Zeitenwende Lieferketten: Die Welt wird kleiner

Die Zeiten sind dramatisch. Es ist ein Zick-Zack-Kurs ohnegleichen, der die Welt in Atem hält. So kündigte US-Präsident Donald Trump am 2. April zunächst für Importe aus der EU reziproke Zölle in Höhe von 20 Prozent an, um diese kurz darauf für 90 Tage wieder zurückzunehmen und zum regulären Zollsatz von zehn Prozent zurückzukehren (Stand 22. April). Gar nicht zu reden von Trumps Zollpolitik gegenüber China und vielen anderen Nationen. Bremst Trump das Wachstum? Der Schaden ist immens: So dürfte in Deutschland das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in diesem Jahr mit 0,0 Prozent lediglich stagnieren. Im Januar war noch ein leichtes Wachstum um 0,3 Prozent prognostiziert worden. Das zeigt der vierteljährliche Weltwirtschaftsausblick, den der Internationale Währungsfonds (IWF) am 22. April vorgelegt hat. Und die Weltwirtschaft insgesamt dürfte demnach nur noch um 2,8 Prozent wachsen, also 0,5 Punkte weniger als vor drei Monaten prognostiziert. „Seit Anfang April laufen bei uns in der Industrie- und Handelskammer zur Zoll-Thematik die Telefone heiß. Das ist unfassbar, echte Akkordarbeit“, berichtet Johanna Wegner, Referatsleiterin Zoll und Außenwirtschaftsrecht der IHK für München und Oberbayern im Interview mit der VR (siehe Seite 6). „Viele Unternehmen fragen konkret: Wie hoch sind die aktuellen Zölle in den USA? Wer trägt die Zollkosten – der Verkäufer oder der Kunde in den USA? Was bestimmt, welcher Zoll zu zahlen ist? Versendungsland oder Ursprungsland, worauf kommt es an?“ Sehr viel dramatischer sei natürlich, wenn ein US-Kunde eine in Fernost georderte Ware nicht mehr kaufen wolle oder aber auch nicht könne, weil diese durch den Strafzoll zu teuer wurde. „Es gibt auch Fälle, da ist die Ware bereits aus Asien auf dem Seeweg in die USA unterwegs. Und plötzlich werden Zölle verhängt“, schildert Wegner Beispiele. Aus Sicht von Professor Ulrich Müller-Steinfahrt, der an der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt (THWS) das Institut für angewandte Logistik (IAL) leitet, ist das alles fatal für die Exportnation Deutschland. „Denn die Zollpolitik von Trump führt dazu, dass die Exporte in die USA im hohen Maße teurer werden – wegen der Zölle, aber auch wegen der Zollbearbeitung. Gleichzeitig werden aber auch die Preise von US-Waren im Deutschland-Import deutlich steigen“, prognostiziert er. Keine guten Nachrichten also – auch nicht für Unternehmen in Transport, Spedition und Logistik: „Wollen Industrie und Handel ihre Mehrkosten durch die US-Zollpolitik in irgendeiner Form auffangen, müssen die Dienstleister ihre Services noch effizienter erbringen. Kosten und funktionierende Prozesse haben in den Supply Chains bei den Auftraggebern aktuell Top-Priorität“, weiß Müller-Steinfahrt. „Der Preis- und Kostendruck in der Logistik verschärft sich also weiter“, so der Branchenkenner. Außerdem werden sich durch die Trump-Politik die Absatz- und dadurch auch die Transportmengen noch weniger planen lassen. „Und wenn etwas nicht planbar ist, wird es teurer. Das ist auch in der Logistikabwicklung so.“ Zumal ja auch der Mehraufwand für eine bessere Resilienz in den Lieferketten zunehme. Wer gewinnt, wer verliert Zu was das alles in Zukunft führt? „USA und China werden als Absatz- und Beschaffungsmärkte für die europäischen Unternehmen sukzessive an Bedeutung verlieren“, ist Müller-Steinfahrt überzeugt. Sprich: „Die globalen Warenströme werden sich verändern; etablierte Transportrouten werden sich auflösen, und dadurch wird sich auch das Preisgefüge auf tradierten Handelswegen verändern“, erklärt er es. „Kurz: Wir erleben im SCM und der Logistik derzeit eine veritable Zeitenwende.“ Und dies werde auch in einigen Wochen nicht vorbei sein, selbst wenn Trump seine Zölle zurücknehmen sollte, ist sich Müller-Steinfahrt sicher. Das Vertrauen zu den USA sei durch die jüngsten Aktionen des US-Präsidenten empfindlich gestört. „Wenn sich das alles so wei¬ter¬-entwickelt, wird der Fokus der Unternehmen, um die Abhängigkeit zu den USA zu reduzieren, deshalb künftig sehr stark auf dem europäischen Binnenmarkt liegen“, so Müller-Steinfahrt. Nicht umsonst würden jetzt schon chinesische Unternehmen die europäischen Märkte mit ihren Produkten fluten. Und das werde sicherlich noch weiter zunehmen. Bange machen gilt aber nicht, das betont Julian Maasmann. „So dürften sich im Konsumgüterbereich die Verwerfungen in den Lieferketten aufgrund der Trump-Zölle in Grenzen halten“, ist der Leiter des Geschäftsbereichs Process Industry bei der Unternehmensberatung Miebach überzeugt. Grund dafür sei: „Konsumgüterhersteller produzieren ihre Waren für den europäischen Markt überwiegend auch regional in Europa.