Neuer Open-Source-Standard für mehr grüne Logistik

Ein Open-Source-Standard für den Austausch von Emissionsdaten: Das ist das Ziel einer Working Group von zwölf Unternehmen unter der Leitung von Lkw Walter Etwa acht Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen (CO2) entfallen dem Climate-Portal (2023) zufolge auf den Güterverkehr. Laut dem International Transport Forum wird sich der weltweite Frachtbedarf bis zum Jahr 2050 noch verdreifachen. Damit steht die Branche unter erheblichem Druck, ihren Beitrag zu den Pariser Klimazielen zu leisten. Wechselvoller Weg mit Hürden Der Weg dorthin ist jedoch komplex. Hohe Investitionen in neue Technologien und vor allem fehlende Standards für den Datenaustausch bremsen die Umsetzung. Zwar legt die ISO 14083 inzwischen weltweit fest, wie Emissionen berechnet werden, doch wie diese Informationen entlang der Lieferkette weitergegeben werden, ist bislang nicht geregelt. Besonders der Vergleich von Emissionswerten stellt eine Hürde dar, da Unternehmen bisher mit unterschiedlichen Methoden und Systemen arbeiten. Hier setzt die Open Logistics Foundation an: eine neutrale, gemeinnützige Stiftung, die kostenlose und freizugängliche Open-Source-Standards für die Logistik entwickelt. In einem Workshop der Open Logistics Foundation im November 2023 identifizierte man den Emissionsdatenaustausch als eines der drängendsten Probleme. Die Resonanz war so groß, dass Stiftungsmitglieder der Foundation im Sommer 2024 die "Working Group Enabling Logistics Decarbonization" (dt. Arbeitsgruppe zur Förderung der Dekarbonisierung der Logistik - die Red.) gründeten. Aktuell (Stand September 2025) gehören 19 Unternehmen zur Arbeitsgruppe unter Leitung der Komplettladungsspedition Lkw Walter. Auch der Impuls zur Standardisierung im Projekt "Emissions Data Exchange" (dt. Emissionsdatenaustausch - die Red.) kam aus der Community selbst. Ziel ist ein offener Standard, der Emissionsdaten über die gesamte Lieferkette hinweg vergleichbar und nutzbar macht - als Basis für belastbare CO2-Bilanzen und eine klimafreundlichere Logistik. Standard für Vergleichbarkeit Grundlage der Working Group ist die Überzeugung, dass Dekarbonisierung nur gemeinsam gelingt. Die Open Logistics Foundation stellt dafür den neutralen Rahmen und die technische Infrastruktur bereit. In Online-Workshops wurden Ziele, Rollen und die Öffnung für neue Mitglieder definiert. Der Einstieg ist bewusst niedrigschwellig: Interessierte Unternehmen können sich bewerben und eigene Anwendungsfälle einbringen. Im Mittelpunkt des Projekts Emissionsdatenaustausch steht das iLEAP-Datenmodell, ein Standard für den Austausch von Emissionsdaten in der Logistik, der vom Smart Freight Centre und der Sine Foundation entwickelt worden ist. Das Smart Freight Centre ist eine international anerkannte Non-Profit-Organisation mit Fokus auf die Reduktion von Treibhausgasemissionen im Güterverkehr. Die Sine Foundation bringt ihre Expertise aus den Bereichen Kryptografie und Wirtschaft ein. Gemeinsam mit der Open Logistics Foundation und den teilnehmenden Unternehmen wird daran gearbeitet, das iLEAP-Modell als De-facto-Standard für die Branche zu etablieren. Universell einsetzbar Technisch basiert iLEAP auf dem weltweit anerkannten GLEC-Framework und der ISO-Norm 14083. Vor Einführung des GLEC-Framework hatte jede Firma ihre eigenen Verfahren zur Emissionsberechnung. Erst mit dem europäischen "Green Deal" im Jahr 2019 stieg der Druck, eine gemeinsame Methodik zu entwickeln. Heute ist die ISO 14083 eine international gültige Methode zur Berechnung von CO2-Emissionen in der Logistik und bietet so die Basis, Emissionsdaten branchenweit vergleichbar zu machen. iLEAP ist universell einsetzbar, nicht auf Regionen oder Firmen beschränkt und ermöglicht den bidirektionalen Datenaustausch entlang der Lieferkette. So können Informationen zwischen Spediteuren, Kunden und Drittanbietern ausgetauscht werden, was Transparenz und Vergleichbarkeit erhöht und die Basis für wirksame CO2-Reduktionsstrategien schafft. Die Genauigkeit der Ergebnisse hängt indes stark von den zugrunde liegenden Daten ab. Standardwerte liefern nur grobe Schätzungen, die beste Qualität bieten modellierte Daten, die auf Primärdaten basieren. Auch reine Primärdaten spielen eine wichtige Rolle, sind aber im Straßengüterverkehr schwer zugänglich, da sie oft in Onboard-Units gespeichert sind. Hier könnte der EU Data Act künftig Verbesserungen bringen. Für die Berechnung nutzen Firmen eigene Emissionsrechner oder Plattformen. Unabhängig vom Tool sorgt iLEAP dafür, dass die Ergebnisse interoperabel ausgetauscht und verglichen werden können. Unter dem Dach der Open Logistics Foundation lebt das Projekt