Sektorales Fahrverbot

Sektorales FahrverbotFreie Fahrt auf dem Brenner – nochNach langer Bedenkzeit hat der EuGH kurz vor Weihnachten das sektorale Fahrverbot in Tirol gekippt. Doch die Freude im Transportgewerbe fiel verhalten aus. Für die Zurückhaltung gibt es gute Gründe.Am 21. Dezember war es so weit: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat nach mehrjähriger Bedenkzeit das sektorale Fahrverbot gekippt. Damit können jetzt wieder Unternehmen, die Abfälle, Steine, Autos, Rundholz, Stahl, Fliesen und Marmor transportieren, über die Brenner-Autobahn fahren – sieht man von dem Fahrverbot für Alt-LKW und dem Nachtfahrverbot ab, von dem nur Euro-5-Fahrzeuge ausgenommen sind.„Die Jagd auf den LKW ist gescheitert“Das Speditions- und Transportgewerbe zeigt sich erfreut über die Entscheidung des EuGH. „Damit ist ein erneuter Versuch gescheitert, mit unqualifizierten Argumenten die Jagd auf den LKW im grenzüberschreitenden Verkehr zu eröffnen“, heißt es beispielsweise in einer Stellungnahme des Bundesverbands Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) zu dem Urteil.Wer jedoch gedacht hat, es würden angesichts der lang ersehnten Entscheidung die Sektkorken knallen, der sieht sich getäuscht. „Die Tiroler werden sich sicher etwas Neues einfallen lassen“, sagt beispielsweise Georg Dettendorfer, Geschäftsführer der gleichnamigen Spedition in Nussdorf am Inn. Er geht davon aus, dass vor allem die Fahrzeugkontrollen verschärft werden.Darauf stellt sich auch Wolfgang Anwander, Chef der Spedition Anwander Internationale Transporte (AIT) in Rohrdorf, ein: „Der Kampf Tirols gegen den LKW-Durchgangsverkehr wird in diesem Jahr mit verschärften Waffen fortgesetzt“, prognostiziert Anwander. Er befürchtet, dass Österreich mit verstärkten Kontrollen immer wieder LKW anhält und zum Teil lahmlegt. „Da kann man seinen Fahrern nur empfehlen: Haltet euren digitalen Tacho so gut es geht sauber“, lautet der Appell des Vizepräsidenten des Landesverbandes Bayerischer Transport- und Logistikunternehmen (LBT). Das sei jedoch schwierig, wenn ein Fahrer beispielsweise einem österreichischen Beamten erklären müsse, dass er vor drei Wochen die Lenkzeit aufgrund eines Staus überschritten habe. „Wenn jemand unbedingt einen Fehler sucht, dann findet er auch einen“, sagt Anwander.Die Befürchtung, dass trotz des Urteils neue Daumenschrauben aus Tirol folgen, sind mehr als begründet. Noch am selben Tag, an dem der EuGH seine Entscheidung bekannt gab, nahmen der Landeshauptmann von Tirol Günther Platter (ÖVP) und sein Stellvertreter Hannes Gschwentner (SPÖ) zu dem Urteil Stellung. „Offenbar ist die Wirtschaft nicht willens, ihre Transportlogistik von sich aus umzustellen, daher sind Verbote wie das sektorale Fahrverbot dringend notwendig“, sagte Gschwentner. Nach Ansicht von Platter ist das sektorale Fahrverbot durchaus vom EU-Recht gedeckt. „Deshalb werden wir an der Wiedereinführung des sektoralen Fahrverbots festhalten“, so der Regierungschef von Tirol.Tirol beschließt mehr KontrollenDer EuGH hatte als Grund für die Aufhebung des sektoralen Fahrverbots angegeben, dass Österreich nicht alle anderen Möglichkeiten zur Senkung der Schadstoffbelastung ausgeschöpft und daher den freien Warenverkehr unverhältnismäßig beschränkt habe. Die darauf aufbauende Strategie des Landes Tirol lautet daher: Zur Schadstoffreduzierung werden jetzt andere, „gelindere“ Maßnahmen getroffen, um danach das sektorale Fahrverbot wieder einzuführen. Davon ist auch der LKW-Verkehr betroffen. So sollen künftig die LKW-Kontrollstellen Brenner, Radfeld und Kundl rund um die Uhr besetzt werden. Das Land will für die heimischen Unternehmen den Kauf emissionsarmer, schwerer LKW fördern. Und die Mauttarife zwischen Kufstein und Innsbruck sollen schrittweise und je nach Emissionsklassen der LKW erhöht werden. Eine Maßnahme, die bereits zu Jahresbeginn wirksam wurde.Aber auch die Mautschraube lässt sich nicht überdrehen. Der Spielraum nach oben ist begrenzt. „Wir müssen uns dabei an die Wegekostenrichtlinie der EU halten,“ sagt Leo Satzinger von der Abteilung