Interview: "Jedes Paketnetz lebt von Masseneffekten"

Die Kaufbereitschaft der Endkunden steigt, je schneller die Ware zugestellt wird. Welche Risiken birgt dieser Anspruch für Hermes? Von Risiken würde ich nicht sprechen, durchaus aber von Herausforderungen. So wollen die Endverbraucher heute ihr Paket am liebsten an einen Wunsch-Ort, an einen bevorzugten Nachbarn oder in einem möglichst engen Zeitfenster zugestellt, kurzfristige Umverfügungen inklusive. Damit wird der private Empfänger zunehmend zum Regisseur der Lieferkette. Wie gefährlich ist diese Entwicklung für die etablierten Paketnetze wie Hermes? Viele Innovationen im E-Commerce zielen darauf ab, Warenbestellung und -empfang für den Endkunden immer einfacher zu gestalten. Folglich werden auch die Lieferprozesse individueller und teurer. Wenn jeder Sendungsempfänger den ihn betreffenden Lieferprozess beeinflussen will, ist das eine für die Paketindustrie mit ihren traditionell niedrigen Margen diffizile und systemisch anspruchsvolle Entwicklung. Natürlich entsprechen wir dem Wunsch der Konsumenten nach Unabhängigkeit und neuen Concierge Services gerne. Aber mit der zunehmenden externen Einflussnahme auf das System potenziert sich auch das Risiko nachteilig wirksam werdender ökonomischer und ökologischer Effekte. Denn jedes Paketnetz lebt primär von Verbund- und Masseneffekten. Insofern müssen die vonseiten der Paketindustrie vorgenommenen Investitionen in neue Dienste auch von deren Nutznießern, also Handel und Verbrauchern, bezahlt werden - zumindest wenn diese dort beauftragt wurden oder stark nachgefragt werden. Ein weiteres Problem im B2C sind die berühmten Letzte-Meile-Kosten. Diese machen über den Daumen gerechnet über 60 Prozent der Gesamtkosten aus. Entsprechend ist es unser Ziel, die Kunden beim ersten Zustellversuch anzutreffen. Dabei sind viele Lösungen hilfreich - gerade auch betriebswirtschaftlich, etwa unsere Paketshops und Parcellock. Das Ergebnis ist, dass Hermes heute schon 97 Prozent der Kunden beim ersten Zustellversuch erreicht.