Verkehrspolitik: Logistiker verstehen

Enttäuscht, dass der Verkehrsminister nicht Özdemir oder Hofreiter heißt?Gelbhaar: Ja, klar. Als Verkehrspolitiker blutet dir das Herz, wenn dein Ressort in "fremde" Hände gerät. Um mitzugestalten, ist es natürlich immer besser, wenn das Fachressort in den eigenen Händen liegt. Gleich zu den Sachthemen: Wie stehen Sie zu Entlastungen des Gewerbes wegen steigender Diesel- und AdBlue-Preise? Wir haben im Koalitionsvertrag die Zielrichtung ausgegeben, umweltschädliche Subventionen abzubauen - so auch das Dieselprivileg. Natürlich muss man das abwägen. Wir sehen aber, dass aktuelle Treiber nicht die Abgaben sind. Das Dieselprivileg soll also wegfallen? Am Ende des Tages muss auch der Lkw-Bereich dekarbonisiert werden. Wir dürfen dabei aber nicht den Wettbewerb zwischen deutschen und ausländischen Anbietern verzerren. Auf den Verbrauch schauen die Spediteure schon jetzt. Wir müssen mit den Herstellern dazu intensiv ins Gespräch gehen. Grundsätzlich geht es um die Frage, wie der Zeitraum bis zur Dekarbonisierung zu überbrücken ist. Ihnen ist aber klar, dass in 20 Jahren die Verbräuche mehr als halbiert wurden? Das zeigt, dass was geht und was gegangen ist. Ich glaube, dass die Güterverkehrsbranche das Pariser Abkommen nicht nur verstanden hat, sondern die Ziele mitträgt. Wir sind darauf angewiesen, dass die Lkw-Hersteller in die Pötte kommen, weil Unternehmer nur klimaneutrale Lkw kaufen können, die der Markt anbietet. Dafür braucht es preisliche Anreize. Ich sehe, dass Logistiker und Politik auf der gleichen Seite stehen. Jetzt müssen wir die Hersteller auf "unsere" Seite ziehen. Dafür muss die Politik Anreize schaffen, etwa mit einer Wasserstoffstrategie oder beziehungsweise und mit Ladepunkten. Schön, dass Sie Politik und Logistik auf gleicher Seite sehen. Ein dekarbonisierter Lkw wird aber sehr viel teurer. Selbst wenn die EU 80 Prozent fördert, bleibt immer noch sehr viel am Unternehmer hängen. Zwei Punkte: Wir müssen die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen, die saubere Lkw einsetzen, stärken. Die EU macht das mit besagter 80-prozentigeFörderung. Da gab es aus meiner Sicht einen Fehler in der Förderstrategie der alten Bundesregierung. Die war nicht auf Klimakurs, und es wurden teilweise noch Diesel- oder auch Erdgasfahrzeuge sogar mehrfach gefördert. Das war kein kluger Ansatz, weil es die Unwucht eher noch verschärft hat. Klimaneutrale Lkw müssen meiner Auffassung nach weiterhin gefördert werden! Zumindest so lange, wie sie sich noch nicht rechnen. In der Logistik wird beinhart kalkuliert. Energiekosten und Anschaffungskosten stehen an Nummer zwei und drei der Bilanz. Dafür brauchen wir funktionierende Stellhebel. Wir haben im Koalitionsvertrag gesagt, dass wir ab 2023 eine CO2-Maut bekommen, die den bestehenden Wettbewerbsnachteil, also den Wirtschaftlichkeitsnachteil, ein Stück weit ausgleichen soll. Das ist ein richtiges Instrument. Aber wir werden nicht umhinkommen, da immer wieder nachzusteuern, bis alle Lkw dekarbonisiert sind. Wenn wir so weit sind, haben wir neudeutsch ein Level Playing Field, wo es keiner Förderung mehr bedarf. Was wir keinesfalls wollen, ist, dass besonders klimafreundliches Verhalten aus dem Markt gedrängt wird, weil es sich nicht rechnet. Ist das ein Bekenntnis zum Straßentransport, der dann dekarbonisiert ist? Ich beantworte immer die Fragen, die Sie stellen (lacht). Mein Dreiklang ist: "Vermeiden, Verlagern, Dekarbonisieren". Über