Netzwerkforum Stahl: Keine Kohle mehr

Der Krieg in der Ukraine und seine Folgen beherrschen die Schlagzeilen - aus nachvollziehbaren Gründen. Andere Probleme erscheinen nachrangig. Dennoch gibt es Themen, die ebenfalls existenziellen Charakter für die Betroffenen haben können - wie in der Stahlindustrie die Verringerung von Treibhausgasemissionen (THG-Emissionen) auf null. Stahlindustrie steht vor Herkules-Aufgabe Auf dem Netzwerkforum Stahl, das im Rahmen des Kompetenznetzwerks Logistik.NRW unter Federführung des Verbands Verkehrswirtschaft und Logistik (VVWL) NRW Mitte Mai in Dortmund stattfand, wurde deutlich, dass die Transformation einer Revolution in der Branche gleicht. "Bis 2045, so das politische Ziel, soll die deutsche Stahlindustrie keine CO2-Emissionen mehr ausstoßen. EU-weit soll dieses Ziel 2050 erreicht werden", skizzierte Martin Theuringer, Geschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung Stahl, den Pfad. Eine Herkules-Aufgabe, wenn man berücksichtigt, dass ein Drittel der gesamten CO2-Emissonen der Industrie in Deutschland auf die Stahlindustrie entfällt. Soll dieses Ziel 2045 erreicht werden, müssen heute dafür die Grundlagen gelegt werden. Die Umstellung von mit Kohle befeuerten Hochöfen auf Produktionsverfahren mit Wasserstoff nimmt viel Zeit in Anspruch und kann nur in Etappen erfolgen. Zugleich sind damit für die Stahlindustrie Mehrkosten in Milliardenhöhe verbunden. Laut einer Studie von Prognos, die die Wirtschaftsvereinigung Stahl in Auftrag gegeben hat, ist zwischen 2026 und 2045 ein jährlicher Förderbedarf von 4,6 Milliarden Euro notwendig, um die Wirtschaftlichkeitslücke vollständig zu decken. Die Kapitalkosten pro Tonne mit Wasserstoff erzeugtem Stahl liegen laut Studie fast fünfmal so hoch wie bei der derzeitigen Stahlproduktion. Theuringer zählte daher eine Anschubfinanzierung und Förderprogramme als eine Voraussetzung für die Erzeugung von grünem, also emissionsfrei erzeugtem Stahl auf. Damit nicht genug: Der grüne Stahl muss auch wettbewerbsfähig sein im Vergleich zum konventionell erzeugtem Stahl aus Asien oder Südamerika. Deshalb fordert die Wirtschaftsvereinigung Stahl einen sogenannten Carbon-Leakage-Schutz: Stahl, der in die EU importiert wird, wird mit einer Steuer belegt, damit der in der EU erzeugte, teurere grüne Stahl wettbewerbsfähig ist. Dieser Mechanismus gilt dann jedoch nicht für den Weltmarkt: Dort trifft der teure grüne Stahl auf den günstigen, nach herkömmlichen Verfahren erzeugten Stahl. Mit Verschärfungen im Emissionsrechtehandel der EU drohen weitere Kostenbelastungen für die Stahlindustrie. Theuringer forderte, dass der aktuell vorliegende Vorschlag der EU-Kommission nachgebessert werden müsse, weil ansonsten der Carbon-Leakage-Schutz nicht gewährleistet sei. Umstellung erfordert mehrere Milliarden Wie Stahlunternehmen die Transformation umsetzen, verdeutlichte Rosa Peter, Bereichsleiterin Verfahrenstechnik bei den Hüttenwerken Krupp Mannesmann (HKM). Das Unternehmen produziert am Standort Duisburg fünf Millionen Tonnen Stahl für die Gesellschafter Thyssenkrupp Steel Europe, Salzgitter Mannesmann und Vallourec. "Wir haben das Ziel, unsere Emissionen bis 2025 um 30 Prozent zu verringern. Bis 2045 streben wir eine weitestgehende Klimaneutralität an", sagte Peter. Ab 2025 soll mit dem Ersatz des ersten Hochofens durch einen Hochofen mit alternativer Reduktionstechnologie begonnen werden. Laut Peter ist für die Umstellung von einer Jahreskapazität in Höhe von einer Million Tonnen etwa eine Milliarde Euro an Investitionsmitteln notwendig. "Ein solcher Ofen lässt sich auch mit Erdgas betreiben. In der Anfangsphase, wo grüner Wasserstoff noch nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung steht, werden wir daher um Erdgas auch nicht herumkommen", sagte Peter. Langfristig peile man jedoch den Einsatz von grünem Wasserstoff an, so Peter. Mit der Umstellung sind aber auch neue Transportprozesse verbunden. Derzeit dominiert beim Wareneingang mit 9,0 Millionen (Mio.) Tonnen das Binnenschiff (Erze, Kohle) vor der Bahn mit 2,5 Mio. Tonnen (Schrott, Brennstoffe) und dem Lkw (0,9 Mio. Tonnen oder 48.000 Lkw). Im Ausgang wird die Bahn mit 5,1 Mio. Tonnen (Vormaterial, Koks) am häufigsten genutzt. Auf das Binnenschiff entfallen 1,0 Mio. Tonnen (Koks, Sinter), und der Lkw fährt 0,8 Mio. Tonnen (oder 32.000 Lkw, vor allem Nebenprodukte). In der Endphase fällt dann die Zulieferung von 2,5 Millionen Tonnen Kohle jährlich weg: ein Verlust, den vor allem die Binnenschifffahrt trifft. Erze werden weiterhin benötigt. Dafür benötigt HMK neu etwa 225.000 Tonnen Wasserstoff pro Jahr. "Der Einsatz von Wasserstoff in