Kabotage-Freigabe

Kabotage-FreigabeGrenzenloser VerkehrDurch den aktuell wieder steigenden Preisdruck im Transportgewerbe gewinnt das Thema Kabotage-Freigabe an Brisanz. Transportverbände in Nordeuropa fordern sogar, die neuen Regeln einzufrieren. Doch wie schädlich ist die neue Freiheit wirklich fürs Geschäft? Für Elena Schmidt, Geschäftsführerin der Spedition König-Trans in Frankfurt/Oder, ist das Maß voll: „Die Kabotage muss ausgesetzt werden“, fordert die Unternehmerin. „Wir haben schon etliche Aufträge aus preislichen Gründen an osteuropäische Transportbetriebe verloren.“ 1,60 Euro pro Kilometer seien für sie ja noch notfalls akzeptabel, sagt Schmidt. „Manche Polen fahren aber für einen Euro – da können wir preislich nicht mithalten.“ Und es werde immer schlimmer: Mittlerweile würden in Deutschland ausländische Transporteure nahezu jede Art von Komplettladung fahren – egal in welcher Branche. Selbst in der Lebensmittelbranche, in der eigentlich spezifisches Know- how gefragt ist, würden schon ausländische Transporteure eingesetzt, beobachtet die Firmenchefin. Und das Ganze ziehe auch im Lager- und Verzollungsgeschäft ein. Schmidt: „Das ist wirklich eine bedrohliche Situation für deutsche Transportbetriebe.“Brandbrief an die EU-KommissionAber nicht nur hierzulande häufen sich im Transportgewerbe die kritischen Töne beim Thema Kabotage (siehe Kasten Seite 20). Auch in Nordeuropa schlägt die neue Freiheit hohe Wellen. So sorgte unlängst die Nordic Logistics Association (NLA) mit ihrer Forderung nach Aussetzung der Kabotage für große Aufregung (siehe VR 21/2012). In einem Brief an den EU-Verkehrskommissar hatte der Zusammenschluss aus dänischen, schwedischen und norwegischen Firmen beklagt, von der ausländischen Konkurrenz geradezu überrollt zu werden. Unter dem Druck des Billigwettbewerbs seien die Transportpreise in den letzten acht Monaten um fünf Prozent gesunken, trotz steigender Spritpreise, so die NLA. Deshalb fordert auch der Verband Brüssel auf, eine zeitweilige Kabotage-Pause zu genehmigen. Theoretisch ist das sogar möglich, wenn – so der Gesetzestext – eine „ernste Marktstörung“ vorliegt. Als Erster schoss der europäische Speditionsverband Clecat scharf zurück: Wer sich durch Billiganbieter bedroht fühle, „soll lieber mit dem hohen Qualitätsniveau werben“, polterte dessen Vorsitzende Nicolette van der Jagt. Zustimmung dagegen finden die Kabotage-Rebellen im Gewerkschaftslager: „Wenn der Markt oder Teile des Marktes in Schieflage geraten, muss gehandelt werden“, meint Sigrun Schmid, Verdi-Expertin aus dem Bereich Logistik. Sie hält ein Aussetzen der Kabotage-Verordnung für sinnvoll. Gegebenenfalls müssten EU-Regelungen nachgebessert werden, weil das Lohngefälle zwischen einzelnen Staaten zum Teil immens sei. Schmid: „Die Kabotage darf kein Hebel für systematisches Lohndumping sein. Die Forderung aus Skandinavien ist für uns durchaus nachvollziehbar.“ Aber ist die Freigabe der Kabotage wirklich so schädlich fürs Geschäft, wie die Nordeuropäer behaupten? Und was passiert, wenn die totale Marktöffnung kommt?Polen profitiert am stärkstenZunächst zu den Fakten: Die Freigabe der Kabotage in den letzten Jahren hat auf die nationalen Transportmärkte in Europa kaum direkte Auswirkungen gehabt. Die Marktanteile der Kaboteure insgesamt liegen in fast allen Mitgliedstaaten unter drei Prozent der Verkehrsleistung, mit leicht steigender Tendenz. Hauptzielländer für Kaboteure sind Deutschland und Frankreich, am meisten profitiert von der neuen Freiheit haben polnische Transportunternehmen. Sie