DAF BDF-Wechselbrückenfahrzeug im VerkehrsRundschau-Test

Die rollende Antwort auf die hierzulande immer noch verbreitete Meinung, DAF könne nur Sattelzugmaschinen, liefert dieses Testfahrzeug nachdrücklich. Denn das dreiachsige Fahrgestell, kombiniert mit einem klassischen Drehschemelanhänger, ist ein Spezialist für den Wechselbrückeneinsatz. Und zwar einer, den der niederländische Hersteller seiner Kundschaft im leasingfreundlichen Einrechnungsgeschäft anbieten kann. Dafür taten sich die Holländer mit dem Bielefelder BDF-Spezialisten SDG Modultechnik zusammen, wo man die DAFs mit maßgeschneiderten Wechselbrückenaufbauten ausrüstet. In unserem Fall ist es der Multiwechsler "HV 120 KT", der verschiedenste Behältergrößen aufnehmen und auf Abstellhöhen zwischen 1120 und 1320 Millimeter abstellen kann. Doch zunächst zum eigentlichen Fahrgestell, dem DAF ab Werk mehrere Besonderheiten für sein künftiges Einsatzfeld mitgibt. So werden bereits an den Produktionsbändern alle Rahmenbohrungen gesetzt, die der SDG-Aufbau benötigt. Das senkt Kosten und reduziert die Bauzeit, wenn der Aufbau später in Bielefeld auf das Chassis kommt. Branchenkenntnis offenbart zudem ein Blick auf die Luftkessel. Vier Stück mehr als normal hat der vollluftgefederte Dreiachser mit elektronisch angesteuerter Nachlaufachse davon an Bord. Das bedeutet in Zahlen 4 x 36 Liter mehr Luft, die über den vierten Kreis, an dem auch Zubehör wie die luftgefederten Sitze hängt, angesteuert werden. Vorrangiges Ziel dieser Maßnahme: ein längerer Atem beim Anheben, auf den gestresste Wechselbrückenfahrer beim Umbrücken angewiesen sind. Wir haben es ausprobiert; die Zusatzkessel bringen genügend Luftvorrat für einen vollen Hub um 190 Millimeter nach oben mit, ohne dass nachgepumpt werden muss. Entsprechend schnell geht das Ganze vonstatten, zudem achtet die Steuerungselektronik penibel darauf, dass der Hub gleichzeitig an allen drei Achsen erfolgt, damit sich das Fahrgestell waagerecht hebt. Druck auf der Antriebsachse Sollte der Luftvorrat, beispielsweise durch das Anheben des Anhängers, doch mal zur Neige gehen, greift ein spezielles Überstromventil ein. Dieses sorgt dafür, dass erst mal nur zwei der 36-Liter-Kessel befüllt werden, damit der Hub möglichst schnell weiter geht - Zeit ist eben Geld, vor allem im BDF-Geschäft. In dem wird bekanntlich nur selten bis ans Gewichtslimit von 40 Tonnen gefahren, schließlich arbeitet das Paketgeschäft eher volumenorientiert. Traktionsprobleme an der Antriebsachse sind vor allem in der dunklen Jahreszeit nicht selten die Folge. Dem zu begegnen, stellt DAF die Steuerung der Luftbälge so ein, dass zunächst möglichst viel Druck auf der Antriebsachse lastet. Erst wenn die sich ihrem Limit von 11,5 Tonnen nähert, nimmt ihr die Nachlaufachse zunehmend Last ab. Neben dem verbesserten Grip bei allen Wetterlagen hebt DAF auch einen geringeren Reifenverschleiß als Vorteil dieser Maßnahme hervor. Kommen wir zum SDG-Aufbau. Der HV120KT Multi kann auch dank seiner Höhenverstellung um 120 Millimeter verschiedenste Brückenarten von 7150 bis 7820 Millimeter Länge aufnehmen. Kurze 7,15er-Behälter rücken mittels eines verstellbaren Frontanschlages etwas nach hinten, für die längeren Brücken wird dieser Anschlag heruntergeklappt die dadurch direkt hinter die XG+-Kabine rücken, was die Aerodynamik entsprechend verbessert. Eine Frage des Geschmacks ist der Griff zu Keilen oder Rollen, um die Behälter beim Aufbrücken in die richtige Position zu rücken. SDG Modultechnik kann hier selbstredend beides liefern, das