Bericht aus Brüssel

Bericht aus Brüssel Das Schweizer Votum und die Folgen Der Schweizer Volksentscheid zur Personenfreizügigkeit könnte auch Konsequenzen für den Verkehrssektor haben. Die Abkommen zur Freizügigkeit und zum Land- und Flugverkehr sind eng miteinander verbunden. Vieles wird von der EU abhängen. Nur eine Woche nach dem Schweizer Volksentscheid für eine Begrenzung der Zuwanderung gibt es den ersten Ärger mit der Europäischen Union. Da die Eidgenossen dem neuen EU-Mitglied Kroatien keine Personenfreizügigkeit gewähren wollen, wie es ein fertig ausgehandeltes Protokoll nach einer zehnjährigen Übergangsfrist vorsieht, hat die EU im Gegenzug die Verhandlungen über eine Beteiligung des Alpenlandes an dem Studenten-Austauschprogramm Erasmus Plus und dem milliardenschweren EU-Forschungsprogramm Horizon 2020 ausgesetzt. Eine knappe Mehrheit der Schweizer Bürger hatte sich am 9. Februar gegen die gültigen Regeln des Freizügigkeitsabkommens mit der EU ausgesprochen. Auch künftig wollen sie ihre Zuwanderung selbst regeln. Drei Jahre hat die Schweizer Bundesregierung jetzt Zeit, den Volksentscheid umzusetzen. Auch Verkehrsbereich ist betroffen Von dieser Umsetzung hängen auch die verkehrspolitischen Beziehungen ab. Denn das Land- sowie das Flugverkehrsabkommen zwischen der EU und der Schweiz sind wie das Freizügigkeitsabkommen Teil der „Bilateralen I“, einem Bündel von sieben Abkommen, die 1999 als Paket verabschiedet wurden. Für sie gilt die sogenannte Guillotine-Regel: Wird ein Abkommen gekündigt, verlieren automatisch auch alle anderen ihre Gültigkeit. Dieses Szenario droht, muss aber nicht eintreten. Denn Artikel 18 des Freizügigkeitsabkommens legt ausdrücklich fest, dass „Änderungen“ möglich sind. Solche Änderungen müssten zwischen der EU und der Schweiz beschlossen werden. Spielraum dafür scheint gegeben. Denn der Auftrag aus der Volksabstimmung bleibt relativ vage in seinen konkreten Forderungen. Er will nur den Automatismus der EU-Freizügigkeitsregel für die Schweiz verhindern. Ähnliche Beschränkungen, die in der Schweiz bis heute herrschen, sollen weiter möglich sein (siehe Kasten). Deshalb kann man davon ausgehen, dass die Schweiz es nicht auf eine Kündigung des Freizügigkeitsabkommens anlegen, sondern eine Änderung anstreben wird. Sollte das erfolglos bleiben, müsste „rein rechtlich die Schweiz das Abkommen nicht kündigen“, wie Stefan von Below, Pressesprecher vom Eidgenössischen Departement für Auswärtige Angelegenheiten, sagt. Der Ball läge dann vielmehr bei der EU. Ob diese aber die Guillotine-Regel wirklich beanspruchen würde, ist offen. Verbände sind gelassen Doch selbst wenn: Die verkehrspolitischen Beziehungen würden nicht auf den Kopf gestellt, wie von Bülow erklärt. Viele EU-Gesetze, zum Beispiel die Sozialvorschriften im Straßengüterverkehr, Typengenehmigungen, Unterwegskontrollen, Höchstmaße und -gewichte seien mittlerweile im innerschweizerischen Recht verankert. Sie seien von der Guillotine-Regel nicht betroffen. Bei Kabotagefahrten Schweizer Transportunternehmen in EU-Ländern, dem jeweils freien Zugang zum Schienennetz im Güterverkehr und dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung könnte es allerdings zu Änderungen kommen. Doch noch steht alles im Konjunktiv. Weshalb es nicht überrascht, dass sich die Transportbranche auf EU-Ebene noch kein großes Kopfzerbrechen macht. Sei es der Frachtführer-Verband IRU oder die Vereinigung im Kombinierten Verkehr UIRR oder der verkehrspolitische Sprecher der Grünen im Europaparlament, Michael Cramer: Alle wollen abwarten, wie die Schweiz den Volksentscheid umsetzen wird. Ende des Jahres soll eine entsprechende Gesetzesvorlage stehen. ❙❚■ Kay Wagner, VR-Korrespondent in Brüssel Personenfreizügigkeit in der Schweiz für EU-Bürger Länder Volle Personenfreizügigkeit mit Schutzklausesl Bislang geplante volle Freizügigkeit ohne Schutzklausel aktueller Stand EU 17* Seit Juni 2007 Ab 1. Juni 2014 Ventilklausel zur eingeschränkten Zuwanderung seit 1. Juni 2013 EU 8** Seit Mai 2011 Ab 1. Juni 2014 Ventilklausel zur eingeschränkten Zuwanderung seit 1. Mai 2012 Bulgarien, Rumänien Geplant ab Juni 2016 Geplant ab Juni 2019 Personenfreizügigkeit mit Beschränkung Kroatien Die Schweiz hat nach dem Volksentscheid dem EU-Neumitglied Kroatien mitgeteilt, diesem keine voll Freizügigkeit gewähren zu können )* Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Italien, Niederlande, Österreich, Luxemburg, Portugal, Schweden, Spanien, Malta und Zypern )** Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn Quelle: Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten, Stand Februar 2014

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