steigerten ihre Kabotage-Leistung von 2009 auf 2010 um rund 70 Prozent und erbringen etwa ein Fünftel aller Kabotage-Leistungen in der Gemeinschaft, sagt die Statistik des Bundesamtes für Güterverkehr (BAG). Dass ab dem 1. Januar 2012 rumänische und bulgarische Firmen in Deutschland ihre Leistungen anbieten können, scheint dagegen bisher kaum negative Folgen zu haben. Das zumindest ergab unlängst eine Umfrage des BAG. Drei Prozent Marktanteil ausländischer Anbieter – das klingt zunächst nicht nach viel – ist aber gerade für kleinere und mittlere Transportbetriebe im klassischen Güterfernverkehr riskant. „Dadurch kann es zu Preissenkungen auf dem deutschen Transportmarkt für einen Großteil der nationalen Beförderungen kommen“, beobachtet Helmut Große, Referent Internationaler Straßengüterverkehr beim Deutschen Speditions- und Logistikverband (DSLV) in Bonn. Seine Kritik: Die Verlader beauftragen zwar oft nicht den ausländischen Anbieter, nehmen aber dessen Angebot, um damit die Preise bei den heimischen Transportunternehmen zu drücken. Marktöffnung 2014 – zu früh?Also lieber Schluss mit der Marktöffnung? Dieser Forderung aus Nordeuropa schließt sich der DSLV nicht an. Allerdings werden die Pläne aus Brüssel, schon 2014 die Kabotage ohne Einschränkungen zu erlauben, kritisch gesehen. „Das ist verfrüht“, urteilt Große. Er findet, dass der Markt erst völlig geöffnet werden sollte, wenn sich die Löhne in EU-Ländern stärker angepasst hätten. Seine Position: Liberalisierung ja, aber erst, wenn alle mit den gleichen Voraussetzungen an den Start gehen.Völlig andere Stimmen kommen aus dem Lager der verladenden Wirtschaft. Hier ist man der Ansicht, dass die Kabotage zu Unrecht als schwarzer Peter herhalten muss. „In den nordeuropäischen Ländern hat die Wettbewerbsfähigkeit einfach abgenommen“, sagt Christian Labrot, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Wirtschaft, Verkehr und Logistik (BWVL). Er hält den Kabotage-Markt für relativ unbedeutend im Vergleich zum grenzüberschreitenden Verkehr. Daneben verweist er darauf, dass deutsche Firmen mit zu den größten Nutznießern der Marktöffnung gehören. „Es gibt Länder, da sind wir die größten Kabotage-Betreiber.“ Wer im Glashaus sitzt, solle besser nicht mit Steinen werfen.Vielleicht ist das der Grund, warum sich deutsche Fuhrunternehmen zu dem Thema gegenüber der VerkehrsRundschau nur ungerne äußern. „Damit lehnt sich niemand aus dem Fenster“, sagt ein Insider. Verständlich: Keiner gesteht gerne ein, von Billiganbietern ausgebootet worden zu sein. Direkten Wettbewerb durch Kabotage-Fahrten haben aber wohl die wenigsten. Was aber nicht heißt, dass Konkurrenz von jenseits der Grenze kein Problem wäre. „Immer mehr Polen gründen Firmen in Deutschland, mit komplett polnischer Mannschaft“, beobachtet ein Kenner des ostdeutschen Transportmarkts. So werden die Einschränkungen bei der Kabotage elegant unterlaufen. Doch nur den Ausländern die Schuld zuzuweisen, greift zu kurz, schließlich haben auch deutsche Speditionen reihenweise Dependancen in Osteuropa eingerichtet, um vom (noch) niedrigeren Lohnniveau zu profitieren.Und was passiert, wenn 2014 tatsächlich jeder ausländische Spediteur ganz offiziell und ohne Einschränkung in Deutschland seine Dienste anbieten darf? „Damit wären nicht alle Türen und Tore geöffnet“, wiegelt Wolfgang Severing, Abteilungsleiter beim BAG, ab. Er verweist auf die weiter bestehenden Sprachbarrieren und das Versicherungsrecht. Hintergrund: Wer als Ausländer Güter innerhalb Deutschlands transportieren