“ Top-Priorität im Supply Chain Management (SCM) hätten bei ihnen gleichwohl die Themen Kosten und Effizienz in den Prozessen. Ganz oben stehe bei vielen Anbietern deshalb momentan die Automatisierung der Materialver- und -entsorgung in der Produktion sowie in den Distributionslagern, weiß Maasmann. Zumal es sowohl im Lager als auch in der Produktion immer schwieriger werde, für einfache Aufgaben Personal zu finden und sich die Investitionen in Automatisierung mittlerweile oft nach wenigen Jahren amortisieren. Automatisierung im Fokus Umso dringlicher sei es für Logistikdienstleister, sich intensiv mit dem Thema Automatisierung auseinanderzusetzen, betont der SCM-Experte. „Logistikdienstleister benötigen zunehmend fundierte Kenntnisse über Automatisierungstechnologien, deren Anwendungsmöglichkeiten und Wartung sowie die Fähigkeit, entsprechende Prozesse zu planen. Gefragt ist echtes Engineering- und Digitalisierungs-Know-How. Genau das erwarten Kunden heute von ihren Partnern.“ Ein klarer Vorteil für Dienstleister, die hier überzeugen: „Wollen Konsumgüterhersteller durch Automatisierung ihre Lagerprozesse effizienter gestalten, schließen sie in der Regel langfristige Verträge – mindestens über fünf Jahre, vereinzelt sogar über zehn. Das ist ein neuer, vielversprechender Trend.“ Auch Planungsprozesse rücken laut Maasmann in vielen Unternehmen der Konsumgüterbranche (FMCG) derzeit verstärkt in den Fokus mit dem Ziel, Bestände und Warenverfügbarkeit über alle Stufen der Supply Chain hinweg effizienter zu steuern. „Gerade in diesem Bereich sind viele Prozesse noch wenig digitalisiert – hier wird sich in den kommenden Jahren viel bewegen.” Besonders große Potenziale sieht Maasmann in Künstlicher Intelligenz (KI): „KI wird zum entscheidenden Treiber für Kosteneffizienz in sämtlichen Unternehmensbereichen. Wir stehen hier heute da, wo wir beim Internet in den frühen 1990er-Jahren standen.“ Die nächsten zehn Jahre werden seiner Einschätzung nach von tiefgreifenden, spannenden Veränderungen geprägt sein und das werde sich auf alle Akteure in der Supply Chain auswirken, inklusive der Logistikbetriebe. Ob bei der Nachfrageprognose, der Bestands- und Produktionsplanung, der Transportplanung und Routenoptimierung oder im Kundenservice – KI ermögliche hier heute schon viele spannende Anwendungsfelder. Was das alles perspektivisch für mittelständische Logistikdienstleister heißt? „Die FMCG-Branche birgt für solche Unternehmen nach wie vor Chancen“, ist Maasmann überzeugt. „Produkte des täglichen Bedarfs, ob im Food- oder auch im Non-Food-Bereich – Lebensmittel, Shampoo und Waschmittel gehen immer und bieten selbst in Krisenzeiten ein relativ sicheres Geschäftsmodell.“ Allerdings werde die Outsourcing-Rate in den nächsten Jahren wohl eher nicht zunehmen, da sie in der FMCG-Branche ohnehin schon sehr hoch sei, so Maasmann. Neue Chancen in FMCG-Branche Die gute Nachricht ist aber: „In der FMCG-Branche ist es Standard, dass große Hersteller regelmäßig neu ausschreiben“, erklärt Maasmann. „Dienstleister mit der besseren Offerte haben deshalb stets eine Chance in der Konsumgüterindustrie.“ Hinzu komme ein weiterer wichtiger Trend: Große Markenhersteller in Europa wollen in den nächsten Jahren die Zahl ihrer Lagerstandorte deutlich konsolidieren. „Dadurch werden spannende Projekte auf den Markt kommen.” Und erfahrungsgemäß arbeiten laut Maasmann FMCG-Hersteller neben den großen Logistikplayern auch oft mit inhabergeführten Mittelstandsbetrieben. „Insbesondere Dienstleister mit Automatisierungs- und Innovations-Kompetenzen haben da gute Karten, wenn sie dieses Know-how gegenüber ihren Verladern proaktiv nach vorne tragen. Und natürlich nach wie vor auch Dienstleister mit Nachhaltigkeitslösungen.