Lieferengpässe: Ausgebremst?

Schocknachricht am 5. April: Die chinesische Finanz- und Wirtschaftsmetropole Shanghai verlängert den Corona-Lockdown für ihre 25 Millionen Einwohner auf unbestimmte Zeit. Ursprünglich hätte die Abriegelung der Innenstadt am Abend des 5. Aprils enden sollen. Mittlerweile (Stand 22. April) ist der Lockdown zwar wieder gelockert. Die Folgen auf die Wirtschaft werden dennoch massiv sein. Denn Shanghai ist nicht nur für internationale und innerchinesische Warenströme ein wichtiges Logistik-Hub; sondern hat weltweit auch den umschlagsstärksten Containerhafen. Hängen hier Frachtschiffe fest, trifft dies die globalen Lieferketten und wird auch für höhere Preise sorgen. "Auch in Deutschland werden die Lieferengpässe zu spüren sein", sagte Maximilian Butek, Delegierter der Deutschen Wirtschaft in Shanghai, am 22. April gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Denn durch den Lockdown können viele Unternehmen ihre Produkte nicht mehr exportieren. Auch nicht über andere Häfen, da deren Kapazitäten bereits erschöpft sind. "Die Verknappung des Angebots an Lieferungen aus China wird die jetzt schon hohe Inflation in Deutschland weiter negativ beeinflussen", befürchtet Butek außerdem. Kunden überdenken JIT-Konzepte Die Sorgen der Unternehmen in der Logistik steigen damit weiter - auch hierzulande. Denn schon vor dem Lockdown in Shanghai waren die Lieferketten angespannt. "Lieferengpässe treten jetzt schon an allen Ecken und Enden auf", bringt Josef Heiß, geschäftsführender Gesellschafter des Transportunternehmens BTK in Rosenheim, die Probleme auf den Punkt. So muss das Unternehmen inzwischen mindestens zwölf Monate, bei manchen Herstellern gar bis zu 16 oder 18 Monate auf die Auslieferung der Diesel-Lkw warten, nennt Heiß konkrete Beispiele. Immerhin habe BTK bislang jedes Fahrzeug zu den Leasing-Konditionen (wenngleich 15 bis 20 Prozent teurer als in 2021!) erhalten, die mit dem Hersteller vereinbart worden waren. BTK habe also auch in diesem Jahr 50 bis 60 seiner Lkw auswechseln können, sagt er, aber nur weil es die Ersatzinvestitionen sehr frühzeitig geplant habe. Ob dies auch in 2023 möglich sein wird, werde man sehen: "Die Lieferengpässe sollen ja noch größer werden und die Kosten noch mehr steigen", sagt Heiß. Allein die Leasingraten, weiß er aus ersten Angeboten, sollen um 50 bis 70 Prozent im kommenden Jahr nach oben gehen. Was den BTK-Geschäftsführer ebenfalls sorgt: "Um wirklich wachsen zu können, bräuchten wir 30 bis 40 zusätzliche Lkw. Die bekommen wir aber im Moment nicht. Die Kundenaufträge dazu hätten wir." Noch gehe dies aber nicht so weit, sagt er, dass diese Engpässe das Unternehmens-Wachstum ausbremsen. Allerdings habe BTK aufgrund der Lieferengpässe im vergangenen Jahr an einigen Ausschreibungen auch nicht mehr teilgenommen. Mangel spüre das Unternehmen auch an der Paletten-Front, erzählt Heiß. Die Folge: Kostete eine neuwertige Europalette noch vor zwei Jahren sieben bis neun Euro, sind es aktuell über 20 Euro. "Und wir wissen alle noch nicht, wie es da weiter geht, ob wir vielleicht gar nicht mehr an Europaletten kommen." Noch funktioniere das über externe Paletten-Dienstleister. Das könne sich aber ganz schnell ändern", fürchtet Heiß. Es gebe schon erste Kunden, die ihr Just-in-time-Konzept überdenken - allein weil ihnen die Paletten für die Produktion ausgehen. Der Lkw-Markt ist wie leergefegt Der große Flaschenhals für die Spedition Nolden in Kerpen sind dagegen die fehlenden Fahrer. "Sie sind für uns sogar der größte Engpass, mit dem wir kämpfen", sagt Unternehmenschef Hans Peter Nolden. 65 Mitarbeiter und 33 eigene Lkw setzt die Spedition ein, die insbesondere im Fernverkehr in Deutschland, in den Benelux-Staaten, Portugal und Spanien tätig ist - fallweise auch mit festen Transportpartnern. Der Fahrermangel sei inzwischen so groß, dass sein Unternehmen mangels Fahrer Aufträge ablehnen müsse, beklagt Nolden. "Das ist für mich sehr bitter, das verstößt gegen meine Prinzipien, vor allem aber bremst das unser Wachstum aus. Wenn wir mehr Fahrer finden würden, hätte ich längst meinen Fuhrpark vergrößert und in mehr eigene Lkw investiert." Locker zehn Lkw mehr könnte Nolden aufgrund der Kundennachfrage beschäftigen - ein Mehrumsatz, den er mangels Fahrer derzeit aber nicht erwirtschaften kann. Vorausgesetzt, Nolden kommt überhaupt an Lkw. "Die Märkte sind wie leergefegt. Es gibt keine Fahrzeuge mehr", erklärt er. Und am Miete-, Leasing- oder auch Gebrauchtfahrzeugmarkt sehe es nicht besser aus. Wohlweislich habe er schon im Frühjahr 2022 Neufahrzeuge bei MAN, Scania und Mercedes-Benz für 2023 geordert. "Denn alle Ersatzinvestitionen, die ich für dieses Jahr geplant hatte, erhalte ich frühestens im Dezember 2022, wahrscheinlich