Zweiter russischer Eisenbahnkongress

Zweiter russischer EisenbahnkongressZwischen West und OstRussland: Mit 134 Millionen Quadratkilometern das größte Land der Erde. Brücke zwischen Europa und Asien. Als solche will sich auch die russische Bahn RZD etablieren, wie auf dem zweiten russischen Eisenbahnkongress in Moskau deutlich wurde. Mit einem solchen (Ein-) Zug können die wenigsten Bahnen in Europa dienen. Geduldig warten die 3000 Teilnehmer zu Beginn des zweiten Eisenbahnkongresses in der Manezh Kongresshalle, die direkt neben dem Kreml liegt. Dann betritt der Chef der russischen Eisenbahn (RZD) Wladimir Jakunin mit seiner Entourage den Saal. Das Auditorium erhebt sich wie beim Militär, wenn ein Vorgesetzter den Raum betritt, nur wird applaudiert und nicht salutiert. Man ertappt sich dabei, wie man ein wenig schmunzelt über diese Form der Ehrerbietung. Doch die Russen, die RZD zu belächeln, das könnte sich als Fehler herausstellen angesichts der Vorhaben, die die RZD im Verlauf ihrer Tagung verkündete.Der Auftakt ist jedenfalls ein Beleg dafür, dass hier in dem Riesenreich die Uhren immer noch anders ticken. Das war schon vor Beginn des Kongresses zu beobachten. Da wurde der Termin für die Mammutveranstaltung kurzerhand um einen Tag nach hinten verschoben. Angeblich, weil Premierminister Wladimir Putin ansonsten nicht hätte teilnehmen können. Doch Putin sollten die Zuhörer ebenso wenig zu Gesicht bekommen wie den Chef der Deutschen Bahn (DB), Rüdiger Grube, seinen französischen Amtskollegen Guillaume Pepy, die österreichische Verkehrsminsterin Doris Bures oder den Präsidenten des internationalen Eisenbahnverbandes (UIC) Jean-Pierre Loubinoux. Sie alle waren im Programm angekündigt, sie alle sind nicht erschienen und haben auch keinen Vertreter entsendet.So machte der russische Kongress seinem Namen doch alle Ehre und war sehr national geprägt. Ganz offensichtlich war es den Russen nicht gelungen, westliche Experten als Redner zu gewinnen. Das verwundert jedoch ein wenig. Gerade wenn es um das Thema Schienengüterverkehr geht. Denn Interesse an Schienengüterverkehrsverbindungen nach Russland und darüber hinaus zeigen nicht nur westliche Bahnen, sondern wird auch Logistikdienstleistern und der verladenden Wirtschaft in Westeuropa nachgesagt. In vorderster Reihe mit dabei die DB. Ob nun der Aufbau von regelmäßigen Güterzügen zwischen China und Deutschland, den Karl-Friedrich Rausch, Vorstand Transport und Logistik bei der der DB, anlässlich eines Testzugs von Chongqing nach Duisburg im Mai in Erwägung gezogen hat; oder bereits realisiert den Transport von Autos vom Skoda-Werk im tschechischen Nymburk bis nach Moskau. Mit solchen Projekten stößt man in Russland auf offene Ohren. Zwar gingen die Redner auf dem Kongress auf diese Vorhaben nicht näher ein. Aber aus ihren Ausführungen ging hervor, welch hohen Stellenwert der Güterverkehr im Vergleich zum Personenverkehr genießt. Und es handelte sich bei diesem Eisenbahnkongress ja nicht um eine reine Güterverkehrsveranstaltung. Aber dennoch wurde dem Güterverkehr mehr Platz eingeräumt. Eine solche Prioritätensetzung ist man selbst bei der größten Eisenbahn Europas, der DB, nicht gewohnt.Bahn in Russland klar die Nummer 1Für die Wertschätzung des Güterverkehrs gibt es verschiedene Gründe. Der sicherlich wichtigste: Die Bedeutung des Güterverkehrs bei der RZD übersteigt die des Personenverkehrs bei Weitem. Dazu nur ein Vergleich: Während die RZD mit dem Transport von Gütern 2009 einen Umsatz von 783 Milliarden Rubel (18,4 Milliarden Euro) erwirtschaftete, betrug der Umsatz in der Personenverkehrssparte mit 151 Milliarden Rubel (3,6 Milliarden Euro) nur ein Fünftel. Aber auch im russischen Güterverkehrsmarkt ist die Stellung der Bahn eine komplett andere als in Westeuropa. Das hat sicher auch mit der Weite des Landes zu tun: 85.500 Kilometer Schienennetz gibt es in Russland. Diese Distanzen sind ideal für Transporte per Bahn. Hinzu kommt, dass auch der Zustand des Straßennetzes nicht als der beste gilt. Folglich gibt es einen Modal-Split, der sich radikal von dem beispielsweise in