Auf dem Vormarsch in Richtung Logistik

Wer an BMW-Ausschreibungen für Kontraktlogistikleistungen teilnimmt, musste bisher vor allem mit Kostenbewusstsein und Servicequalität überzeugen. Jetzt kommt ein weiteres Kriterium hinzu. "Bei wettbewerbsfähigen Angeboten, die innerhalb unserer Werke erbracht werden, erhalten in Zukunft diejenigen Dienstleister den Vorrang, die einen Haustarif mit der IG Metall abgeschlossen haben", verkündete kürzlich BMW-Sprecher Jochen Frey. Der Autokonzern stört sich nicht daran, dass erst eine Handvoll Logistikdienstleister diese Anforderung erfüllen. "Wir wollen weitere Unternehmen zu Verhandlungen mit der Gewerkschaft motivieren", sagt Frey. Damit stellt sich immer mehr die Frage: Mit welcher Gewerkschaft sollen Automobillogistiker Tarifverträge abschließen - mit der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, die bereits viele Haus- und Flächentarife für die Logistikbranche abgeschlossen hat? Oder mit der Industriegewerkschaft Metall, die seit jeher mit den Autobauern verhandelt und nun immer häufiger auch mit produktionsnahen Dienstleistern an einem Tisch sitzt? Vor zwei Jahren war diese Streitfrage als Folge der Auseinandersetzungen um den Automotive-Dienstleister Egerland bereits Gegenstand eines Schiedsverfahrens des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB). Die Dachgewerkschaft entschied im Mai 2013 klar für Verdi: Wichtig sei der wirtschaftliche Schwerpunkt des Verhandlungspartners und nicht der Organisationsgrad einer Einzelgewerkschaft, urteilte das Schiedsgericht. In anderen Unternehmen setzte sich die IG Metall hingegen durch. 2012 schloss sie mit den Automotive-Logistikunternehmen Rudolph und Schnellecke für deren Leipziger Standorte Haustarifverträge ab. 2014 handelte sie mit dem Flugzeug- und Autoindustrie-Dienstleister Stute Logistics für dessen Standorte in Bremen, Hamburg und Stade Verträge aus. Spediteure bedauern BMW-Vorstoß Jetzt hat mit BMW sich erstmals ein prominenter Industriekonzern für die IG Metall als Tarifvertragspartner seiner logistischen Dienstleister stark gemacht. Allerdings schränkt der Autobauer seine Aussagen auf diejenigen Services ein, die auf dem Werksgelände des Konzerns erbracht werden. Und er sichert schon mal vorsorglich zu, dass er nicht in laufende Tarifverhandlungen eingreifen wird. Alles andere wäre ein klarer Verstoß gegen die Tarifautonomie, die jedes Unternehmen genießt. Trotzdem bedauert der Arbeitgeberverband Spedition und Logistik (ASL) den Vorstoß. "Die IG Metall geht mit falschen Branchenvorstellungen in die Tarifverhandlungen" kritisiert ASL-Geschäftsführer Andreas Stommel. "Verdi kennt sich in der Logistiklandschaft einfach besser aus." Stommel reagiert auch deshalb so abweisend, weil die IG Metall weitere Tarifverhandlungen in Angriff nehmen will. Gegenwärtig führt die Gewerkschaft Sondierungsgespräche mit Automobillogistikunternehmen in Niederbayern und Stuttgart. Die IG Metall hält sich mit Kommentaren zum BMW-Vorstoß zurück. Allenfalls regionale Gewerkschaftsführer nehmen derzeit Stellung. So spricht der Leipziger IG-Metall-Chef Bernd Kruppa von einer "tarifpolitischen Innovation". Kruppa hat allen Grund zur Genugtuung. Die Tarifverträge, welche die örtliche IG Metall mit Rudolph und Schnellecke 2012 aushandelte, ebneten der Industriegewerkschaft den Durchbruch in die Logistikbranche. Nur Logistiker mit Betriebsrat Jetzt sattelt Kruppa nochmals drauf. Er fordert Vereinbarungen über Ausschreibe- und Vergabebedingungen für