Noch läuft die Gnadenfrist ...

Mit Stahl in allen Legierungen handelt Manfred Jakubowski im oberbayerischen Ruhpolding. Jede Woche führt der Händler Werkstoff aus Süditalien über den Brenner nach Deutschland ein. Seit Mai registriert er deutlich verzögerte Anlieferungen. "Kunden in Nordrhein-Westfalen müssen bis zu fünf statt bislang drei Tage warten", berichtet Jakubowski. "Ich hoffe auf eine Normalisierung nach den Sommerferien." Wenn Lkw-Fahrer aus dem Urlaub zurückgekehrt seien, könnten diese den Stahl wieder in Euro-6-Lkw über den Brenner transportieren und müssten nicht auf Züge der Rollenden Landstraße (RoLa) umsteigen, spekuliert der Händler. Wie andere Unternehmen bekommt er die Auswirkungen des neuen sektoralen Fahrverbots in Tirol mit Verspätung zu spüren. Im Oktober 2016 hat die Regierung des österreichischen Bundeslandes die umstrittene verkehrspolitische Maßnahme für die Inntal-Autobahn A 12 wieder in Kraft gesetzt. Außer Stahl dürfen sieben weitere Transportgüter nur noch auf der Schiene transportiert werden (siehe Kasten). Gegenüber früheren Verboten, welche der Europäische Gerichtshof (EuGH) 2005 und 2011 einkassiert hatte, gibt es jedoch eine wichtige Änderung: Euro-5-Lkw wurden bis zum 30. April 2017 von diesem Verbot ausgenommen. Für Euro-6-Lkw gelten abhängig vom Transportgut Gnadenfristen bis 31. März beziehungsweise 30. Juni 2018. Branchenverbände üben Kritik Die Innsbrucker Landesregierung hat Einwänden der EU-Kommission, welche den ersten Verordnungsentwurf beanstandet hatte, Rechnung getragen. An der Einschätzung der Brüsseler Behörde halten Kammern und Branchenverbände weiterhin fest. "Das sektorale Fahrverbot ist und bleibt unangemessen, weil es einen massiven Eingriff in den freien EU-Warengüterverkehr darstellt", kritisiert Georg Dettendorfer, Vizepräsident der IHK München und Geschäftsführer des gleichnamigen Logistikunternehmens in Nussdorf/Inn. Dass die Ausnahmegenehmigung für Euro-5-Lkw weggefallen ist, macht sich bereits bemerkbar. "Von Anfang Mai bis Ende Juli haben unsere RoLa-Züge 14,6 Prozent mehr Lkw befördert", so Bernhard Rieder, Sprecher der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB). Die Auslastung der Shuttle-Verkehre stieg von knapp 82 auf 93 Prozent. Jeden Tag sind 40 RoLa-Züge in beiden Richtungen unterwegs. Zwischen Wörgl und Brenner fährt Rail Cargo Austria (RCA) 36 statt bislang 32 Züge. Weitere vier Züge verkehren täglich zwischen Wörgl und Trient. Gleichzeitig häufen sich die Meldungen über verspätete und ausgefallene Züge. Vor allem in der dritten Augustwoche eskalierte offenbar die Situation. In diesen Zeitraum fiel der Feiertag Mariä Himmelfahrt, der in allen drei Anrainerstaaten gefeiert wird. "Den Montag vor dem Feiertag nahmen sich viele Bahnmitarbeiter frei", schildert Werner Löblein, Geschäftsführer des gleichnamigen Transportunternehmens. "Vorher war an italienischen Bahnhöfen die IT abgestürzt." Die Folge: Manche Sendungen kamen erst mehrere Tage später an. Warten auf Frühjahr 2018 Jetzt schaut die Logistikwirtschaft gebannt auf 2018, wenn die Ausnahmeregelungen für Euro-6-Lkw auslaufen. Vor allem deutsche Branchendienstleister wären hiervon betroffen. "Neun von zehn bayerischen Unternehmen fahren längst Euro-6-Züge", versichert Sebastian Lechner, Geschäftsführer