von einer offenen Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, die im Markt durchaus auch Mitbewerber sind. Kooperation statt Abgrenzung Innerhalb der Open Logistics Foundation herrscht dafür eine starke Vertrauensbasis, die durch den kontinuierlichen Austausch und die gemeinsame Arbeit in Workshops gefördert wird. Das Thema Datenschutz wird dabei großgeschrieben: Es werden nur technische Informationen ausgetauscht, sensible Geschäftsdetails einzelner Unternehmen bleiben dagegen unangetastet. Der Fokus liegt auf dem Teilen von Wissen und Erfahrungen. Vor allem Nachhaltigkeit ist in der Branche ein Thema, über das offen gesprochen wird. Alle Beteiligten sind sich einig, dass es dabei nicht zielführend ist, parallele Einzelansätze zu entwickeln, sondern dass gemeinsame Standards nötig sind. Die Stiftung stellt mit ihrer Community-Struktur sicher, dass dieser Austausch transparent bleibt und neue Mitglieder jederzeit andocken können. So entsteht ein neutraler Rahmen, in dem Kooperation wichtiger ist als Abgrenzung. Die größten Hürden auf dem Weg zu einem Standard liegen weniger in der Technik als in der Organisation. Entscheidend ist, dass möglichst viele Firmen den Standard übernehmen und aktiv mitgestalten. Nur so wird die breite Marktdurchdringung erreicht. Um diese Akzeptanz zu fördern, sind konkrete Use Cases wichtig. In ihnen wird der Datenaustausch mit realen Werten getestet. Die gewonnenen Erfahrungen fließen als Feedback zurück in die Entwicklung. So entsteht Schritt für Schritt ein praxistauglicher Standard, der sich an den Bedürfnissen der Anwender orientiert. Technisch gilt das iLEAP-Modell als ausgereift, und die Schnittstelle ist voll funktionsfähig. Smart Freight Centre und Sine Foundation nehmen regelmäßig Feedback aus der Praxis auf und entwickeln die Lösung entsprechend weiter. Eigentliche Aufgabe ist, die Schnittstelle korrekt in die jeweilige Systemumgebung und in vorhandene Datenbanken der Unternehmen einzubinden. Dieser Implementierungsprozess ist weniger eine Frage der Technik, sondern ein Lernprozess, bei dem Unternehmen Erfahrungen sammeln und ihre Systeme schrittweise anpassen. Einheitliche Standards für den Austausch von Emissionsdaten schaffen messbare Mehrwerte: Sie reduzieren individuelle Schnittstellen, senken den Aufwand und schaffen Transparenz entlang der Lieferkette. Neue Optimierungsoptionen Firmen können ihre Emissionen verlässlich berechnen und vergleichbar machen. Das bietet neue Optimierungsmöglichkeiten, etwa bei Routenplanung, Lkw-Auslastung oder Investitionen in alternative Antriebe. Damit der Standard genutzt werden kann, müssen Firmen die Komponenten in ihre IT integrieren. Dafür stellt die Open Logistics Foundation Referenzimplementierungen im digitalen Speicher, dem GitLab-Repository, bereit. Diese dienen als Vorlage, erleichtern die Einführung und verhindern, dass durch unterschiedliche Ansätze Interoperabilität verloren geht. Die Umsetzung folgt dem Open-Source-Prinzip: Alle Interessierten können die Lösungen frei nutzen, anpassen und weiterentwickeln. So entsteht kein Flickenteppich an Insellösungen, sondern ein gemeinsamer Standard, der sich durch breite Anwendung kontinuierlich verbessert. Die drei wichtigsten Projekt-Learnings - Gleiche Ausgangslage: Alle beteiligten Unternehmen stehen vor denselben Fragen und Herausforderungen beim Umgang mit Emissionsdaten. - Klare Kommunikation: Wichtig sind eine offene Kommunikation nach außen, die unkomplizierte Verfügbarkeit von Emissionsdaten über iLEAP und das Bewusstsein, dass ergänzende individuelle Lösungen zusätzlichen Mehraufwand bedeuten. - Vermeidung paralleler Entwicklungen: Durch gemeinsame Standards wird verhindert, dass verschiedene Unternehmen mehrfach ähnliche Insellösungen entwickeln. Ressourcen fließen stattdessen in praxistaugliche Anwendungen, die für alle zugänglich sind. Justin Lemmens ist seit 2023 SHEQ-Manager (Fokus Nachhaltigkeit) bei Lkw Walter. Das Kürzel SHEQ steht für Safety, Health, Environment, Quality, sprich für Sicherheit, Gesundheit, Umwelt und Qualität. Außerdem leitet Lemmens die Arbeitsgruppe zur Förderung der Dekarbonisierung der Logistik in der Open Logistics Foundation. Lemmens studierte BWL in Saarbrücken mit Fokus auf Internationalem Management und Marketing. Von 2004 bis 2023 war er im Verkauf und im IT-Steuerkreis tätig. Andreas Nettsträter ist seit 2022 CEO der Open Logistics Foundation und engagiert sich für Open Source und Community-Building in der Logistikbranche. Nettsträter studierte Informatik an der TU Dortmund. Von 2007 bis 2022 war er am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik mit Fokus auf Digitalisierungsprojekte in Logistik und IT tätig.