Kontraktlogistiker. In Zukunft sollen nur Dienstleister den Zuschlag erhalten, welche einen Betriebsrat haben. Solche und andere Einzelheiten sollen in einem "tariflichen Ordnungsrahmen" geklärt werden. Hierbei sei auch eine Zusammenarbeit mit dem sächsischen Metallarbeitgeberverband VSME denkbar. "Wir bieten BMW, Porsche und allen Dienstleistern langfristige Planungssicherheit an", lockt Kruppa. Grundsätzlich erwartet er, dass weitere Autokonzerne der BMW-Initiative folgen. Im Fokus steht vor allem Porsche. Die VW-Tochter, die in Leipzig Schnellecke-Mitarbeiter auf Werkvertragsbasis beschäftigt, geht aber nicht ganz so weit wie BMW. "Prinzipiell" seien Dienstleister mit Tarifbindung erwünscht, heißt es aus der Stuttgarter Unternehmenszentrale. "Wir haben außerdem mit Leiharbeitsfirmen Vereinbarungen geschlossen, die eine Bezahlung der eingesetzten Mitarbeiter auf Basis des Flächentarifvertrags für diesen Standort regeln", betont ein Porsche-Sprecher. Das Vorgehen von BMW und Porsche hat Gründe. Nahezu jede Autoproduktion stützt sich auf komplexe Supply Chains, welche von Autologistikunternehmen auf Justin-Time- oder Just-in-Sequence-Basis bis an die Produktionsbänder gemanagt werden. Häufig übernehmen diese Dienstleister auch noch einfache Montagearbeiten. Wenn deren Mitarbeiter auch nur in kurzfristige Warnstreiks treten, ist die Produktion schnell lahmgelegt. BMW hat dies in Leipzig wiederholt erlebt. Angst vor Streiks bei Logistikern Vor ihrem Haustarifvertrag hatten die rund 130 Beschäftigten von Rudolph Logistik 2012 ein halbes Dutzend Mal gestreikt. Als der Werkvertrag 2013 auslief und neu ausgeschrieben wurde, erhielt Schnellecke den Zuschlag. Der Wolfsburger Dienstleister hatte kurz zuvor die Rudolph-Niederlassung in Leipzig übernommen. "Auch mit IG Metall-Tarifen sind wettbewerbsfähige Angebote für unsere Kontraktlogistik-Ausschreibungen möglich", schlussfolgert BMW-Sprecher Frey. Allerdings schwinden die Kostenvorteile erheblich. Bislang waren die Dienstleister vor allem wegen ihrer niedrigen Personalkosten attraktiv. Auch nach den ersten Haustarifverträgen der IG Metall in Leipzig lagen ihre Löhne um bis zu 20 Prozent unter denen der Hersteller. Wenn mit diesen keine Preisanpassungsklauseln vereinbart worden sind, schmilzt dieser Vorsprung Jahr für Jahr. Denn die Haustarifverträge sehen bei einer Laufzeit von drei bis vier Jahren stufenweise Lohnerhöhungen von jährlich drei bis vier Prozent vor. Hinzu kommen eine Absenkung der Wochenarbeitszeit von 40 auf 38 Stunden und mehr Urlaubstage. Ähnliche Verträge hat die IG Metall in Leipzig auch mit klassischen Zulieferern und Montageunternehmen wie dem Autositz-Hersteller Faurecia, dem Türmontage-Spezialisten HQM, dem Cockpit-Zulieferer SAS, dem Achsenmontageunternehmen ThyssenKrupp und dem Instandhaltungsdienstleister Voith abgeschlossen. Der einzige größere Automotive-Dienstleister ohne IG-Metall-Vertrag ist Kühne + Nagel. Hier sind Verdi-Mitglieder in der Mehrheit. In den übrigen Betrieben meldet die IG Metall einen Organisationsgrad von bis zu 80 Prozent. "Wir streben einen Flächentarifvertrag für alle Unternehmen an, die produktionsnahe Dienstleistungen erbringen und somit zu den Wertschöpfungsketten der Automobilindustrie gehören", sagte der heutige IG-Metall-Vorsitzende Detlef Wetzel bereits 2012 in einem VerkehrsRundschau-Interview. Auch andere Branchen im Visier Jetzt hat die Gewerkschaft über die Automotive-Branche hinaus längst auch andere Industriezweige mit großem Outsourcing-Potenzial