Testfahrzeug selbst ist mit Keilen ausgerüstet, inklusive einer optionalen Teleskopschwinge im Heckbereich, die ein Verkeilen beim Aufbrücken vereiteln soll. Neues "Heavy-Duty"-Heck Bleiben wir gleich hinten und blicken auf weitere clevere Entwicklungen aus dem Hause SDG. Da wäre zum einen die Schnittstelle vom Fahrgestell zum Anhänger, die der Hersteller über leicht austauschbare Steckverbindungen gelöst hat. Gleich dahinter das serienmäßige "Heavy-Duty"-Heck, an dem die Arbeitsscheinwerfer und die Rückfahrkamera bestens geschützt eingelassen sind. Zusätzlich achteten die Entwickler darauf, dass sich auf Höhe der Anhängekupplung keine Luft- und Lichtanschlüsse befinden. So drohen bei scharfer Kurvenfahrt keine Beschädigungen von der Anhängerdeichsel. Besonders stolz ist SDG zudem auf den vierfach und dank Gasdruckfederunterstützung leicht verstellbaren Unterfahrschutz, der bei allen Behältergrößen die geltenden Unterfahrschutzvorschriften erfüllt. Praxiskenntnis beweisen die Bielefelder auch bei den abnehmbaren Spritzschutzen der Hinterräder. Müssen diese bei tiefgeladenen Brücken runter, finden sie in einer entsprechenden Halterung zwischen den Rahmenträgern Platz. Ein Detail, das man sich auch bei normalen Sattelzugmaschinen wünschen würde. Technische Daten Motor Sechszylinder-Reihenmotor (Paccar MX-13),Common-Rail-Einspritzung, Single-Turbolader, 4 Ventile pro Zylinder, Euro 6e mit SCR-Kat, AGR, Partikelfilter; Hubraum: 12.900 cm³Leistung: 483 PS (355 kW) bei 1600/min maximales Drehmoment: 2350 Nm bei 900-1400/min, im 12. Gang: 2500 Nm bei 900-1125/min Getriebe automatisiertes Schaltgetriebe „ZF-Traxon“ Range- und Splitgruppe, 12 Vorwärtsgänge, 2 Rückwärtsgänge,Hinterachsübersetzung: i=2,05 Maße und Gewichte Radstand: 5050 mm, hinterer Überhang: 1720 mm,Länge (Fahrgestell): 10.880 mm,Leergewicht Testfahrzeug (inkl. 600 l Diesel,75 l AdBlue): 10.400 kg Achsen 1. Achse: Typ 161 N; 8,0 t; 2-Balg-Luftfederung2. Achse: Typ SR 1344; 11,5 t; 4-Balg-Luftfederung3. Achse: 8,0 t; 2-Balg-Luftfederung Aufbau Hersteller: SDG ModultechnikTyp: BDF-Aufbau HV 120 KT „Multi“Abstellhöhe: 1120-1320 mm, höhenverstellbar um 120 mmBehälter: C 7150, C 7450, C 7630, C 7820 max. Eckhöhe (beladen): ca. 2880 mm Niedrigste Drehzahlen Im direkten Vergleich zu denen fällt einmal mehr der gehobene Fahrkomfort eines Gliederzuges auf, obwohl sich DAF beim Testfahrzeug für eine mechanische Fahrerhausfederung entschied. Auch mit der langen 2,05er-Hinterachsübersetzung, durch die bei Tempo 85 lediglich 940 Touren anliegen, kommt der 480 PS starke MX-13-Sechszylinder gut zurecht - zumindest bei einem Gesamtgewicht von knapp über 32 Tonnen wie bei der Testfuhre. Die lange Achse sollte an Bord sein, denn sie ist zusammen mit den A-gelabelten Energiesparreifen und dem digitalen Spiegelersatzsystem eine der Grundvoraussetzungen, dass der BDF-Zug in der besten Mautklasse 3 eingestuft wird. Noch ein Wort zu den Kameras: Es erfordert Übung, bis man mit denen zentimetergenau unter einem aufzubrückenden Behälter steht. Die Tatsache, dass sich der Bildausschnitt per Knopfdruck weiter nach unten stellen lässt, erweist sich aber als große Hilfe. Was uns dagegen weniger gut gefällt, sind die vergleichsweise hohen Lenkkräfte, die der DAF von seinem Fahrpersonal einfordert. Anders als bei den meisten Konkurrenten wird die DAF-Lenkung nämlich weiterhin nicht von einem Elektromotor unterstützt. Sicher nur eine Frage der Zeit, bis DAF hier nachlegen dürfte. Das wäre dann das berühmte letzte i-Tüpfelchen bei einem gut durchdachten BDF-Fahrzeug.