenmengen zu analysieren, um Lieferketten zu optimieren, erklärte Sontheimer. Im Fokus der Schenker-Digitalstrategie stehe dabei stets die Schnittstelle zum Kunden - ein Vorteil, den man gegenüber den neuen Wettbewerbern ausspielen müsse. "Wir haben nicht nur eine starke Marke, wir haben vor allem Kunden. Das Problem der Start-ups ist, Kunden zu gewinnen. Und das ist immer noch schwieriger, als eine Software zu entwickeln", so Sontheimer. Daher habe sein Unternehmen auch nicht wirklich viel Angst vor Start-ups. "Wir verzeichnen bereits eine halbe Million Online-Buchungen im Monat", betonte der Digitalchef von Schenker. Auch KI-basierte Anwendungen haben in der digitalen Roadmap von Schenker einen festen Platz. Sei es der "Churn Radar", mit dem ausgewertet werden kann, wann Kunden abzuspringen drohen, "Last Mile Routing" für eine intelligente Tourenplanung auf der letzten Meile, der "Load Optimizer", der dabei hilft, den Lkw in der richtigen Reihenfolge optimal zu beladen, oder ein Predictive-Pricing-Tool, das dem Dispatcher Richtpreise für bestimmte Routen anzeigt. Denn: Auf das Bauchgefühl könne man sich in einem globalen Unternehmen nicht verlassen, betonte Sontheimer. "Wir müssen diesen Weg gehen, weil wir sonst mit den engen Margen nicht mehr zurechtkommen." Blockchain-Zentrum geplant Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen, sieht neben den Themen IoT und KI insbesondere vertragsbasierte Blockchain-Anwendungen als Treiber für die Logistik der Zukunft. "Wir werden hier in Dortmund ein europäisches Blockchain-Institut-Zentrum ansiedeln, um diese Technologien für die Logistik nutzbar zu machen", bekräftigte der FDP-Politiker in seiner Keynote in Dortmund. Digital Logistics Awards Nüwiel ist Gewinner des Digital Logistics Awards, der am 17. September zum nunmehr dritten Mal im Rahmen des Zukunftskongresses Logistik vergeben wurde. Aus den acht Finalisten des Wettbewerbs für Start-ups und Start-ins wählten die Kongressteilnehmer mit einer Abstimmung direkt vor Ort den Sieger aus. Das 2016 gegründete Start-up aus Hamburg hat einen elektrisch betriebenen Fahrradanhänger für die Last-Mile-Logistik entwickelt, der dank einer patentierten Technologie den Bewegungen eines Fahrrads automatisch folgt. Auf der Liste der Pilot-Anwender stehen UPS und IKEA.Platz zwei ging an das Start-up ForkOn aus Haltern am See, das mit einer herstellerunabhängigen Flottenmanagement-Software für Gabelstapler in den Pitch ging. Die Bronze-Medaille ging in diesem Jahr nach Afrika: Mit einer einfachen App will das Start-up Asurveyor.com aus Kapstadt kleinen und mittleren Farmern dabei helfen, gegenüber internationalen Kunden und Versicherungen einen Nachweis über die Ausgangsqualität ihrer Produkte zu führen und so die Qualitätskontrolle von Obst und Gemüse über die gesamte Supply Chain hinweg zu vereinfachen.Die acht Finalisten wurden von einer Jury bestimmt, der Marcus Gropp (Kloeckner Metals Operations), Dr. Stephan Peters (Rhenus) und Christina Thurner (Loxxess), Claas Nieraad (Next Logistics Accelerator) und Karolin Hewelt (Digital Hub Agency RCKT) angehörten. Die Gewinner wurden durch die Kongressteilnehmer mit einer Abstimmung direkt vor Ort ermittelt und freuen sich über Preisgelder von 15.000 (1. Platz), 8000 (2. Platz) und 3000 Euro. Die drei Gewinnerteams werden ihr Unternehmen zudem beim Deutschen Logistik-Kongress repräsentieren. mh