Tirol zieht die Schlinge enger

Tirol zieht die Schlinge engerWenn nicht noch ein großes Wunder passiert, gilt ab heute das sektorale Fahrverbot auf der Brennerautobahn. Die Transportverbände schlagen Alarm und befürchten einen "Transitkrieg" zulasten der Fuhrbetriebe.Peter Göschl ist sauer. Trotz moderner Euro-IV- und Euro-V-Fahrzeuge kann er ab dem 2. Mai nicht mehr wie bislang Altpapier über den Brenner fahren. Denn dann gilt die erste Stufe des sektoralen Fahrverbots auf der Inntal-autobahn zwischen Kufstein und Zirl. Es verbietet den Transport von Abfällen, die im europäischen Abfallverzeichnis aufgenommen sind – dazu zählt Altpapier –, sowie von Steinen, Erden und Aushub."Dann muss ich meinen Kunden halt sagen, dass ich nicht mehr fahre", reagiert der Geschäftsführer der Göschl Internationale Transporte zunächst trotzig. Ein anderer Pass zum Beispiel über die Tauernautobahn kommt nicht infrage. "Ein zu großer Umweg", klagt Göschl. Nach Berechnungen des Bundesverbandes Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) ist die Ausweichroute über Salzburg/Villach nach Verona um 200 Kilometer weiter und dauert 3 Stunden, 20 Minuten länger. Damit sind also nicht nur Mehrkosten, sondern auch deutlich höherer CO2-Emissionen verbunden. Daher hat der BGL zusammen mit anderen europäischen Transportverbänden letzte Woche einen Brief an den Vizepräsidenten der EU-Kommission, Günter Verheugen, geschickt mit der Bitte, gegen die erste Stufe des sektoralen Fahrverbots eine einstweilige Verfügung beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) einzulegen. Zudem bestätigte BGL-Hauptgeschäftsführer Adolf Zobel gegenüber der VerkehrsRundschau, dass die Schweiz Gegenmaßnahmen in Erwägung zöge, um Ausweichverkehren über Bregenz und Lugano einen Riegel vorzuschieben. Deshalb befürchten die Güterverkehrsverbände, es könne ein regelrechter "Transitkrieg" in den Alpen ausbrechen, der auf dem Rücken des mittelständischen Transport-gewerbes ausgetragen werde. Zwei Tage vor Inkrafttreten des sektoralen Fahrverbots, am 30. April (Anm. der Red: nach Redaktionsschluss), ist in Brüssel die Kommission zusammengetreten, um über Vertragsverletzungsverfahren und damit auch über das sektorale Fahrverbot zu entscheiden. Die Kabinettschefin von Verheugen, Petra Erler, wollte gegenüber der VerkehrsRundschau keine Angabe machen, wie die Kommission entscheiden könnte. Sollte die Kommission das Fahrverbot als eine Vertragsverletzung einstufen, so müssten sich danach die Richter des EuGH mit dem Problem befassen und auch darüber entscheiden, ob Eilbedürftigkeit vorliegt.RoLa als AusweichmöglichkeitDen Vorwurf, das sektorale Fahrverbot führe zu Umwegverkehren und sei daher auch aus Umweltschutzgründen abzulehnen, kontert das Land Tirol mit den freien Kapazitäten auf der RoLa. Dazu macht das Land folgende Rechnung auf: Von der ersten Stufe des sektoralen Fahrverbots seien 35.000 LKW pro Jahr betroffen (bezogen auf 2007). Viele dieser LKW würden einen Umweg in Kauf nehmen über den Brennerpass, weil sie dort freie Fahrt hätten. Kommt jetzt ein sektorales Fahrverbot, so würden diese wieder den kürzeren Weg (zum Beispiel über die Schweiz) nehmen. Tirol beziffert daher das Verlagerungspotenzial für die RoLa auf 20.000 LKW/Jahr. Da insgesamt 39.000 freie LKW-Stellplätze auf der RoLa zur Verfügung stünden, bezeichnet Tirol die Kapazitäten für eine Verlagerung auf die Bahn als ausreichend. Laut Franz