erst im Januar oder Februar 2023 - auch aufgrund der fehlenden Kabelbäume in der Ukraine." Verlader sind offen für Preisanpassungen Erschwerend kommt hinzu: Durch die Engpässe und die steigende Inflation wird alles noch teurer. Noch vor einem Jahr habe er seinem holländischen Vermieter 1700 oder 1800 Euro an monatlicher Lkw-Leasingrate gezahlt, erzählt Nolden. Inzwischen seien es mindestens 2500 oder 2600 Euro im Monat. Immerhin hat ihm sein Nutzfahrzeughersteller die Lkw-Bestellungen nicht storniert; bei manchen Branchenkollegen sei dies offenbar der Fall gewesen. Ihm sei aber angedeutet worden, dass er unter Umständen mit höheren Konditionen rechnen müsse - allerdings mit der Option, vom Vertrag zurücktreten zu können. Um ganze 24 Prozent sind Nolden zufolge seine Gesamtkosten zwischen März 2021 und März 2022 gestiegen. "Als Dienstleister müssen wir jeden Tag verdammt auf unsere Kosten achten und aufpassen, wie sich diese entwickeln." Jeden Tag prüfe er deshalb, ob die bestehenden Prozesse noch taugen oder zu optimieren sind. Umso dankbarer ist Nolden, dass seine beiden Söhne und beiden Töchter auch in der Spedition tätig sind. "Deshalb habe ich jetzt die Zeit, jede Tour, jeden Prozess und alle notwendigen Zahlen in unserem Unternehmen zu analysieren und zu kontrollieren." Notfalls lehne er eben einen Auftrag ab. "Diesen Luxus haben wir heute - das ist zumindest ein Vorteil der momentanen Engpässe." Gefährlich ist die aktuelle Lage dennoch. "Denn jeder Engpass führt zum nächsten Engpass. Das schaukelt sich immer weiter auf - das ist eine Multiplizierung der Engpässe, die sich auf alle Bereiche auswirkt", warnt Bernhard Rieger, Inhaber der Logistikberatung BR Consulting in Röhrmoos. Beispiel dafür seien die überbordenden Lagerkapazitäten. "Es gibt in Deutschland im Moment fast keine freien Lagerflächen mehr. Die Lager der Speditionen sind voll, weil die Hersteller Bestände aufbauen. Das hat zur Folge, dass an anderen Stellen Teile fehlen, wie eben jetzt in der Nutzfahrzeugindustrie, die wiederum zum Lieferstau längst georderter Lkw führen." Immerhin für Transport- und Speditionsbetriebe birgt dies laut Rieger echte Chancen: "Wer jetzt nicht seine Preise anhebt, ist selbst schuld. Wenn nicht jetzt, wann dann?" Selten seien die Verlader so offen für Preisanpassungen gewesen wie aktuell. "Die gehen das nahezu bedingungslos mit", macht er auch kleineren Transporteuren Mut. "Wir haben im Moment einen Käufermarkt. Das gab es seit 20 Jahren nicht mehr." Er könne daher jeden Dienstleister nur ermuntern, in eigene Kapazitäten zu investieren. "Der Verlader geht dorthin, wo es eigenen Laderaum gibt. Der Eigenfuhrpark erlebt eine Renaissance." Mehr zum Thema unter #Unternehmensfuehrung www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Anhaltende Lieferengpässe, die steigende Inflation und nun der großflächige Corona-Lockdown in Shanghai - alles das kumuliert sich zu einem gefährlichen Gemisch zusammen, das auch die Transportund Speditionsbetriebe empfindlich spüren. Wo es hakt, aber auch welche Chancen dadurch Dienstleister haben. Auf wie viel Prozent steigt die Inflation in Deutschland? Interview mit Sascha Möhrle vom Ifo Institut in München Im Moment wird alles teurer. Was sind die Ursachen für die steigende Inflation?Hauptursache für die momentane Inflationsentwicklung sind die kräftigen Energiepreisschübe. Die Öl- und Gaspreise sind bereits vor dem Ukraine-Krieg gestiegen, die Krise treibt die Energiepreise jedoch zusätzlich. Die Inflation ist aber auch bei Nahrungsmitteln und anderen Gütern angekommen. Die Nahrungsmittelpreise stiegen im März um über sechs Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Bei vielen Gütern machen sich steigende Weltmarktpreise für Rohstoffe sowie Lieferengpässe bemerkbar. Im Moment (April 2022) haben wir in Deutschland eine Inflationsrate von 7,3 Prozent. Bei welcher durchschnittlichen Inflationsrate könnten wir in Deutschland in diesem Jahr landen?Für das Gesamtjahr 2022 rechnen wir mit einer Inflationsrate von 6,1 Prozent, dem voraussichtlich höchsten Wert seit 40 Jahren. In dieser Prognose unterstellen wir allerdings, dass die Energiepreise nicht weiter steigen werden. Sollte es zu einem Lieferstopp für russisches Öl und Gas kommen und die Energiepreise daher weiter ansteigen, dürfte die Inflationsrate in diesem Jahr über sieben Prozent betragen. Ist die hohe Inflationsrate hierzulande zeitlich befristet, oder rechnen Sie auch in 2023 mit einer höheren Inflationsrate in Deutschland?Die Inflationsrate dürfte im kommenden Jahr (also in 2023) deutlich sinken, aber mit rund drei Prozent immer noch deutlich über dem langjährigen Durchschnitt seit der Wiedervereinigung liegen. eh

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