Vermeidung müssen wir wirklich ernsthaft nachdenken, weil das in der Diskussion am meisten unterbelichtet ist. Was sind Transporte, die wir gar nicht brauchen? Ich sage mal: "Amazon". Ist das eine gute oder schlechte Entwicklung? Und nach den Überlegungen zur Vermeidung kommen wir zum Thema Verlagerung. Natürlich auf die Schiene, teils aufs Schiff - dort, wo es geht. Bei "Well to Wheel" würde ein E-Truck viel schlechter abschneiden, Stichwort Kohlestrom oder grauer Wasserstoff. Da gibt es ganz verschiedene Modellrechnungen. Wenn man einen dreckigen Strom-Mix zur Grundlage nimmt, dann ist der Unterschied gering - das ist wohl wahr. Nimmt man den Strom-Mix an, den wir gerne schaffen wollen und müssen, dann wird der Vorteil eklatant. Antriebswende ohne gleichzeitige Energiewende funktioniert nicht. Energiewende heißt: Grünen Strom produzieren, selber, hier vor Ort. Stichwort: Solar. Stichwort: Windkraft, Zwei-Prozent-Ziel und so weiter. Ich würde allerdings noch ergänzen: Deutschland war noch nie energieautark, deswegen müssen wir über unsere Energiepartnerschaften reden. Wir müssen fossile Infrastrukturen fit machen, dekarbonisieren. Wenn Nordstream 2 irgendwann in Betrieb ist, muss da grüner Wasserstoff durch und kein Erdgas. Auch Russland weiß, was im Pariser Klimaschutzvertrag steht. Russland muss ein Interesse haben, sein Geld künftig anders zu verdienen. Windräder aus Deutschland könnten in Russland Strom produzieren. Aber das passiert nicht von alleine. Oder Solaranlagen in Nordafrika, die Wasserstoff erzeugen? Sie sprechen von Desertec, das funktioniert seit 25 Jahren nicht. Wenn wir grünen Strom aus der Sahara haben wollen, dann müssen wir auch dort eine Klima-Außenpolitik betreiben. Klingt toll - aber was die Branche braucht, ist Investitionssicherheit. Wie wollen Sie die gewährleisten? Von den Herstellern müssen Signale kommen, dass in die Produktion gegangen wird. Bei den Logistikern sind die Investitionszyklen in den Blick zu nehmen. Fairer Wettbewerb gelingt nur auf einem Level Playing Field. Die Entwicklung außerhalb der eigenen nationalen Grenzen darf nicht außer Acht gelassen werden. Wie das geht? Das schafft man nur, wenn man einen konsequenten Dialog anschiebt. Das ist die Forderung an den neuen Verkehrsminister, dass er in den beständigen Austausch eintritt - auch ein Gremium schafft, wo diese Themen immer wieder gemonitort werden: Wo stehen wir? Kriegen wir das mit Paris hin? Was sind die nächsten Schritte? Wie geht es der Branche? Und dann: Wie geht es bei den OEMs? Dann bekommen wir das unter Kontrolle. Wir hatten so ein Thema ja schon einmal, bei den Bussen. Berlin und Hamburg haben gesagt, dass sie ihre Busflotten elektrifizieren wollen. Letztlich wurde die Lücke von einem polnischen Anbieter geschlossen ... Aber selbst der Busbereich ist noch längst nicht da, wo er sein könnte, oder? Stimmt. Und der Busbereich ist mit dem Lkw-Bereich von den Dimensionen nicht vergleichbar. Das Beispiel zeigt nur sehr schön auf, dass der Politik hier eine Rolle zukommt: eben diese Investitionssicherheit, diesen Fahrplan zu generieren. Die Unternehmer und Unternehmerinnen müssen wissen, worauf sie sich einstellen können, damit sie ihre ganz unterschiedlichen Investitionszyklen anpassen können. Ich vergleiche das mal mit einem Tanker. Hätte man vor fünf oder vor zehn Jahren das Ruder sanft bewegt, wäre das alles viel netter gewesen. Leider ist wenig bis nichts passiert. Trotzdem