wie die Flugzeughersteller im Visier. Für den Einstieg in diese Branche sorgt der Tarifvertrag mit Stute Logistics. Mit Ausnahme einer Handvoll Mitarbeiter in Bremen, die Daimler zuarbeiten, ist die gesamte Belegschaft in den norddeutschen Standorten für Airbus tätig. Für den Tarifvertrag setzte sich IG Metall auch über ein neues Schlichtungsverfahren hinweg, welches der DGB auf Betreiben von Verdi eingeleitet hatte (siehe Kasten links). Die Dienstleistergewerkschaft hat mittlerweile wenig Hoffnung, dass sie auch aus diesem Verfahren, dessen Ende immer noch nicht absehbar ist, als Sieger hervorgehen wird. "Die Branchensituation ist so komplex, dass Pauschallösungen im Sinne eines Entweder-Oder nicht zu erwarten sind", sagt Verdi-Sprecher Jan Jurczyk. "Wir müssen als DGB-Gewerkschaften gemeinsame Lösungen finden." Auch der ASL stellt sich auf weitere Tarifverträge mit der IG Metall ein und stimmt sich jetzt mit seinen Mitgliedern auf eine gemeinsame Linie ab. Denn das Outsourcing in der Automotive-Industrie geht weiter. Vor allem die Premiumhersteller Audi, BMW und Daimler haben während der letzten Jahre an zahlreichen Standorten den zentralen Wareneingang, die Anlieferung an werksinterne Umschlagflächen und andere typische Intralogistikprozesse an Dienstleister vergeben. "Die Variantenvielfalt der einzelnen Modelle ist geradezu explodiert", skizziert Professor Karlheinz Wehking, Leiter des Instituts für Fördertechnik und Logistik an der Universität Stuttgart, die aktuelle Entwicklung. "Weil die Leistungsfähigkeit der einzelnen Produktionsarbeitsplätze nur noch mit steigenden Kosten garantiert werden kann, sparen die Hersteller bei der Intralogistik." Bleibt die Frage, ob über die erhöhten Löhne hinaus nicht auch die schrumpfenden Losgrößen den Spielraum der Dienstleister für größere Kostensenkungen erheblich einschränken werden. Die nächsten Jahre versprechen auch in dieser Hinsicht spannend zu werden. Flugzeugindustrie Stute musste mit der IG Metall einen Tarifvertrag abschließen Wer mit der IG Metall Haustarife aushandelt, muss sich auf schrumpfende Gewinne einstellen. Die Erfahrung macht Stute Logistics:"Die Mehrkosten des Vertrags gehen fast vollständig zulasten unseres Ergebnisses", bilanziert Marco Hamacher, Mitglied der Geschäftsleitung. "Nur ein Bruchteil kann durch geplante Optimierungsprojekte aufgefangen werden." Die Kühne+Nagel-Tochter leistet an vier Standorten in Bremen, Hamburg (2) und Stade Produktionsversorgung und andere logistische Dienstleistungen für Airbus.Rund 50 Prozent der Stute-Beschäftigten sind frühere Leiharbeiter. Hamacher zufolge übernahm das Unternehmen von Airbus lediglich zwölf Mitarbeiter, die in einer eigenen Gesellschaft angestellt wurden. Alle übrigen Beschäftigten wurden nach Verdi-Flächentarifen bezahlt. Im Januar 2014 schloss Stute einen Haustarifvertrag mit Verdi, der unter anderem die Wochenarbeitszeit auf 38 (bislang 40) Stunden reduzierte und ein besseres Weihnachtsgeld vorsah. Die Rechnung, mit diesem Schritt IG-Metall-Ansprüche abzuwehren, ging jedoch nicht auf. Die Industriegewerkschaft setzte vor dem Landesarbeitsgericht eigene Tarifverhandlungen durch. Im September erreichte sie nach fünf Warnstreiks einen Tarifvertrag, der die Monatsgehälter um 150 Euro plus 100 Euro Einmalzahlung anhob und die Mindesturlaubszeit auf 28 Tage erhöhte.In einer zusätzlichen Verhandlungsrunde setzte Verdi diese Regelungen auch für die eigenen Mitglieder durch. bot

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