des Landesverbands der Bayerischen Transport- und Logistikunternehmen (LBT). Die Branche setzt jedoch darauf, dass die Ausnahmegenehmigungen erhalten bleiben. Denn die Tiroler Regierung ist an klare Vorgaben des EuGH gebunden. Die Einschränkungen des freien Warenverkehrs, die ein sektorales Fahrverbot nach sich zieht, seien nur zulässig, wenn sich alle anderen Maßnahmen zur Senkung der Schadstoffbelastung als wirkungslos erwiesen haben, argumentierten die Luxemburger Richter in ihren bisherigen Urteilen. Mit anderen Worten: Wird die Luft in den nächsten Monaten nachweislich besser, ist ein Fahrverbot für Euro-6-Lkw vom Tisch. Die jüngsten Messwerte aus Tirol geben solchen Hoffnungen Auftrieb. So sind in der stark belasteten Gemeinde Vomp nahe Innsbruck die Stickoxidwerte von 2006 auf 2016 um über 29 Prozent gesunken. An anderen Messstationen im Inntal sehen die Ergebnisse ähnlich aus. Für Herbst 2017 und Frühjahr 2018 plant die Tiroler Regierung weitere Schadstofferhebungen und Lkw-Zählungen. Anschließend fällt die Entscheidung über eine Fort- oder Aussetzung der Ausnahmegenehmigung. Mit der aktuellen Verkehrssituation will die Regierung sich trotzdem nicht abfinden. Einer Studie des Mobilitätsverbands VCÖ zufolge sind die Lkw-Verkehre in Österreich seit 2010 auf den Transitstrecken stark gestiegen. Deshalb bringt die Landesregierung weitere Einschränkungen für Lkw-Verkehre ins Spiel. So wirbt Landeshauptmann Günther Platter für Obergrenzen im Straßentransit, welche auf Basis der kommenden Erhebungen errechnet werden sollen. Platters Stellvertreterin Ingrid Felipe will die Mautgebühren von Rosenheim bis Verona drastisch erhöhen. "Eine Allianz der transitgeplagten Alpenregionen muss für eine europaweite Regelung kämpfen", kündigt die Politikerin, die als treibende Kraft des sektoralen Fahrverbots gilt, Proteste gegen die ihrer Meinung nach zu niedrigen Mautsätze in Deutschland und Italien an. RoLa könnte an ihre Grenzen stoßen Solche Vorstöße werden wohl auch von Befürchtungen genährt, dass die RoLa-Kapazitäten der ÖBB an ihre Grenzen stoßen. Das schließt auch Dettendorfer nicht aus: "Wenn die Ausnahmeregelung für Euro-6-Fahrzeuge jedoch bestehen bleibt, wird das Equipment unterm Strich ausreichen." Ohnehin ist offenbar schon jetzt manche Sendung, die bislang von Euro-6-Lkw transportiert wurde, verlagert worden. So hat Jakubowski registriert, dass immer mehr Stahl bereits in Süditalien auf die Schiene verladen wird. Mehr zum Thema im Dossier "Lkw-Fahrverbote" www.verkehrsrundschau.de/dossiers Fahrverbote Welche Güter betroffen sind Für acht Transportgüter gilt das sektorale Fahrverbot auf der Inntal-Autobahn. Bei der Ausnahmeregelung für Euro-6-Lkw über 7,5 Tonnen hat die Tiroler Landesregierung unterschiedliche Fristen festgelegt. Abfälle, Steine, Erde und Aushub, Rundhölzer und Kork sowie Kraftfahrzeuge dürfen bis zum 31. März 2018 mit den schadstoffarmen Nutzfahrzeugen transportiert werden. Für Erze, Stahl, Marmor und keramische Fliesen gilt eine Frist bis 30. Juni 2018. Vom Fahrverbot ausgenommen sind auch Fahrzeuge, die in der erweiterten Zone be- und entladen werden. In Deutschland sind diese die Grenzlandkreise Bad Tölz-Wolfratshausen, Garmisch-Partenkirchen, Miesbach, Rosenheim (inklusive Stadt) und Traunstein. bot