Frankfurt/Main. Drei Jahre nach dem Kollaps der US-Investmentbank Lehman Brothers geht erneut die Angst vor einer weltweiten Rezession um. „Die jüngsten Turbulenzen an den Finanzmärkten rufen Erinnerungen an die Zeit nach Lehman wach", schreibt der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer. Damals stürzten die Börsenkurse ins Bodenlose, der Geldfluss zwischen den Banken riss ab, Kreditinstitute mussten mit Milliarden gerettet werden, die Weltwirtschaft rutschte in eine tiefe Rezession.
Doch ganz so dramatisch ist die Situation nach Einschätzung von Volkswirten – noch – nicht. Zunächst handele es sich um eine Korrektur an den Aktienmärkten. „Bis vor zwei, drei Wochen war eine gewisse Sorglosigkeit zu beobachten", sagt der Deutschland-Chefvolkswirt von Unicredit, Andreas Rees. Inzwischen sei klar, dass es die Verlangsamung des Wirtschaftswachstums deutlich stärker ausfallen werde als bisher erwartet. „Wir haben mittlerweile einen synchronen Abschwung der Frühindikatoren." Es gehe nicht mehr nur um die USA und Europa, sondern auch um Länder, die zuletzt sehr stark gewachsen sind wie China, Brasilien oder Indien.
Schwächt sich die Konjunktur in wichtigen Abnehmerländern ab, trifft dies vor allem eine Exportnation wie Deutschland. Schon im Juni bekam die Unternehmen erste Vorboten zu spüren. Die Ausfuhren sanken im Monatsvergleich kalender- und saisonbereinigt um 1,2 Prozent. „Die Bremsspuren, die von der konjunkturellen Eintrübung in den USA ausgehen, werden sich den nächsten Monaten schon bemerkbar machen", erwartet der Präsident der Bundesverbandes Groß- und Außenhandel Anton Börner.
Das dürfte das deutsche Wachstum insgesamt schwächen, denn die Konjunktur hierzulande hängt wesentlich am Export. In der Folge könnten Unternehmen weniger investieren, Verbraucher weniger konsumieren und die Arbeitslosigkeit steigen. Dennoch erwartet derzeit niemand eine Rezession in Deutschland, selbst wenn die größte Volkswirtschaft der Welt, die USA, wieder in eine Wirtschaftskrise rutschen sollten. Deutschland sei gut aufgestellt, da sich die Ausfuhren nicht auf einzelne Länder beschränkten, sagte der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Achim Dercks, dem „Südwestrundfunk".
Unternehmen und Privathaushalte stünden derzeit besser da als vor der Lehman-Pleite, argumentiert auch der Chefvolkswirt der Berenberg Bank, Holger Schmieding. Eine Rezession in den Industriestaaten oder Schwellenländern erwartet er daher nicht.
Staatliche Sparprogramme belasten Wirtschaft
Milliardenschwere Sparprogramme in zahlreichen Industriestaaten werden allerdings das Wirtschaftswachstum dämpfen - da sind sich die Experten einig. „Man wird sich keine Konjunkturprogramme mehr leisten können und man wird Subventionen abbauen müssen. Auch der Konsum wird darunter leiden. Diese Angst bedeutet eine Rezessionsgefahr und das wirkt aus meiner Sicht deutlich stärker als die Staatsschuldenkrise", sagt Martin Faust, Professor an der Frankfurt School of Finance & Management.
Nicht nur die Euro-Krisenstaaten, auch die USA haben sich ein rigides Sparprogramm zur Bekämpfung der gigantischen Staatsverschuldung verordnet. Milliardenhilfen für die wieder schwächelnde Konjunktur - im ersten Quartal wuchs die US-Wirtschaft nur um magere 0,4 Prozent - sind damit nicht mehr möglich. Und das kommt an den Börsen schlecht an.
Auch die Schuldenkrise in Europa lastet auf der Stimmung an den Börsen. „Eine Eskalation der Krise würde ähnlich wie die Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers im Herbst 2008 weltweit einen Unsicherheitsschock auslösen und die Konjunktur nach unten ziehen", sagt der Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer. Die Stunde der Wahrheit droht aus seiner Sicht Ende August, wenn die nächste Auktion italienischer Staatsanleihen ansteht. (dpa)
Wilfried Engel