“ Entsprechend gelassen zeigt sich Hendrik Ebeling, Geschäftsführer der Ebeling Spedition aus der Wedemark bei Hannover (450 Mitarbeiter, 180 eigene Lkw), die für den Lebensmitteleinzelhandel, die Luftfahrt- und Automobilindustrie tätig ist. „Noch spüren wir nichts von den Turbulenzen. Wir gehen aber davon aus, dass sich die Lieferketten neu ordnen werden, sofern Donald Trump die Importzölle verhängt”, urteilt Ebeling. Dann rechne er damit, dass Kunden weniger Ware in die USA und stattdessen vermehrt nach Asien liefern. Zudem sei es wahrscheinlich, dass Firmen wieder mehr Produkte bevorraten, auch um sich etwa für den Fall gestörter Lieferketten abzusichern. „Sprich: Die Nachfrage nach Pufferlagern wird wieder steigen“, ist Ebeling überzeugt. Noch sei es aber nicht so weit. „Im Moment ist es seitens Trump eher ein großes Säbelrasseln, und unsere Kunden sind erstmal dabei, ihre Strategie zu überdenken. Das ist jetzt die Ruhe vor dem Sturm”, weiß der Geschäftsführer. Gerüstet sei die Spedition dafür. So verfügt das Unternehmen derzeit an seinem Standort in Wedemark über 15.000 bis 20.000 freie Stellplätze (im Übrigen auch als einzelne Lagerhallen), die es an Kunden vermieten und bewirtschaften könnte, inklusive der Erbringung logistischer Mehrwertdienste wie etwa Container-Be- und Entladung sowie Warenverpackung. So gesehen bleibt Ebeling zuversichtlich: „Wir alle sind mittlerweile krisenerprobt. Die Wirtschaft ist seit Corona so turbulent geworden, dass keine große Ruhe mehr reingekommen ist. Wir werden also auch diese Phase wieder überstehen“, sagt er. „Panik-Entscheidungen führen ohnehin nie weiter.” Klicken Sie sich gerne in unseren Podcast zu diesem Thema ein. Interview Trump-Zölle: Was ist jetzt zu tun? Johanna Wegner, Referatsleiterin Zoll und Außenwirtschaftsrecht der IHK für München und Oberbayern zu den neuen Trump-Zöllen, und was sie vor diesem Hintergrund Unternehmen rät. Was sind typische Fehler, die Firmen aktuell beim Thema Trump-Zölle unterlaufen? In der Praxis sehen wir aktuell, dass Unternehmen von zusätzlich zu zahlenden Zöllen überrascht sind, da sie im Vertrauen auf die angekündigte 90-Tage-Zollpause übersehen, dass trotzdem für bestimmte Waren, zum Beispiel aus Stahl und Aluminium Strafzölle, aber auch die zehn Prozent reziproken Zölle auf alle Waren unabhängig vom Ursprungsland zu zahlen sind. Die korrekte Ermittlung des anliegenden Zollsatzes ist aktuell ohne Unterstützung von versierten Fachleuten kaum möglich. Laut Trump sollten für Waren aus der EU Importzölle gelten. Dies wurde nun für 90 Tage vorerst ausgesetzt. Wie sollte man diese Zeit nutzen? So wie die EU nun mit den USA darüber verhandelt, sollten jetzt dringend auch die Vertragsparteien miteinander verhandeln, wie sie mit der ganzen Thematik umgehen. Jeder sollte nun prüfen, welche Lieferbedingungen vereinbart wurden und wen de facto tatsächlich die Zölle treffen: den Verkäufer, den Käufer oder aber den Spediteur. Zudem sollte eine Firma prüfen, ob es möglicherweise mit seinen US-Geschäftspartnern bestimmte Dinge nun neu regeln kann, etwa die Aufnahme einer möglichen Klausel zu höherer Gewalt, die explizit das Zollrisiko inkludiert. Auch sehr beliebt ist die Nutzung von Zolllagern: Viele Firmen haben angesichts der Zoll-Ankündigungen von Trump seit Amtsantritt ihre Zolllager vor Ort voll gemacht und entleeren diese nun. Es gab deshalb einen absoluten „Run“ auf der Transatlantik-Route. Wie können Spediteure Industrie und Handel aktuell unterstützen? Spediteure haben sehr viel Know-how und sehr viele Erfahrungswerte. Sprich: Wenn diesen zum Beispiel bei den Lieferbedingungen etwas auffällt, sollten sie proaktiv auf die Unternehmen zugehen. Wichtig ist auch, dass die Spediteure darauf achten, dass sie nicht selbst zollpflichtig werden. Das wäre laut dem EU-Zollrecht der Fall, wenn der Spediteur die „indirekte Vertretung“ innehat. Denn dann haftet er auch für die Zollabgaben. Wie gesagt, das hängt ganz davon ab, was der Spediteur hier mit seinem Kunden vereinbart hat. Da muss er die Verträge dringend prüfen, um keine bösen Überraschungen zu erleben. (eh) Johanna Wegner, Referatsleiterin Zoll und Außenwirtschaftsrecht der IHK für München und Oberbayern