Pharmalogistik: Gute Besserung, gute Geschäfte

So verheerend die Pandemie für die Gesamtwirtschaft ist, so stark profitieren einzelne Branchen von ihr. Zum Beispiel die Versandapotheken: 16 Prozent aller deutschen Onlineshopper sagen, dass sie während der Pandemie zum ersten Mal Medikamente im Internet bestellt haben. Das ergab eine Umfrage des IT-Branchenverbands Bitkom. Nur Kleidungsversender konnten sich über mehr Neukunden freuen. "Corona war ein großer Schub für die Versandapotheken", bestätigt Achim Sponheimer, Experte für Pharmalogistik bei Miebach Consulting in Frankfurt/Main. Entsprechend glänzend sehen die Bilanzen der Anbieter aus. Shop Apotheke, einer der Marktführer, konnte seinen Umsatz im letzten Jahr um satte 38 Prozent steigern. Bei der Schweizer Zur Rose Group, Mutterkonzern von Doc Morris, lag das Plus immerhin noch bei neun Prozent. Bleibt nur die Frage: Wie können Transport- und Logistikdienstleister von diesem Boom mit Pillen über das Netz profitieren? Online-Schub durch Corona Die einfachste Antwort lautet: Indem sie als Subunternehmer für einen großen Paketdienst tätig werden. Denn die bringen das Medikament in der Regel zum Endkunden. Zu den Dienstleistern, die vom Online-Schub durch Corona profitiert haben, gehört zum Beispiel MMK-Frachtdienste aus Unna. "Unser Mitarbeiterzahl ist von 52 kurzfristig auf 78 gestiegen", sagt Geschäftsführer Michael Mlynarczyk. Ursprünglich war Mlynarczyks Unternehmen für mehrere Paketdienste tätig, seit zwei Jahren arbeitet er nur noch für den Paketdienstleister GLS. 80 Prozent der Umsätze entfallen auf diesen Kunden. "Das sorgt für ein stabiles Sockelgeschäft", sagt er. Aus dem freien Kuriermarkt dagegen hat sich MMK-Frachtdienste zurückgezogen, das sei ein "sterbendes Segment", so der Unternehmer, der auch als Berater für andere KEP-Dienste tätig ist. Erfolgschancen in der Versorgungslogistik Vom Boom beim Medikamentenversand profitiert das Unternehmen MMK quasi automatisch, da GLS auch für diverse Online-Apotheken tätig ist. "Für uns sind bestellte Medikamente Sendungen wie alle anderen", erklärt Mlynarczyk. Sprich: Es gibt auf der letzten Meile keine speziellen Anforderungen an Temperaturführung oder Sicherheit. Die einzige Besonderheit besteht darin, dass die Arzneimittel oft nur direkt an den Empfänger zugestellt werden dürfen - also nicht an Nachbarn, Minderjährige oder Paketshops. Ist ein entsprechender Aufkleber auf der Sendung, muss der Paketbote eine Identitätsprüfung durchführen. Interessant könnte für Transport- und Kurierdienstleister auch die Versorgungslogistik der Versandapotheken sein. Sie beziehen ihre Produkte entweder direkt von den Produzenten oder über Pharmagroßhändler. Die Transporte in diesem Bereich haben ebenfalls zugenommen. "Wir hatten zuletzt viele zusätzliche Aufträge durch die Verteilung von Tests", berichtet zum Beispiel Marc Muschkeit, Geschäftsführer von Meljo Network Logistics. Das Logistikunternehmen mit Sitz in Hamburg arbeitet unter anderem für den Arzneimittelgroßhandel. Sein Netzwerk umfasst insgesamt 100 Standorte mit 800 eigenen Fahrzeugen, die jeden Tag 100.000 Packstücke befördern. Transportiert werden die Arzneimittel von Netzwerkgesellschaften oder externen Dienstleistern. "In der Regel übernehmen unsere Partner ein Gebiet", erklärt Muschkeit, "doch in Einzelfällen arbeiten wir regional auch mit mehreren Dienstleistern zusammen, die dann bestimmte Produkte befördern." Das A und O in der Pharmalogistik Wer für Meljo tätig sein will, muss die Vorgaben der Good Distribution Practice (GDP) erfüllen, die alles von Hygiene über Datenschutz bis zu Zugangskontrollen regelt. Geht es um temperaturgeführte Transporte, müssen natürlich die entsprechenden Fahrzeugaufbauten vorhanden sein. Die Qualifizierung der Technik sei aber meistens kein Problem, so Muschkeits Erfahrung, "mehr Arbeit machen die IT-Schnittstellen". Am wichtigsten sei aber, so der Meljo-Geschäftsführer, dass ein Transportdienstleister ein gutes betriebliches Qualitätsmanagement-System vorweisen könne. "Abläufe müssen klar definiert sein und kontrolliert werden, es darf keine Interpretations-Spielräume geben." Kann der Dienstleister eine Zertifizierung nach ISO 9001 vorweisen, gibt das Pluspunkte, ein Muss ist es allerdings nicht; in solchen Fällen dehnt Meljo die eigene Zertifizierung auf den externen Dienstleister aus, was bedeutet, dass der Netzwerkbetreiber für die Qualität quasi bürgt und sie beim Geschäftspartner überprüft. Wer in der Pharmalogistik tätig ist, muss ohnehin damit rechnen, von den Kunden regelmäßig auditiert zu werden. Die größte Herausforderung bei Transport von Arzneimitteln liegt in den hohen Qualitätsansprüchen. "Man darf keinen Fehler machen", betont Muschkeit, "es reicht nicht, die Vorgaben zu 99 Prozent zu erfüllen." Passieren doch einmal Fehler, steckt meist der Mensch dahinter, so die Erfahrung von Profis. Ein Beispiel: In der Netzwerkzentrale gehen die Warnlampen an, weil eine Lieferung angeblich den vorgegebenen