Dirnbauer, Geschäftsführer der Ökombi, die die RoLa betreibt, gibt es sogar deutlich mehr Platz auf den Zügen. "Wir haben derzeit etwa 8500 freie Plätze pro Monat auf der Brennerstrecke", sagt Dirnbauer gegenüber der VerkehrsRundschau. Auf das Jahr hochgerechnet sind das 100.000 freie Einheiten. Allerdings gesteht er ein, dass es Abfahrten gibt, die ausgebucht sind, vor allem während der Nachtzeit, in der das Nachtfahrverbot gilt. "Die Frächter müssen daher ihre Abläufe anders organisieren, wenn sie die Rola nutzen wollen", sagt Dirnbauer.Die Ökombi versucht, den Umstieg auf die Bahn preislich attraktiv zu machen. Ein Beispiel: Der Standardpreis für einen 40-Tonner beträgt für eine Richtung 120 Euro. Laut Dirnbauer belaufen sich die variablen Kosten (Maut, Kraftstoff, sonstige Kosten wie für Service, Öl, Reifen ohne Personalkosten) auf der Straße von Wörgl zum Brenner hi-nauf zwischen 140 und 197 Euro, in umgekehrter Richtung zwischen 106 und 163 Euro. Somit ist der Weg über den Hucke-packtransport in den meisten Fällen günstiger als auf der Autobahn. Zudem gilt zwischen 1.00 und 18.00 Uhr ein Aktionspreis in Höhe von 94,00 Euro. Dann ist die Bahn also in beiden Richtungen laut Ökombi-Rechnung günstiger. Ein wichtiges Argument für die RoLa ist neben dem Preis die Fahrtzeit. Hier hat der LKW mit 1,5 Stunden gegenüber 2,5 Stunden RoLa-Transport inklusive Verladung laut Dirnbauer die Nase vorne – wobei weder Staus auf der Straße noch Verspätungen auf der Bahn einkalkuliert sind. Auch zur Pünktlichkeit der Bahn nennt Dirnbauer Zahlen: Im ersten Quartal 2008 hatten 88 Prozent der Züge maximal bis zu einer Stunde Verspätung. Zwischen 61 und 180 Minuten später kamen 11 Prozent der Züge an. Bei einem Prozent der Fahrten wurde die Ankunftszeit um mehr als 180 Minuten überschritten.Für Göschl ist die RoLa jedoch keine Alternative. Die ist er im letzten Jahr mal probeweise gefahren. "Das dauert fast doppelt so lang wie auf der Straße", klagt Göschl. Die Ruhezeit für den Fahrer im Zug bringt ihm auch nichts, da er seinen Firmensitz in Rohrdorf bei Rosenheim hat: "Da macht der Fahrer doch nicht schon nach einer Stunde wieder eine Pause."Zum 1. Januar 2009, wenn die zweite Phase des sektoralen Fahrverbots in Kraft tritt, darf er dann auch seine mit Fliesen beladenen LKW nicht mehr über den Brenner schicken. Da den Pass überdies zahlreiche andere Waren nicht mehr auf der Straße überqueren dürfen (s. Kasten "Daumenschrauben"), sind dann laut Landesregierung Tirol weitere 165.000 LKW pro Jahr von dem Verbot betroffen. Die finden dann auch nicht mehr auf der RoLa Platz. Die Tiroler Landesregierung verweist jedoch auf ausreichende Kapazitäten im unbegleiteten Kombinierten Verkehr sowie im Wagenladungsverkehr. Und wenn es doch mal ein Fahrer wagt, mit den verbotenen Waren den Brenner zu passieren? "Dann droht eine Strafe in Höhe von bis zu 2180 Euro", sagt Leo Satzinger, Vorstand der Abteilung Verkehrsplanung in der Tiroler Landesregierung. Wobei er einschränkt, dass dieses maximale Bußgeld wohl nicht verhängt wird. Aber ein paar Hundert Euro werden es wohl sein. Wird der Fahrer zudem in Kundl bei Kufstein erwischt, muss er Wörgl ansteuern und die RoLa benutzen – oder umkehren.Kann also gut sein, dass Göschl angesichts dieser wenig erquicklichen Aussichten keine andere Wahl bleibt, als die Rola in Betracht zu ziehen. ❙❚■ Michael Cordes

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