Brüssel eröffnet neues Verfahren zu VW-Gesetz

05.06.2008 11:48 Uhr
VW 290
Das Vetorecht für das Land Niedersachsen ist strittig (Bild: ddp)
© Foto: ddp

Die EU-Kommission greift die Neufassung des VW-Gesetzes an

Brüssel/Berlin. Der Streit zwischen Brüssel und Berlin um das VW-Gesetz eskaliert weiter: Die EU-Kommission leitete ein neues Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein. Dabei drohen in letzter Konsequenz hohe Strafgelder. Brüssel wirft der Bundesregierung vor, sie habe das gut sieben Monate alte Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zu dem Schutzgesetz für Volkswagen nicht ausreichend umgesetzt. Während die Bundesregierung das harte Vorgehen Brüssels für unbegründet hielt, kam von Porsche Zustimmung. Der Stuttgarter Sportwagenbauer besitzt rund 31 Prozent an VW und will seinen Anteil bis zum Herbst auf über 50 Prozent ausbauen. „Spezielle Rechte für die öffentliche Hand in Deutschland sind wegen EU-Bestimmungen zum freien Kapitalverkehr nicht hinnehmbar“, sagte der Sprecher von EU-Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy heute in Brüssel. Der Entwurf der Bundesregierung zur Neufassung des VW-Gesetzes sei „nicht kompatibel mit EU-Recht“. Streitpunkt ist die Regelung, dass bei der VW-Hauptversammlung eine Sperrminorität von 20 Prozent für wichtige Entscheidungen gilt. Damit hat das Land Niedersachsen, das knapp über 20 Prozent an VW hält, ein Vetorecht. Nach dem Aktienrecht üblich ist eine Sperrminorität von 25 Prozent. Berlin hat nun zwei Monate Zeit, um auf die Vorwürfe zu antworten. „Dann muss der Europäische Gerichtshof entscheiden, wer Recht hat“, sagte der Sprecher McCreevys. Der EuGH kann dann auch Zwangsgelder gegen die Bundesrepublik verhängen, die nach Schätzungen aus Berliner Regierungskreisen bis zu 100.000 Euro pro Tag betragen können. In den Kreisen wurde darauf verwiesen, dass die Kommission sich in ihrem Schreiben inhaltlich mit dem Gesetzentwurf der Regierung noch gar nicht auseinandergesetzt habe. Das Vertragsverletzungsverfahren sei zunächst aus formalen Gründen gestartet worden. Die Antwort an Brüssel werde so überzeugend sein, dass es kein Zwangsgeld geben werde, hieß es in Berlin. Das Gesetz von Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) sei europarechtskonform. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) kritisierte das neue Verfahren scharf: „Worum es hier geht, ist, dass offensichtlich die EU-Kommission nichts aus der Entwicklung bei Nokia in Bochum gelernt hat“, sagte der SPD-Politiker in Luxemburg. Er forderte die Regierung in Hannover auf, „alleine oder gemeinsam mit freundlichen Investoren“ den Anteil an VW auf 25 Prozent zu erhöhen. Der EuGH als höchstes EU-Gericht urteilte im Oktober 2007, dass wichtige Punkte des VW-Gesetzes gegen Europarecht verstoßen. So wurde die Vorschrift gekippt, wonach ein VW-Aktionär in der Hauptversammlung höchstens 20 Prozent der Stimmrechte ausüben kann - auch wenn er mehr Aktien besitzt. Im Entwurf für die Neufassung des fast 50 Jahre alten VW-Gesetzes hat die Bundesregierung dieses Höchststimmrecht gestrichen. Berlin hält aber an der 20-prozentigen Sperrminorität fest und sichert dem Land Niedersachsen damit faktisch weiterhin eine starke Stellung bei VW. Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) sagte, die Kommission sei derzeit offenbar nicht bereit und willens, den guten Argumenten der Bundesregierung zu folgen. Der niedersächsische IG-Metall-Bezirkschef Hartmut Meine kritisierte: „Auch die Marktideologen der EU-Kommission müssen Gesetzesurteile akzeptieren.“ IG-Metall-Chef Berthold Huber sagte: „Das VW-Gesetz behindert weder den freien Kapitalverkehr noch wird die Verwirklichung des Binnenmarktes verzögert.“ Ein Sprecher von Porsche sagte dagegen: „Die EU-Kommission bestätigt unsere Rechtsauffassung.“ Damit werde der Standpunkt des Sportwagenbauers untermauert, dass das VW-Gesetz überflüssig sei. VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh konterte: „Die Notwendigkeit eines VW-Gesetzes stellt Porsche zur Zeit selbst unter Beweis. Wer Arbeitnehmerrechte mit Füßen tritt und ein gemeinsames Erfolgsprojekt zu einem Debakel macht, der sollte sich nicht wundern, wenn der Ruf nach Schutzrechten erstarkt“, sagte Osterloh. Seit Monaten tobt ein Konflikt über die Machtverteilung in einem künftigen Porsche/VW-Konzern. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) begrüßte die Brüsseler Entscheidung. Das VW-Gesetz wäre „Ballast“ im internationalen Wettbewerb. (dpa)

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