Verkehrsplanung im Amt der Tiroler Landesregierung. Einzig die Verordnung für sensible Gebiete lässt noch Zuschläge zu, weil hier Lärm- und Luftemissionen und Staus die Umwelt stärker beeinträchtigen.Fuhrbetriebe halten der Rola die TreueDoch ganz gravierende Maßnahmen zur Eindämmung des LKW-Verkehrs auf der Brenner-Autobahn werden in naher Zukunft wohl nicht beschlossen. „Wir rechnen damit, das etwas kommt, aber frühestens 2013“, sagt Sebastian Lechner, Hauptgeschäftsführer des LBT. Das hängt damit zusammen, dass ab dem 6. August die Brenner-Bahnstrecke für rund einen Monat für den gesamten Zugverkehr gesperrt wird. Für drei Monate steht aufgrund eingleisiger Teilabschnitte eine eingeschränkte Infrastruktur zur Verfügung. „Es spricht daher einiges dafür, dass ein Fahrverbot nicht vor Oktober 2012 kommt“, bestätigt dann auch Satzinger.Einbußen drohen dem Schienengüterverkehr auf dieser Route jedoch schon jetzt. Denn der größte Profiteur des sektoralen Fahrverbots war die Rollende Landstraße (Rola), die Rail Cargo Austria (RCA) betreibt. Doch auch hier gilt: Wer erwartet hat, dass die – zum Teil viel kritisierte – Rola künftig als Geisterzug ohne LKW durchs Brennertal fährt, sieht sich getäuscht. „Wir werden weiter die Rola nutzen, wo es sinnvoll ist“, sagt Andreas Rott, Geschäftsführer der Isentaler Transporte. Er geht zwar davon aus, dass er von den wöchentlich sechs LKW etwa ein Viertel weniger auf die Bahn schicken wird. Doch hat er im neuen Jahr bereits die Erfahrung gemacht, dass selbst zu attraktiven Abfahrtszeiten am gleichen Tag Plätze frei waren, was für ihn das Angebot der Rola attraktiver macht. Auch Georg Wittwer, Geschäftsführer der Spedition Wittwer, will an der Rola festhalten. Rund 3000 LKW hat er 2011 auf die Waggons gesetzt. „Wir werden nach Gewicht bezahlt. Und da wir 44 Tonnen mitnehmen können, rechnet sich für uns die Rola“, sagt Wittwer. Auch Anwander äußert sich positiv: „Wenn die Rola pünktlich ist, ist sie durchaus eine Alternative,“ sagt der Transportunternehmer. Nach Aussage von Franz Dirnbauer, Leiter Intermodal bei RCA und zuständig für die Rola, stimmt die Leistung zumindest zwischen Wörgl und Brenner: „95 Prozent der Züge haben weniger als eine Stunde Verspätung gehabt und sind daher 2011 pünktlich gewesen“, sagt Dirnbauer. Und 74 Prozent hätten maximal eine Verspätung von 15 Minuten gehabt. Probleme habe es allerdings von und nach Trento gegeben, wo die Qualität sogar von 83 Prozent Pünktlichkeit auf 78 Prozent gesunken ist. Dafür machte er die italienische Bahn Trenitalia verantwortlich und versprach, diesen Wert zu verbessern. Für 2012 hält RCA trotz Aufhebung des Fahrverbots an dem bisherigen Angebot fest. „Wir rechnen mit Einbußen von 10.000 und im schlimmsten Fall von bis zu 30.000 LKW“, sagt Dirnbauer. ❙❚■ Michael CordesDie Zahl der LKW auf der Brenner-Autobahn dürfte nach der Entscheidung des EuGH steigenAutotransporter auf der Rola: RCA will die Einbußen trotz Wegfall des Fahrverbotes gering halten Brüssel sei DankEs ist ja „in“, auf die EU zu schimpfen: zu bürokratisch, zu viele Auflagen. Und gerade die Transportwirtschaft beklagt sich oft über Brüssel. Die Anlastung der externen Kosten im Güterverkehr ist hier nur ein Stichwort.Doch das Urteil des EuGH zum sektoralen Fahrverbot zeigt, dass die EU auch ihr Gutes hat. Denn wäre Österreich nicht Mitglied in der EU, würde mit hoher Wahrscheinlichkeit das Fahrverbot in Tirol immer noch Gültigkeit haben. Auch wenn es manchem Fuhrunternehmen schwerfällt, dies einzugestehen, aber letztlich hat die EU als „Wächter des freien Warenverkehrs“ dafür gesorgt, dass der Verkehr über die wichtigste Autobahn im Alpentransit wieder einfacher fließen kann. Seltsam ist allerdings, dass zwischen Einreichung der Klage und dem Urteil fast zwei Jahre vergangen sind. Würden hier die Mühlen schneller mahlen, könnte das Lob noch größer ausfallen. Aber dann gäbe es fast nichts mehr zu lästern, was ja auch so mancher bedauern würde.Kontakt: michael.cordes@springer.comMichael Cordes RedakteurKommentar

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