können wir das Steuerrad nicht herumreißen, sonst bricht es. Aber wir müssen jetzt mehr Druck machen, um die Kurve zu kriegen. Und im Zweifel müssen wir noch ein paar Beiboote zu Wasser lassen, die uns noch ein bisschen um die Kurve herumziehen. Darum geht es jetzt. Die Grünen haben kein Interesse daran, das Speditionsgewerbe ins Leere laufen zu lassen. Wir haben einen sehr guten Gesprächsfaden mit dem deutschen Speditionsgewerbe, und wir wissen auch um den Wert dieses Gesprächsfadens. Wir wissen auch um den Frust, der da existiert, gerade auch über die OEMs. Aber bei den OEMs grübeln inzwischen viele Leute darüber, wie das jetzt hinzukriegen ist, da werden auch schon konkrete Pläne zu Ladenetzen ins Werk gesetzt. Und jetzt stelle man sich doch mal vor, wir hätten eine Politik gehabt, die das auch aktiv angeht, führt ... Ich wünsche mir, dass Herr Wissing das hier zusammenführt - die ökologische Frage mit den ökonomischen Gedanken. Der Schritt zu mehr Ökologie könnte der Kombinierte Verkehr sein. Nur scheint DB Cargo da völlig zu versagen. Ja, in dem Bereich gibt es tatsächlich Merkwürdigkeiten und Langfristaufgaben. Auf der Schiene gibt es Veränderungen, etwa was Schüttgut angeht. Aber konkret zum Kombinierten Verkehr: Zusätzliche Gleisanschlüsse und bessere Umladungslogistik können das attraktiver machen. Dazu haben wir im Koalitionsvertrag doch einige Punkte fixiert. Aufschreiben ist relativ leicht, Machen ist dann doch ein Stück komplizierter. Aber ein Stichwort: 740-Meter-Züge. Ja, warum nicht? Die ersetzen über 50 Lkw. Dafür wird es Überholgleise brauchen. Wir haben für den Schienenbereich im Koalitionsvertrag allgemein einige wichtige Punkte, Stichwort: Gewinnerzielungs-Befreiung für die Infrastrukturbereiche - und stattdessen gemeinnütziges Arbeiten. Das ist eminent wichtig. Wir brauchen diesen Paradigmenwechsel. Die Bahn leidet zudem wie der Straßenverkehr auch unter den Problemen Baustellenmanagement und Ausfallstrecken. Wir werden nicht umhinkommen, bei der Deutschen Bahn oder einer zusätzlichen Projektgesellschaft personell intensiv aufzustocken. Aber auch Themen wie die Rheinschiene oder die Hinterlandanbindung der Häfen müssen wir beschleunigen. Ich finde am neuen Koalitionsvertrag gut, dass wir aus der aufwachsenden Lkw-Maut eben nicht mehr nur einen reinen Finanzierungskreislauf Straße haben, sondern wir das Geld auch anderweitig verwenden können. Geld alleine wird es aber nicht tun. Wir brauchen einfach mehr Menschen, die das machen. Und Sie sehen die Voraussetzungen geschaffen, dass Sie das in der aktuellen Konstellation hinbekommen? Bislang noch nicht, weil wir das ja gerade erst übernehmen. Und ich sehe einen riesigen Berg Arbeit. Ich bin gespannt, ob der FDP-Verkehrsminister sich wirklich reinkniet, um diese vielen, vielen liegen gebliebenen Aufgaben zu erledigen. Es benötigt wirklich exekutives Handeln an ganz vielen Stellen. Wo es legislative Hilfe braucht, wird er sie bekommen. Gebraucht wird, wer für das Thema brennt. Der neue Verkehrsminister hat aber auch das Handikap, dass egal ob Straßenverkehr, Bahn oder Binnenschifffahrt ganz viel im Argen liegt. Nach zwölf Jahren CSU liegt wirklich vieles im Argen. Es wurde viel Geld für neue Autobahnen rausgeworfen, im gleichen Atemzug sind Schienenstrecken stillgelegt worden. Das ist nicht das, was wir unter nachhaltiger Gestaltung verstehen. Eine Monokultur im Güterverkehrsbereich ist nie gut, führt nicht zu resilienten