Speditionsriese Betz vor Gericht: Bestechung und Betrug

18.09.2006 10:52 Uhr

Die Liste der Vorwürfe ist lang: Rund 560 Seiten umfasst die Anklageschrift gegen Verantwortliche und Mitarbeiter der Reutlinger Willi Betz-Gruppe, eine der größten Speditionen Europas.

Stuttgart/Reutlingen. Bestechung im In- und Ausland, Sozialversicherungsbetrug und Urkundenfälschung - das sind einige der Anklagepunkte. An diesem Mittwoch (20.9.) beginnt vor dem Stuttgarter Landgericht der Prozess, in dem es auch um die oft schwer überschaubaren Geschäftspraktiken in der Transport- und Logistikbranche geht. Das Verfahren droht zu einem Marathon zu werden: 71 Termine sind bis Juni 2007 angesetzt. Prozessbeteiligte rechnen aber bereits jetzt mit einer weitaus längeren Dauer. Die Staatsanwälte werfen den Angeklagten unter anderem vor, zwischen 1999 und 2002 vier Millionen Euro Bestechungsgelder für behördliche Genehmigungen nach Georgien und Aserbaidschan gezahlt zu haben. Im gleichen Zeitraum sollen zudem bulgarische Fahrer illegal in Westeuropa für die Willi Betz-Gruppe gearbeitet haben. Das Unternehmen, so der Vorwurf, habe dadurch 35 Millionen Euro Sozialabgaben in Deutschland gespart. Auf der Anklagebank sitzt neben dem Geschäftsführer und Sohn des Firmengründers Willi Betz, Thomas Betz, und drei weiteren Angeklagten auch der 2004 suspendierte Vizepräsident des Bundesamtes für Güterverkehr (BAG), Rolf Kreienhop. Er hat nach Überzeugung der Ankläger die Willi Betz-Gruppe über bevorstehende Kontrollen informiert. Im Gegenzug soll ihm das Unternehmen Reisespesen ersetzt und ein Auto gestellt haben. Das Verfahren gegen den Betz-Senior wurde mit Rücksicht auf die Gesundheit des 78-jährigen Mitgeschäftsführers von dem Prozess abgetrennt, ein Termin steht noch nicht fest. Thomas Betz sitzt seit gut einem Jahr in Untersuchungshaft und will nach Angaben von Unternehmenssprecher Roland Klein gleich zu Prozessbeginn umfassend aussagen. „Da kommen sofort alle Karten auf den Tisch.“ Die Vorwürfe der Staatsanwälte werden von dem Unternehmen jedoch in allen Punkten bestritten und zurückgewiesen. Im Fall des BAG-Vizepräsidenten Kreienhop bestätigt Klein, dass einige Fahrten, Flüge und Hotel-Aufenthalte des Beamten bezahlt worden seien. „Clever war das nicht“, sagt er, betont aber: „Bestochen worden ist nicht.“ Die Spedition habe keine Vorteile davon gehabt. Die anderen Vorwürfen sollen unter anderem mit Rechtsgutachten entkräftet werden. Das Unternehmen, das in diesem Jahr mit rund 7800 Mitarbeitern einen Umsatz von rund 720 Millionen Euro anpeilt, habe sich in der Vergangenheit immer im legalen Bereich bewegt. Die Willi Betz-Gruppe war schon 1999 und 2000 ins Visier der Staatsanwälte geraten. Die Ermittlungen wegen des Verdachts auf ausländerrechtliche Verstöße verliefen jedoch im Sande und wurden eingestellt. 2003 wurden die Beamten wieder aktiv: An 20 verschiedenen Orten im In- und Ausland durchsuchten sie Geschäftsräume des Speditionskonzerns und nahmen gleich lastwagenweise Unterlagen mit. Herausgekommen ist aus Sicht der Staatsanwälte umfangreiches Beweismaterial. Die Ermittlungsakten füllen rund 590 Ordner. Die Staatsanwälte werden wohl allein für das Verlesen der 560-seitigen Anklageschrift zu Prozessbeginn zwei ganze Tage brauchen.

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