Obwohl Unternehmen über fehlenden Nachwuchs klagen, steigt die Jugendarbeitslosigkeit seit 2022 wieder an, wie die Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) von April 2025 zeigt. Gründe für die steigende Arbeitslosigkeit der 15- bis 24-Jährigen liegen laut der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) neben der schlechten Wirtschaftslage etwa auch im „Bildungssystem, das Jugendliche nicht ausreichend auf das Arbeitsleben vorbereite.“
Tatsächlich gibt es laut Ausbildungsumfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) 2025 zunehmende qualifikatorische Passungsprobleme: 73 Prozent der Betriebe mit Besetzungsschwierigkeiten gaben demnach an, im Jahr 2024 keine „geeigneten Bewerber“ gefunden zu haben. Dabei stehen besonders die Aspekte eines guten Arbeits- und Sozialverhaltens sowie die grundlegende mentale Leistungsfähigkeit der Auszubildenden im Fokus.
Zunehmend sehen sich die Unternehmen deshalb auch an anderen Orten nach passenden Nachwuchskräften um: „Insbesondere in der Gastronomie und in der Transport- und Logistikbranche sind Azubis aus dem Ausland gefragt“, sagte Achim Dercks, Vize-Hauptgeschäftsführer der DIHK, gegenüber dem Handelsblatt.
Fehlende Interessenten
Vom fehlenden Interesse der deutschen Jugend kann auch das Transport- und Logistikunternehmen Emons berichten: Obwohl sie mit der Agentur für Arbeit zusammenarbeiten und jedes Jahr der Arbeitsagentur ihre Stellenanzeigen zur Verfügung stellen, kommen in den Bereichen Berufskraftfahrer und Lager trotzdem nicht genug Bewerbungen, erzählt die Personalleiterin Christiane Bauer.
Sie bestätigt das Imageproblem der Branche sowie weitere Gründe: „In den Elternhäusern ist der Trend gerade, dass alle studieren sollen, die einen höheren Schulabschluss haben“, merkt sie an. Und auch die Absolventen anderer Schultypen fehlen, obwohl sich Emons um sie bemüht, wie Bauer sagt: „Letzte Woche hatten wir erst gerade wieder zwei Hauptschulklassen zu uns eingeladen und die Berufe praxisnah vorgestellt. Wir tun da alles Mögliche und fahren auch mit unseren Trucks bei Ausbildungsmessen vor oder besuchen Schulen vor Ort.“
Und trotzdem fehlen die Leute. „Die Motivation ist einfach nicht da. Wir erhalten wenig Resonanz. Es kommen keine Bewerbungen rein, auch wenn wir Ausschreibungen haben und auch wenn wir gezielte Kampagnen, auch über Social Media, schalten. Die jungen Leute streben ganz andere Ausbildungen an“, betont auch Kerstin Hillar, HR-Assistentin bei Emons.
Nachwuchs im Ausland anwerben
Also hat sich Bauer mit ihrem Team ein neues Vorgehen gegen den Fachkräftemangel überlegt: Motivierte Nachwuchskräfte für die Logistikbranche im Ausland finden, da es in Deutschland davon schlicht zu wenig gibt.
So kam das Ausbildungsprojekt „Why not Logistics“ zustande: Bauer reiste 2022 mit ihrem Team in verschiedene Länder – von Spanien über Portugal bis nach Serbien, setzte sich mit Klemmbrett und Fragebögen in Cafés und sprach die jungen Leute dort an. Ihr Ziel war es, motivierte Menschen zu finden, die für längere Zeit in Deutschland leben wollten und sich für die Arbeit in der Logistik interessierten. Schnell merkte sie, dass Deutschland als Auswanderungsland dort nicht hoch im Kurs steht.
Auf dem afrikanischen Kontinent hingegen sah es anders aus, berichtet Bauer: „Als wir da Interviews geführt haben, haben wir direkt gemerkt, dass es dort eine ganz andere Motivation und Bereitschaft von jungen Menschen gibt, die sich das auch vorstellen können.“ In der Demokratischen Republik Kongo war Emons bereits zuvor im sozialen Bereich tätig gewesen und hat dort Schulen gebaut, deshalb startete das erste Projekt dort.
Integration durch Sprache
Die Interessenten bewerben sich zunächst über eine Plattform und im anschließenden Interview müssen sie dann darlegen, was sie schon über Logistik wissen und weshalb sie in der Logistik arbeiten und in Deutschland leben wollen – ohne ihre Freunde und Familie in einem fremden Land. Ein zentraler Aspekt bei „Why not Logistics“ ist es dann, mit Hilfe des Goethe-Instituts den ausgewählten künftigen Azubis zunächst Deutsch beizubringen und sie auf das Leben und Arbeiten in Deutschland vorzubereiten.
„Es ist unheimlich wichtig, über die Sprache mit der Bevölkerung in Kontakt zu kommen und sich zu integrieren“, betont Bauer. „Auch die Prüfungen in der Berufsschule ist auf Deutsch. Leider gibt es mittlerweile einen Handel mit Sprach-Zertifikaten und korrupte Personalvermittler, die von Interessierten für mögliche Ausbildungsverträge in Deutschland viel Geld verlangen“, berichtet sie weiter: „Dies ist ein weiterer Grund, weshalb ‚Why not Logistics‘ gegründet wurde: Weil es uns sehr wichtig ist, auf seriöse Art und Weise zukünftige Auszubildende aus diesen Ländern für Deutschland zu gewinnen“, erklärt sie.
