Mit blauem Auge davongekommen?

Gerd Jürgen Britsch hat die Weichen für seine Nachfolge längst gestellt - völlig unabhängig von der nun endlich gebilligten Erbschaftsteuerreform. Seit drei Jahren teilt der 75-Jährige die Geschäftsführung seiner Möbellogistik- Spedition Paul v. Maur mit seinem 45-jährigen Sohn Frank Jochen Britsch, dem er zuvor die Gesellschafteranteile per Schenkung übertragen hatte. Seitdem ist Britsch junior an dem Stuttgarter Standort mit 45 Mitarbeitern mit 25 Prozent beteiligt und am Standort Dresden mit 50 Prozent. "Ich will nicht vollständig aus der Firma ausscheiden", erklärt der Senior-Chef. Außerdem wollte Britsch seinen Sohn auch vor zu hohen Erbschaftsteuern bewahren. Denn für Schenkungen gewährt der Fiskus genauso hohe Freibeträge wie für Erbschaften. Allerdings gelten diese nur zehn Jahre lang. Anschließend können die Beteiligten den Freibetrag mit einer weiteren Schenkung nochmals ausschöpfen. Und genau dies zieht Jürgen Britsch nun in Erwägung. Er sucht nur noch den optimalen Zeitpunkt für weitere Maßnahmen und hat schon im Oktober mit einer Wirtschaftsprüfungs-Gesellschaft einen Termin vereinbart. "Mit dem Kompromiss der Koalition im Erbschaftsteuerstreit haben sich die Ausgangsbedingungen möglicherweise geändert ", sagt er. "Nach der ersten Lektüre habe ich den Eindruck gewonnen, dass die bisherigen Erleichterungen für mittelständische Familienbetriebe trotz einzelner Verschärfungen fortgeschrieben werden." Regelungen werden komplizierter Steuerexperten bestätigen seine Einschätzung. Mit dem Kompromiss, den der Vermittlungsausschuss von Bundesrat und Bundestag am späten Abend des 22. September ausgehandelt hat, können viele Familienunternehmen leben, sagt Peer-Robin Paulus, Abteilungsleiter Politik und Wirtschaft des Verbands "Die Familienunternehmer-ASU in Berlin". "Unsere Klientel ist noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen", sagt der Rechtsanwalt. Wirkliche Begeisterung löst der Kompromiss aber bei Martin Liebernickel nicht aus. "Der Gesetzgeber wird eine ohnehin komplizierte Regelung noch komplizierter machen", kritisiert der Berater von PricewaterhouseCoopers (PWC). Genau das stört die Unternehmen grundsätzlich am deutschen Steuerrecht. Sie vermissen einfache und unkomplizierte Regelungen, die auch Laien überzeugen und schnell umzusetzen sind. Bei der Erbschaftsteuer scheint dieses Ziel weiter denn je entfernt. "Wenn Kompromisse bestehendes Recht noch komplizierter machen, bringt das unterm Strich für alle Beteiligten weniger", moniert Wolf-Peter Korth, Geschäftsführer von ITC Logistic in Willich. Allein deshalb hat der niederrheinische Familienunternehmer Zweifel, dass die neue Regelung gerechter ist. Betriebsvermögen neu bewerten Auch Jürgen Britsch würde das gerne wissen. Vermutlich kann der baden-württembergische Unternehmer seine Schenkungs- und Vererbungspläne wie geplant durchziehen. Allerdings muss er mit hoher Wahrscheinlichkeit das Betriebsvermögen von Paul v. Maur neu bewerten. Genau darin sehen Experten die eigentliche Herausforderung des Kompromisses vom 21. September. "Jeder Inhaber, der jetzt eine Nachfolgeregelung anpacken will, sollte zuerst den Wert seines Betriebs ermitteln", rät Liebernickel. Da ein Familienunternehmer diesen nicht aus Verkäufen an Dritte herleiten kann, muss er ihn mit einem sogenannten Ertragswertverfahren berechnen. Mit dem vereinfachten Ertragswertverfahren erlaubt der Gesetzgeber seit 2009 eine pauschale Methode auf Basis der letzten drei Wirtschaftsjahre vor dem Steuerstichtag. Dieses Procedere arbeitet mit einem festen Kapitalisierungsfaktor. Die Koalition hat den Faktor rückwirkend zum 1. Juli 2016 von 17,86 auf 13,25 reduziert und will diesen in Zukunft regelmäßig an die - derzeit sehr niedrigen - Zinsstrukturdaten anpassen. Auf den ersten Blick ist das eine gute Nachricht. Da mit dem Faktor der Wert der allgemeinen Wirtschaftsgüter abzüglich der Schulden berechnet wird, fällt die Basiszahl für die Berechnung der Steuer unterm Strich geringer aus. Trotzdem sind viele Familienunternehmer mit diesem Wert nicht zufrieden. "Im Markt ist ein Faktor von höchstens Sechs bis Sieben üblich", kritisiert Hans-Heiner Honold, Seniorchef der gleichnamigen Spedition in Neu-Ulm. "Ein Unternehmen, das eine Alternative zum vereinfachten Ertragswertverfahren sucht, muss Wirtschaftsprüfer mit teuren Gutachten beauftragen." Auch Korth hält einen Kapitalisierungsfaktor von 7 für angemessen. "Alternativ könnte der Gesetzgeber auch standardisierte Werte für einzelne Branchen festlegen", sagt der Unternehmer. Wie bisher kann der steuerpflichtige Unternehmer zwischen mehreren