Temperaturkorridor verlassen hat. Doch dann stellt sich heraus, dass die Sendung aus Versehen einem falschen Fahrzeug zugeordnet wurde - und das steht an diesem Tag in der Werkstatt. "Prozesse einzuhalten, ist also das A und O in unserer Branche", fasst Geschäftsführer Muschkeit zusammen. Nachfrageschub durch Online-Orders Im kommenden Jahr wird es für Verbraucher noch einfacher, verschreibungspflichtige Medikamente online zu ordern. Ab dem 1. Januar müssen Ärzte nämlich ein Rezept auch elektronisch ausstellen. Das heißt, der Patient bekommt einen QR-Code, den er mit einer Bestell-App scannen kann. Die Versender erhoffen sich davon einen Nachfrageschub, doch wie groß der ausfallen wird, muss sich noch zeigen. "Gerade akut Kranke werden sicher nicht zwei Tage auf ein Paket warten", gibt Experte Sponheimer von Miebach Consulting zu bedenken. Doch auch an diesem Punkt arbeiten die Versender: DocMorris, Shop Apotheke, Aponeo und Fliegende Pillen bieten schon in einigen Städten die taggleiche Zustellung an. Dieses wachsende sogenannte Same-Day-Segment könnte künftig interessant für Kurierdienste mit einer guten regionalen Abdeckung sein, so Berater Sponheimer: "Ausgewählte Dienstleister werden davon profitieren - sie müssen lediglich zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein." Mehr zum Thema finden Sie unter #Pharmalogistik www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Der E-Commerce erlebte in Deutschland pandemiebedingt den Durchbruch. Selbst Medikamente werden mittlerweile verstärkt von Endverbrauchern hierzulande online bestellt und gekauft. Für Logistik- und KEP-Unternehmen birgt dies neue Chancen. Mehr dazu im Artikel. Transport von Medikamenten: Das erwarten die Verlader Die größte Chance für mittelständische Transportdienstleister liegen in der Belieferung der Versandapotheken, also in der Beförderung der Waren vom Hersteller oder Großhändler zu den Versandzentren. Die Anforderungen hier sind: Das Unternehmen verfügt über ein System zur Qualitätssicherung (ein ISO-Zertifikat hilft, ist aber kein Muss). Die Mitarbeiter sind mit den Vorgaben der GDP-Richtlinie grundsätzlich vertraut.- Der Transportdienstleister kann sicherstellen, dass die Sendungen nicht den Temperaturkorridor verlassen, z. B. zwei bis acht oder 15 bis 25 Grad. Eine aktive Temperaturführung ist nicht zwingend vorgeschrieben. Unter Umständen reicht eine passive Kühlung, etwa mit Transportboxen. Um die Einhaltung der Kühlkette belegen zu können, sind elektronische Temperaturschreiber/Datenlogger vorhanden. Die Daten können elektronisch an den Versender übertragen werden. Erfahrungen im Pharmabereich werden gerne gesehen, sind aber nicht Pflicht. Wer schon einmal für den Lebensmittelhandel gefahren ist, sammelt ebenfalls Punkte. Neue Chancen könnten sich künftig für Kuriere auch in der Same-Day-Belieferung ergeben, die immer mehr Versandapotheken in Ballungszentren anbieten. Constantin Gillies "Durch das elektronische Rezept erwarten wir uns einen Wachstumsschub“ Sie sind COO bei dem Schweizer Arzneimitte-Distributeur Zur Rose Group, zu dem auch die Versandapotheke Doc Morris gehört. Wie hat die Pandemie Ihr Geschäft verändert?Der Trend, Medikamente online zu bestellen, wurde durch Corona weiter verstärkt. Aktuell ist für uns das elektronische Rezept besonders spannend. Seit Juli läuft der Testbetrieb, ab 1. Januar 2022 wird es verpflichtend eingeführt. Für den Patienten bedeutet das, er bekommt vom Arzt einen QR-Code aufs Smartphone geschickt oder als Ausdruck, den er ganz einfach mit seiner DocMorris-App scannen und einlösen kann. Wir erwarten uns dadurch einen Wachstumsschub bei verschreibungspflichtigen Medikamenten. Ihre Online-Durchdringung könnte über die nächsten drei bis fünf Jahre auf einen Anteil von zehn Prozent steigen. Heute liegt er bei rund einem Prozent. Wer übernimmt die Transporte für die Versandapotheke DocMorris? Ein Großteil der 180.000 Produkte, die wir anbieten, liefern die Hersteller direkt an. Für Produkte, die weniger schnell drehen, greifen wir auch auf den Pharmagroßhandel zurück. Die Dienstleister auf dieser Inbound-Seite werden von unseren 700 Lieferanten gesteuert. In der Kundenbelieferung setzen wir große Carrier wie DHL, Hermes und DPD ein – die Kunden können bei der Bestellung den Anbieter auswählen. Für temperaturgeführte Transporte arbeiten wir mit Trans-o-flex zusammen. Was fordern Sie von Ihren Dienstleistern? Der überwiegende Teil unserer Produkte muss zwischen acht und 25 Grad transportiert werden, und wir überprüfen auch stichprobenartig, ob dieser Korridor eingehalten wird. In der Kundenbelieferung erwarten wir zudem eine kurze Lieferzeit und eine sauber dokumentierte Übergabe. Haben mittelständische Dienstleister bei Ihnen Chancen? In der Auslieferung brauchen wir eine überregionale Abdeckung, sonst wird das zu kleinteilig. Mittelständischen Dienstleistern würde ich empfehlen, sich an unsere Lieferanten zu wenden. eh

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