„Wir verhandeln mit den Goethe-Instituten vor Ort und bilden eigene Deutschklassen für unsere Auszubildenden, die in ihrem Heimatland bis zum Sprachlevel B1 ausgebildet werden. Hier in Deutschland bekommen Sie dann weitere Sprachkurse, gefördert durch das BAMF.“
Erfahrungen der Azubis
„Man sollte für den Umgang miteinander auf Deutsch sprechen“, findet auch Live Bazodula Nhayilu, ein 21-Jähriger Berufskraftfahrer-Azubi, der vor 2 Jahren aus der Demokratischen Republik Kongo kam und nun im fränkischen Himmelkron für Emons arbeitet. „Ich bin in der Kirche aktiv, da spreche ich immer auf Deutsch und das hat sich sehr gelohnt. Mein Deutsch ist ein bisschen besser geworden.“
Christian Maleka Lutonachio, ein weiterer Berufskraftfahrer-Azubi, der vergangenes Jahr aus der Demokratischen Republik Kongo nach Köln kam, fügt hinzu: „Du kannst nicht hier in Deutschland leben, wenn du kein Deutsch sprichst. In der Arbeit, wenn du mit Kollegen sprechen möchtest, dann musst du Deutsch sprechen.“
Auch Diarra Fatoumata, eine Auszubildende zur Fachlageristin in Köln aus der Republik Côte d’Ivor, betont: „Es ist das Wichtigste für die Integration hier. Wenn wir im Lager sind, sprechen wir jeden Tag immer Deutsch. Das erlaubt mir, Leute kennenzulernen und auch meine Sprache zu verbessern. Wir haben Motivation und wir möchten gerne gut Deutsch sprechen.“ So hat sie auch gemerkt, dass sie teilweise besser Deutsch sprechen als manche Deutsche in der Schule. „Wir halten uns an alle Regeln“, erzählt sie fröhlich.
Während Fatoumata erst in diesem Jahr nach Deutschland gekommen ist und noch gespannt auf den ersten Schnee ist, fühlen sich die beiden anderen hier schon sehr wohl – obwohl sich die Klischees der Deutschen, dass sie sehr pünktlich sind und immer arbeiten, bestätigt haben, wie sie lachend berichten. Besonders vermissen sie das Essen, doch die Azubis sind gut miteinander vernetzt und treffen sich häufig zum gemeinsamen Kochen, auch aus den unterschiedlichen Jahrgängen. Insgesamt hat Emons inzwischen 56 Auszubildende.
Rassismus ansprechen
Ein weiterer wichtiger Punkt der Vorintegration ist, das Thema Rassismus offen anzusprechen, merkt Bauer an. Aber Fatoumata wurde darauf gut vorbereitet, erklärt sie: „Ich stelle meine Fragen immer auf Deutsch und immer höflich und die Leute sind nett und hilfsbereit.“
Bauer betont: „Es ist wichtig vorzuleben, wie Integration in Deutschland gelingen kann. Was können deutsche Arbeitgeber dafür tun? Wie kann man eine Gesellschaft darauf vorbereiten? Und was wollen Kritiker denn sagen? Die Azubis sprechen Deutsch, sie sind motiviert, sie arbeiten und sie bezahlen Steuern in Deutschland.“ Es ist wichtig für sie, auch mit Kritikern im Gespräch zu bleiben und so zu überzeugen.
Fazit: Ausländische Nachwuchskräfte nötig
„Es ist jetzt nicht so, weil wir ‚Why not Logistics‘ haben, dass wir keine deutschen Azubis nehmen – im Gegenteil. Ich könnte zusätzlich zu den 35 Why not Logistics-Azubis in dem gewerblichen Bereich noch mal 35 Deutsche einstellen, liebend gerne. Geben Sie sie mir“, sagt Bauer.
Auch geflüchtete junge Leute, die schon im Land sind, würde sie gerne als Azubis gewinnen, doch da gibt es ganz andere Hürden: „Es ist so, was sehr schade ist, dass die jungen Menschen, die schon aus anderen Gründen nach Deutschland gekommen sind, oftmals keine qualifizierten Sprachkurse bekommen und nicht genügend integriert werden. Es gibt zu wenig Sozialarbeiter, die sich um diese Gruppe kümmern. Sonst wäre das ganz anders möglich, sie in den Ausbildungsmarkt zu integrieren“, sagt Bauer.
"Es ist jetzt nicht so, weil wir ‚Why not Logistics‘ haben, dass wir keine deutschen Azubis nehmen – im Gegenteil."
Sie haben auch in diesem Rahmen schon das Projekt vorgestellt, doch oft ist die Schwierigkeit, dass sie teilweise mit ihrem Status gar keine Ausbildung machen dürfen oder die Deutschkenntnisse nicht ausreichend sind, erzählt sie. „Aber wenn sie bereit sind, können sie sich bei uns bewerben. Natürlich sind wir interessiert.“ Von einen Jugendtreff in Köln, den Emons unterstützt, wo sehr viele junge Menschen mit Migrationshintergrund sind, haben sie bereits erfolgreich Leute in die Ausbildung gebracht.
„Aber es ist nicht einfach und unsere Auszubildenden über „Why not Logistics“ kommen natürlich gleich mit dem passenden Status nach Deutschland: Sie haben in ihrem Pass stehen ‚Für die Ausbildung zum Berufskraftfahrer oder zum Fachlageristen‘, sie sind voll vorintegriert und haben ein hochwertiges B 1 Sprachzertifikat vom Goethe Institut. Das macht die Sache dann einfach unkomplizierter, wenn wir sie direkt von ganz am Anfang abgeholt haben.“
Für Bauer ist klar: „Wir brauchen Fachkräfte, um unsere Abläufe sicherzustellen“, sagt sie. „Und deswegen müssen wir diese Menschen auch mit dem nötigen Respekt behandeln.“