Verschonungsmodellen wählen, die den Wert des Betriebsvermögens mit demjenigen des Verwaltungsvermögens abgleichen. Mit Verwaltungsvermögen sind vermieteter Grundbesitz, Wertpapiere, Unternehmensbeteiligungen (über 25 Prozent), Kunstsammlungen und weiteres Vermögen gemeint, das nicht mit betrieblichen Anlagen erwirtschaftet worden ist. Der Gesetzgeber hat nun die Möglichkeiten, solches - wie Steuerexperten formulieren - "schädliche Vermögen" aus der Steuerberechnung herauszunehmen, stark eingeschränkt. Künftig dürfen in der steuerlich begünstigten Gesamtsumme maximal 20 Prozent Verwaltungsvermögen enthalten sein. Zudem werden teure Hobbys wie Oldtimer jetzt als Verwaltungsvermögen eingestuft. Außerdem werden der steuerliche Vorab-Abschlag auf begünstigte Vermögen für Firmen, die mehr als 26 Millionen Euro wert sind, auf maximal 30 Prozent festgelegt und Ausschüttungen aus diesem weitgehend untersagt. Auf diesen Punkt hatte das Bundesverfassungsgericht besonderen Wert gelegt, weil dann ein sogenannter Großerwerb vorliegt und deshalb die höchsten Steuersätze gelten. Die Erben können diese Steuerzahlung bis zu sieben Jahre lang teilweise zinslos stunden lassen. Aber auch diese Regelungen stoßen auf Kritik. "Hochbewertete Unternehmen werden benachteiligt", stellt Paulus fest. "Der Gesetzgeber sollte auf den Grenzwert von 26 Millionen Euro verzichten." Korth kritisiert dieses Verfahren ebenfalls. "Vor allem für Unternehmen, die zwischen 26 und 90 Millionen Euro wert sind, wird es kompliziert, weil die steuerliche Belastung nach einem schwer zu durchschauenden Verfahren berechnet wird", kritisiert der Unternehmer. Auf einen anderen Aspekt weist Honold hin. "Die Erben müssen unter Umständen sieben Jahre lang alle Gewinne in die Erbschaftsteuer investieren", sagt er. "Darunter leiden Kapitalausstattung und Innovationskraft." Wenn die Erben das Unternehmen ins Ausland verkaufen, stehen sie finanziell möglicherweise sogar besser da. Höchstsatz von 30 Prozent Ab einem Unternehmenswert von 90 Millionen Euro greift aber kein Verschonungsmodell mehr, die Erben müssen den Höchstsatz von 30 Prozent zahlen. Allerdings dürften nur sehr wenige Branchenbetriebe diese Grenze überschreiten. "Für Betriebe mit einem Wert unter 26 Millionen Euro bleiben die Folgen erträglich", resümiert Paulus. Unter diesem Limit dürften die meisten Familienbetriebe in der Logistik bleiben, schätzt er. Andernfalls können sie noch gegensteuern. "Reduzieren Sie das Verwaltungsvermögen mit Investitionen", rät Liebernickel. Sprich: Wer Grundstücke oder Beteiligungen verkauft und mit den Erlösen den Fuhrpark erneuert oder Lager und andere Betriebsgebäude modernisiert, wird im Erbfall vom Fiskus möglicherweise verschont. Zudem macht er seine Firma wettbewerbsfähiger. Gerade dieser Aspekt wird laut dem PWC-Berater völlig unterschätzt. Zudem würden viele europäische Länder gar keine Erbschaftsteuer erheben oder haben diese in den letzten Jahren abgeschafft, sagt er. So verzichten Österreich, Portugal, viele Schweizer Kantone, alle skandinavischen und baltischen sowie einige osteuropäische Länder auf Abgaben für Erbschaften und Schenkungen. Die deutsche Erbschaftsteuer, deren Einnahmen mit zuletzt 5,5 Milliarden Euro (2015) vergleichsweise gering sind, benachteiligt Familienbetriebe also auch im internationalen Wettbewerb. "Ich habe Politikern wiederholt vorgeschlagen, die Erbschaftsteuer ersatzlos zu streichen und stattdessen die Einkommensteuer leicht zu erhöhen", sagt Jürgen Britsch. Da die Einkommensteuer aber vom Bund, die Erbschaftsteuer von den Ländern eingenommen wird, sind solche Vorschläge von vornherein zum Scheitern verurteilt. Mehr zum Thema im Dossier Steuern & Abgaben www.verkehrsrundschau.de/dossiers Experten-Tipps - Ermitteln Sie den Wert Ihres Unternehmens unter besonderer Berücksichtigung des Verwaltungsvermögens. Bleiben Sie unter der steuerlich relevanten Grenze von 26 Millionen Euro? Dann können Sie die Steuerlast auf jeden Fall mit Verschonungsmodellen mindern oder völlig vermeiden.- Analysieren Sie Verwaltungsvermögen und Innovationsbedarf. Mit dem Verkauf von vermieteten Grundstücken oder fremden Firmenanteilen können Sie Investitionen vornehmen und Verwaltungsvermögen reduzieren.- Prüfen Sie eine Umstrukturierung des Betriebs. Denn Gesellschafteranteile ab 25 Prozent werden ebenfalls als Verwaltungsvermögen eingestuft.- Ziehen Sie Schenkungen von Betriebsteilen erst dann in Betracht, wenn ein überzeugender Nachfolger feststeht. Geben Sie jedoch nicht den kompletten Betrieb aus der Hand. botRechtsanwalt Martin Liebernickel, Direktor Privatkunden und Familienunternehmen der Unternehmensberatung PWC