will, muss höhere Versicherungsprämien zahlen als im grenzüberschreitenden Verkehr (Güterschadenshaftpflichtversicherung). „Das lohnt sich bei einzelnen Beförderungen nicht“, so Severing.Kein Grund zur Panik?Vor allem die Verlader sehen einer völligen Liberalisierung des Transportmarktes gelassen entgegen. „Das betrifft höchstens das Billigsegment, also den Transport von A nach B“, meint BWVL-Mann Labrot. Bei langfristigen Geschäftsbeziehungen gehe es um Qualität, Zuverlässigkeit, Zugriff, Haftung – und all das böte ein heimischer Logistiker immer noch am besten. ❙❚■ Constantin Gillies, Eva HassaDeutschland und Frankreich sind die wichtigsten Zielländer für Kabotage-VerkehreInzwischen Alltag auf deutschen Straßen: ausländische LKWKabotage-FreigabeUnter Kabotage versteht man den Binnenverkehr in einem Land, in dem das Fahrzeug nicht zugelassen ist. Seit Mai 2009 ist Unternehmen aus den 15 alten EU-Ländern sowie Slowenien, Malta, Zypern, Lettland, Litauen, Polen, Tschechische Republik, Slowakei und Ungarn die zeitweilige Kabotage erlaubt, am 1. Januar dieses Jahres sind noch Rumänien und Bulgarien hinzugekommen. Alle Transportleistungen dürfen allerdings nur „zeitweilig“ erbracht werden, wie es in der EU-Verordnung heißt. Für Deutschland bedeutet das: Es sind nur drei Kabotage-Fahrten innerhalb von sieben Tagen zulässig. Mit einem einfachen Trick allerdings lässt sich diese Regel leicht umgehen. Das nicht unübliche Vorgehen: Der ausländische LKW fährt die erlaubten drei Fahrten innerhalb von Deutschland, dann wird zu einer festgelegten Stelle nahe der Grenze gefahren, dort mit einem Kollegen der Auflieger getauscht – und schon können erneut drei billige Touren innerhalb von Deutschland gefahren werden. cg„Die Kabotage-Statistik ist eine Farce“Karlheinz Schmidt, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) im Interview.Einige nordeuropäische Verbände wollen die Kabotage aussetzen, weil sie die ausländische Konkurrenz für zu erdrückend halten. Wie schätzen Sie die Lage ein? Karlheinz Schmidt: Zunächst einmal muss man klarstellen, dass die europäische Kabotage-Statistik eine Farce ist; in Frankreich zum Beispiel zählt eine Fahrt mit drei Abladestellen so wie drei Kabotage-Fahrten – in Deutschland nur wie eine. Die Zahlen führen in die Irre, niemand weiß wirklich, wie viel Kabotage gefahren wird.Ließe sich die Kabotage-Freiheit überhaupt ohne Weiteres aussetzen?Die EU-Verordnung ist klar: Der Krisenmechanismus greift nur, wenn nachgewiesen wird, dass eine Marktstörung allein durch die Kabotage ausgelöst wird. Doch das ist nicht einmal theoretisch möglich! Denn wie sollen Kabotage-Fahrten, die maximal drei Prozent des Marktes betreffen, allein für eine Marktstörung verantwortlich sein? Das ist, als ob man sagt, dass Schlecker allein an Ladendiebstählen Pleite gegangen ist.Die Transportbranche muss sich mit der Billigkonkurrenz abfinden?Die Kabotage ist doch gar nicht das Problem, das Problem ist die Marktmacht: Die Preise werden von den großen Logistikdienstleistern gemacht. Und es gibt immer einen billigen Jakob, der zu jedem Preis fährt.Und der kommt oft gar nicht aus dem Ausland …Genau! Dafür brauchen Sie gar keine Kabotage. Deshalb fordern wir Preis und Leistungsdisziplin. Unverschämte Aufträge müssen liegen bleiben! cgInterviewKarlheinz SchmidtKabotage-FreigabeFrankreich: In Frankreich haben die liberalisierten Regeln für Kabotage die desolate Lage der heimischen Transportbetriebe im internationalen Wettbewerb weiter verschlimmert. Allein zwischen 2008 und 2010 stieg die Zahl