Deutschland unterscheidet: Der Anteil der Schiene beträgt 42,3 Prozent (2010; Basis: Verkehrsleistung). Die Pipelines kommen auf 50,1 Prozent. Da bleiben für den LKW nur ganze 4,2 Prozent. Oder anders ausgedrückt: Die Bahn erbringt in Russland eine Güterverkehrsleistung, die zehnmal so hoch ist wie die des LKW.Aus diesen Zahlen wird ersichtlich, welch enormen Stellenwert der Verkehrsträger Bahn für Russland hat – im Güterverkehr, aber auch generell in der Wirtschaft. Denn auf die RZD entfallen immerhin fast zwei Prozent des russischen Bruttoinlandsproduktes. Jeder 70. Arbeitnehmer in Russland verdient sein Geld bei der RZD. Es hat also schon eine gewisse Bedeutung – um auf die Resonanz des Kongresses zurückzukommen –, wenn sich ein Koloss wie die RZD mit fast einer Million Mitarbeitern in Bewegung setzt. Zumal diese Bahn ein Land bedient mit vielen Rohstoffen, die von Westeuropa nachgefragt werden und irgendwie dorthin transportiert werden müssen. Ein Land zudem, in dem sich immer mehr westliche Industrie- und Handelsunternehmen ansiedeln, die mit der Abwicklung ihrer Geschäfte automatisch einen hohen Bedarf an Transport- und Logistikleistungen auslösen.Auch wenn die RZD längst noch nicht sämtliche Strukturen aus kommunistischen Zeiten über Bord geworfen hat, sind die Bemühungen unverkennbar, sich diesen Herausforderungen, die da auf sie zurollen, zu stellen und sich dem westlichen Standard anzunähern. Das fängt mit ganz grundsätzlichen Veränderungen an. So befindet sich das Unternehmen derzeit in der vierten Phase der Bahnstrukturreform. Die bisherigen Reformen sahen unter anderem eine stärkere Privatisierung des Eisenbahnsektors vor. Dazu zählt die Ausgliederung von RZD-Unternehmensteilen in Tochtergesellschaften. Deren Anteile werden an Private verkauft, wie bei der Frachttochter PGK geschehen. 75 Prozent hatte die RZD im Rahmen einer Auktion im Oktober für 125,5 Milliarden Rubel (2,95 Milliarden Euro) an die OOO Independent Transportation veräußert. Die PGK hält 22 Prozent am gesamten Waggonbestand in Russland.Allerdings schlägt man sich in Russland derzeit mit dem gleichen Problem herum wie in Europa: Es gibt einen Mangel an Waggons. Damit wird das Ziel, eine „Steigerung der Effizienz bei der Bereitstellung der Waggons“, noch nicht erreicht. Jakunin machte die privaten Anbieter dafür verantwortlich, ohne jedoch konkreter zu werden.Auf diesem Feld bewegt sich die RZD also eindeutig auf den Westen zu. Aber die Privatisierung geht nicht so weit, dass Russland auch private Lokomotiven auf seine Gleise lässt „Der Betrieb lässt sich besser organisieren, wenn er in einer Hand ist“, begründete Jakunin die Entscheidung.Ein weiterer, wichtiger Punkt auf der Agenda der RZD ist die Beschleunigung von Verkehren zwischen Europa und Asien. Dazu sind verschiedene Projekte angestoßen worden. Auf dem Kongress standen vor allem zwei Infrastrukturvorhaben im Mittelpunkt: zum einen die Weiterführung der Breitspurbahn von Kosice (Slowakei) bis nach Wien. Die Strecke dient als wichtige Verlängerung, um Europa über die Transsibirische Eisenbahn (Transsib) mit Asien zu verbinden. Jakunin zeigte sich zuversichtlich, dass diese Bahnlinie errichtet wird. In Gesprächen mit politischen Vertretern aus Österreich und der Slowakei habe er eine Bereitschaft erkannt, dass diese den Bau befürworten. Österreich jedoch äußert sich öffentlich bislang eher zurückhaltend (siehe Kasten unten). Und auch auf slowakischer Seite konnte sich der Generaldirektor der Slowakischen Eisenbahn ŽSR, Vladimír Ľupták, bislang nur zu einer Absichtserklärung durchringen. Darin bekräftigte er, bei der Verlängerung der Breitspurbahn mit der RZD zusammenzuarbeiten und ein internationales Logistikzentrum errichten zu wollen. Auch auf der anderen Seite der Transsib sind die Russen aktiv. Wie Jakunin in Moskau bestätigte, konzipiert die RZD eine neue Route für Containertransporte zwischen dem nordkoreanischen Hafen Raijn nach Russland. Es gibt also keinerlei Berührungsängste mit dem ehemaligen kommunistischen Bruderstaat, der sich wiederholt vorhalten lassen muss, die Menschenrechte