der Stahlindustrie ist alternativlos", ließ Peter keinerlei Zweifel daran, dass die Transformation trotz aller Unwägbarkeiten kommen wird. CO2-Ausstoß im Transport muss sinken Aber bei HKM spielt auch die Vermeidung von Emissionen im Transport eine wichtige Rolle. Pro Tonne erzeugtem Stahl fallen dort 180 Kilogramm CO2 im Transport an. "Das sind pro Jahr 760.000 Tonnen CO2. Wir haben ein großes Interesse daran, dass dieser Wert nach unten geht", sagte Peter. Angesichts der knappen Ressource Wasserstoff verwies sie auch darauf, dass Wasserstoff in der Stahlproduktion ein Vielfaches an CO2 im Vergleich beispielsweise von Wasserstoff im Güterverkehr vermeiden kann und daher der Einsatz von Wasserstoff bei der Herstellung von Stahl Vorrang haben sollte. Im Güterverkehr arbeitet jeder Verkehrsträger an der Verbesserung seiner CO2-Bilanz. So hat die Nutzfahrzeugindustrie mit ambitionierten Vorgaben seitens der EU zu kämpfen. Die europäischen Hersteller haben sich zum Ziel gesetzt, ab 2040 nur noch Schwerlastwagen zu verkaufen, die keine fossilen Abgase mehr ausstoßen, sagte Thomas Fabian, Leiter Commercial Vehicles, beim europäischen Automobilverband ACEA auf dem Forum (siehe Kasten). Uwe Wedig, Vorsitzender des Vorstands Häfen und Güterverkehr Köln (HGK), verwies darauf, dass zur Klimawende neben der Dekarbonisierung auch die Verkehrsverlagerung gehört. Die HGK ist nicht nur ein Hafenbetreiber, sondern auch Transportdienstleister mit 100 eigenen Schiffen und 90 Loks. "Jeder Verkehrsträger hat seine spezifischen Vorteile. Diese müssen wir miteinander verknüpfen. Nur dann wird die Klimawende im Verkehr gelingen", warb Wedig für mehr Kooperation. Er wies auf die Vorteile der Binnenschifffahrt hin: Ein Schiff könne 150 bis 180 Lkw-Ladungen aufnehmen und stoße damit - bezogen auf das Transportvolumen - deutlich weniger Emissionen aus. Wedig stellte klar, dass viele Güter nicht per Binnenschiff oder Bahn transportiert werden können. Aber er sieht bei beiden Verkehrsträgern noch Luft nach oben. Doch dazu müssten entsprechende Voraussetzungen geschaffen werden: "Wir investieren in den Bau moderner, emissionsarmer Schiffe. Aber wenn diese tagelang vor einer maroden, nicht funktionsfähigen Schleuse liegen, muss ich überlegen, ob sich Investitionen in solche Schiffe noch lohnen", sagte Wedig. Neben mehr Investitionen in die Verkehrswege forderte er eine deutliche Reduzierung von Planungszeiträumen und Genehmigungen für Infrastrukturprojekte. Dass auch auf der Schiene einiges möglich ist und dort auch anspruchsvolle Logistikkonzepte umsetzbar sind, schilderten Katja Sander, Vice President Metals, und Christoph Heibach, Leiter Arbeitsgebiet Salzgitter/Voestalpine, beide von DB Cargo. Der Bayern-Shuttle, der arbeitstäglich zwischen dem Stahlwerk von Voestalpine in Linz und drei Automobilwerken in Bayern pendelt, befördert Stahl und Schrott zwischen den vier Anlaufpunkten. In 250 Umläufen wurden 500.000 Tonnen bewegt bei einer Pünktlichkeit von 93 Prozent. Da die Züge mit Ökostrom unterwegs waren, konnten so 7000 Tonnen CO2 pro Jahr eingespart werden. Ein Konzept mit Vorbildcharakter, das von der Bundesvereinigung Logistik (BVL) mit dem Deutschen Logistikpreis 2021 ausgezeichnet wurde. Auf dem Weg zu Zero-Emissions-Trucks Die Aussage von Thomas Fabian war eindeutig und dürfte die Zuhörer auf dem Netzwerkforum, die Lkw einkaufen, überrascht haben: „Die Fahrzeuge werden bei der Dekarbonisierung im Straßen-güterverkehr nicht der Flaschenhals sein, sondern eher die Tankinfrastruktur“, sagte der Leiter Commercial Vehicles beim europäischen Automobilverband ACEA. Dabei sind – was man derzeit aus dem Markt hört – vor allem für den Fernverkehr im Schwerlastbereich kaum geeignete Lkw mit Batterieantrieb (BEV) zu bekommen. Bei per Wasserstoff angetriebenen Schwer-Lkw sind noch nicht mal Pilotfahrzeuge verfügbar. Immerhin: Bereits 2025, also in drei Jahren, sollen nach Aussage des ACEA-Vertreters in der EU 40.000 BEV-Lkw zugelassen werden, davon 30.000 im Schwerlastbereich über 16 Tonnen. 2030 sollen es in letzterer Kategorie dann 200.000 Lkw sein. cd Mehr zum Thema finden Sie unter #Stahllogistik www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Die Klimawende stellt die Stahlindustrie in Deutschland vor gewaltige Herausforderungen. Aber nicht nur in der Produktion muss der CO2-Ausstoß sinken. Auch in der Stahllogistik müssen CO2-Emissionen eingespart werden. Hier kommen auf die Logistikdienstleister neue Hausaufgaben zu. 30.000 neue Elektro-Lkw schwerer als 16 Tonnen will die Nutzfahrzeugindustrie 2025 in den europäischen Markt bringen.

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