der Kabotage-Fahrten in Frankreich um 22,8 Prozent; aktuellere Zahlen liegen nicht vor. Am häufigsten nutzen LKW aus Deutschland diese Möglichkeit – gefolgt von Polen, Spanien und Luxemburg. Schuld an dieser Entwicklung sind laut dem Verband der Straßengütertransporteure FNTR die hohen Fahrerkosten in Frankreich: Deutsche Fahrer kosten nach Verbands-angaben nur 76 Prozent, spanische 65 und polnische 35 Prozent von dem, was französische Betriebe ihren Fahrern zahlen müssen. FNTR ist gegen eine weitere Liberalisierung der Kabotage. Mit den Kabotage-Kontrollen in Frankreich zeigt sich der Verband zufrieden. jbItalien: Die neuen Kabotage-Regelungen verschärfen den Wettbewerbsdruck in Italien. Vor allem die Transportfirmen der Grenzregionen, insbesondere Friaul-Venetien, klagen über die „ungleiche Konkurrenz“. Sie können mit dieser aufgrund ihrer höheren Personalkosten und noch höheren Spritpreisen nicht mithalten. So kostet ein italienischer Fahrer 132 Prozent mehr als ein rumänischer, 114,6 Prozent mehr als ein polnischer, 82 Prozent mehr als ein ungarischer und 40,3 Prozent mehr als ein slowakischer Fahrer, schreibt der italienische Verband der Transportunternehmer Anita. Zudem würden es die ausländischen LKW ausnutzen, dass es nach wie vor zu wenige Straßenkontrollen gibt.Die Folge: Allein in der Region Udine mussten 20,84 Prozent der Firmen schließen, so eine Studie der Handelskammer von Udine, in der Grenzstadt Triest waren es sogar 27 Prozent. Offizielle Zahlen, wie viele ausländische LKW täglich in Italien unterwegs sind, gibt es allerdings nicht. Schätzungen zufolge sollen es aber 2000 LKW sein – hauptsächlich in den nördlichen Regionen. Abgesehen davon hat die Freigabe der Kabotage in Italien einen neuen Typus von Firmen im Straßentransport geschaffen: den Broker. Sie schaffen die Verbindung zwischen italienischen Kunden und ausländischen Fahrern. Sie sind als Unternehmen des Straßentransports registriert, haben aber keine Fahrzeuge. Die Schwierigkeiten der italienischen Unternehmen haben inzwischen die Politik erreicht. Im römischen Senat wurde im Frühjahr eine Resolution verabschiedet, mit der die Regierung verpflichtet wird, bei der EU-Kommission die Anwendung der Schutzklausel für fünf Jahre einzufordern. rpPolen: In Polen weckt die Kabotage kaum Emotionen, obwohl die Polen zu den aktivsten Transporteuren innerhalb der EU zählen. Laut EU-Kommission wurde 2010 etwa ein Fünftel aller Kabotage-Verkehre in der EU von Polen gefahren. „Grundsätzlich sind wir natürlich dafür, dass die Kabotage-Regelungen in den einzelnen Ländern einheitlich interpretiert werden, damit Polen davon maximal profitieren kann“, sagte ein Sprecher der polnischen Straßengüterverkehrsvereinigung ZMPD der VerkehrsRundschau. Insgesamt sei der Anteil der Transporte, die mithilfe der Kabotage gefahren würden, am gesamten Transportvolumen aber zu gering, als dass er starke Auswirkungen auf die Geschäfte haben könnte. „Deswegen können die Polen, die in anderen EU-Ländern fahren, davon auch nicht übermäßig profitieren“, erklärte er. Ebenso wenig werden seinen Aussagen zufolge die einheimischen Transporteure von den Ausländern in Mitleidenschaft gezogen, die in Polen die Kabotage abwickeln. „In Polen beträgt der Anteil der Kabotage am gesamten Transportvolumen weniger als 0,5 Prozent“, fügte er hinzu. Damit gehört das Land zu denjenigen innerhalb der EU, wo diese Transportform die geringste Rolle spielt. becSo wirkt sich kabotage-freigabe im EU-Ausland aus

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