Systemen. Das haben wir jetzt bei Corona gesehen, wo sich an den Grenzen die Lkw gestaut haben. Ungeachtet dessen hat die Logistik im Wesentlichen funktioniert. Trotzdem heißt das, dass wir mehr in die Schiene und intensiver in Hinterlandanbindungen von Häfen investieren müssen. Viele Straßentransporteure würden ja kombinierten Verkehr machen, wenn es denn funktionieren würde. Was in den letzten Jahren hart vernachlässigt wurde, sind Infrastrukturen von Schiene und Schiff. Wir müssen zudem Themen wie die digitale autonome Kupplung angehen, wo enorme Effizienzsteigerungen möglich sind. Wir brauchen einen Masterplan und müssen in die Umsetzung kommen. Dafür muss Geld bereitstehen. Wir haben einen Masterplan Binnenschifffahrt, einen Masterplan Schienengüterverkehr. Wäre es nicht sinnvoll, einen Masterplan Logistik zu entwickeln? (Zustimmend) Mhm. Das sind ja Branchen mit teils ähnlichen Interessen, teils aber sehr unterschiedlichen. Vor allem sind die Beteiligten nicht unbedingt immer die gleichen. Trotzdem finde ich, dass das sinnvoll sein kann. Wir müssten aus allen Bereichen die Leute erst mal an einen Tisch bekommen. Beim Thema verkehrsübergreifende Transporte, Stichwort: Kombinierter Verkehr, KV-Terminals und Ähnliches ist das sinnvoll und anzuraten. Aber es wird auch Themen geben, wo wir mit dem Ansatz nicht effizient wären. Vielleicht hilft ein bisschen Zwang seitens der Politik, dass Leute miteinander sprechen ...? Ein gemeinsamer Austausch beim Thema Kombinierter Verkehr, KV-Terminals, Hinterlandanbindung ist sinnvoll. Aber wie gesagt, das gehört für mich zur seriösen Arbeit eines Verkehrsministers dazu. Natürlich weiß ich, dass Dialog bei unterschiedlichen Interessenlagen schwierig ist. Es hilft nichts, wenn die Energieleute und die Verkehrsleute sagen: "Wir müssen jetzt sofort zu 100 Prozent dekarbonisieren", und dann stellt man fest, dass wir in eine Stromlücke reinfahren. Deswegen muss man Prozesse gemeinsam diskutieren. Das eine ist auch die Chance des anderen. Und so kommt ein Sinn bei raus. Sie sind nach wie vor guter Dinge, dass uns das gelingt? Gelbhaar: Ich bin ein so grenzenloser Optimist (lacht). Ich bin kürzlich gefragt worden, wie ich den Koalitionsvertrag auf einer Skala von eins bis zehn im verkehrspolitischen Bereich bewerte. Da habe ich gesagt: Fünf - kommt drauf an, was wir draus machen. Der Koalitionsvertrag hat beim Verkehr ein großes Spielfeld eröffnet. Da kann man jetzt wie die Kesselflicker streiten oder das Spielfeld nutzen. Mehr zum Thema finden Sie unter #Verkehrspolitik www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Stefan Gelbhaar beklagt die einseitige Verkehrspolitik der CSU-Verkehrsminister und fordert eine Stärkung von Bahn und Schiff. Dennoch hegt er Sympathien für den Straßentransport und will deutsche Transporteure vor ausländischer Konkurrenz schützen. Vita Stefan Gelbhaar wurde 1976 in Berlin geboren, wo er noch heute lebt. 2002 schloss er sein Studium der Rechtswissenschaften an der Humboldt-Uni ab. Seit 2000 ist Gelbhaar Mitglied der Bündnisgrünen und war u. a. Landesvorsitzender. Ein thematischer Schwerpunkt in dieser Funktion war die Kampagne"A 100 stoppen". Seit September 2017 ist er Mitglied des Deutschen Bundestags, Obmann des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur sowie Sprecher für Verkehrspolitik und Radverkehr der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. gg

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