zu missachten. Die zahlreichen Projekte kosten die RZD viel Geld. Der Staat als alleinige Quelle reicht schon längst nicht mehr aus. Die Einnahmen aus dem laufenden Geschäft auch nicht. Die Privatisierungserlöse sind da eine wichtige Hilfe. Auch über die Aufnahme von Anleihen am privaten Kapitalmarkt will die RZD versuchen, Geld einzusammeln. Ein Zeichen, dass die RZD einerseits angekommen ist im westlichen System und mit anderen Bahnen nicht nur um Aufträge buhlt, sondern auch um Geldgeber.Andererseits bleibt die RZD sich und ihrer Geschichte treu. So ertönt zum Abschluss des Kongresses die russische Nationalhymne. Kein Lächeln diesmal, als sich dazu die 3000 Teilnehmer erheben. ❙❚■ Michael CordesNobeluhr westlicher Herkunft unter der Bahnuniform: Auch am Arm des russischen Bahnchefs Wladimir Jakunin lässt sich ablesen, wie die RZD zwischen Vergangenem und Zukünftigem pendeltDaraus will Russland Kapital schlagen: Als Transitland in Ost-West-Richtung (Transsibirische Eisenbahn, siehe grüne Linie), aber auch mit Angeboten in Nord-Süd-RichtungTrotz zahlreicher Absagen ein zufriedener russischer Bahnchef Wladimir JakuninZweiter russischer Eisenbahnkongress Optimismus in Russland, Zurückhaltung in Österreich Zumindest aus westeuropäischer Sicht ist es das Vorzeigeprojekt der russischen Eisenbahn (RZD): der Bau einer Breitspurschienenstrecke vom slowakischen Kosice bis nach Wien. In Deutschland und den meisten Ländern Europas beträgt die Spurweite 1435 Millimeter, in Russland sind es hingegen 1520 Millimeter. Daher ist es notwendig, die Waggons umzuspuren oder die Ware auf andere Waggons umzuladen. Das ist zeitaufwendig und kostet Geld. Derzeit führt die Breitspurstrecke bis ins slowakische Kosice. Von da aus sind es etwas mehr als 400 Kilometer bis nach Wien. Ein starkes Interesse an dieser Strecke hat die RZD. Sie möchte einen durchgehenden Korridor von Westeuropa bis nach China schaffen. Damit soll die Schiene eine Alternative zur Seeschifffahrtsroute werden. Während die Schiffe für eine Fahrt zwischen 25 und 40 Tage benötigen, soll die Bahn die Strecke in 15 Tagen zurücklegen. Zur Realisierung der Breitspurstrecke haben die vier Bahnen der beteiligten Staaten (Österreich, Slowakei, Ukraine, Russland) eine Breitspur Planungs-GmbH gegründet. Sie haben Roland Berger Strategy Consultants beauftragt, eine Studie vorzulegen, die die Machbarkeit dieses Projekts prüfen soll. Demnach werden die Kosten auf Preisbasis 2010 ohne Finanzierungskosten auf 6,4 Milliarden Euro geschätzt. Bis 2050 könnten durch eine Verlängerung der Breitspur jährlich zwischen 16 Millionen Tonnen und 24 Millionen Tonnen Fracht auf den 8000 Kilometern zwischen Asien und Wien gefahren werden. Wladimir Jakunin, Chef der RZD, zeigte sich am Rande des Eisenbahnkongresses gegenüber Vertretern der ausländischen Presse optimistisch, dass die Breitspurstrecke nach Wien gebaut wird. Auf Rückfrage der VerkehrsRundschau, wann mit der Fertigstellung zu rechnen sei, sagte Jakunin: „Wir haben die vorläufige Planung beendet. Sobald der Start zum Bau der Strecke akzeptiert ist, können wir innerhalb von acht Monaten einen Businessplan erstellen. Dann benötigen wir zwei Jahre für die Fertigstellung der Strecke“, so der zuversichtliche Bahn-Chef. Anders hört sich das an, wenn man sich im österreichischen Verkehrsministerium nach dem Stand der Dinge erkundigt. Bevor es tiefer gehende, sehr aufwendige und kostenintensive Untersuchungen in Form einer weiteren Machbarkeitsstudie gäbe, will man zunächst mal grundsätzliche Fragen klären. „Das betrifft insbesondere Fragen der Eigentümerstruktur, der Finanzierung sowie des Geschäfts- und Betriebsmodells und welche Rolle Österreich dabei einnehmen kann“, heißt es auf Anfrage. Diese Gespräche würden derzeit in dem extra dafür eingerichteten Lenkungsgremium der vier beteiligten Staaten laufen. Was darauf hindeutet: Da sind offensichtlich noch einige Hürden zu überspringen. cdGüterzug auf der transsibirischen Strecke: künftig von China bis WienBreitspurbahn von Kosice nach Bratislava/Wien

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