Mercedes-Benz Actros 1845 im Lkw-Test der VerkehrsRundschau

Wie die Zeit verrinnt! Als der Autor dieser Zeilen sich im Kindesalter für Lastwagen zu interessieren begann, waren 450 PS das Nonplusultra für einen europäischen Schwer-Lkw. Und jetzt, knapp 35 Jahre später, sind wir uns nicht mehr sicher, ob die Leistung eines Actros 1845 für 40 Tonnen überhaupt noch ausreicht. Bevor wir uns dieser Frage widmen, klären wir aber zunächst die Fakten: Angetrieben wird der Mercedes-Benz Actros L 1845 StreamSpace von einem OM-471-Reihensechszylinder mit 449 PS und im Peak 2400 Newtonmeter Drehmoment. Der Motor wie auch das hauseigene, automatisierte Schaltgetriebe "Powershift 3" erhielten im vergangenen Jahr ein lang ersehntes Update. Das soll wettmachen, dass Daimlers Triebstrang zuletzt gegenüber manchen Konkurrenten zurückstecken musste - zumindest in Sachen Fahrbarkeit. Mitunter wurden die Fahrstufen ruppig gewechselt, die Kupplungssteuerung präsentierte sich wenig feinfühlig und produzierte beim Anfahren und Rangieren oft ein unkomfortables Rucken. Kritik, der man in Wörth am Rhein nun mit "Powershift 3 Advanced" begegnet ist - und das durchaus wirkungsvoll. Anfahren gelingt mit der überarbeiteten Schaltung jetzt in jeder Situation butterweich. Und weil Mercedes-Benz im gleichen Zug auch die Fahrpedal-Parametrierung verändert hat - mit einer spürbar sensibleren Dosierbarkeit im unteren Pedalweg als Folge - gelingen Rangiermanöver ungleich feinfühliger. Test mit Referenz-Lkw Unser Volvo FH 460 I-Save mit Curtainsider von Schmitz Cargobull sorgt für vergleichbare Testergebnisse. Dafür wurde die VR-Testrunde unter guten Bedingungen abgefahren. Liegen die Verbrauchswerte des Referenz-Lkw am Test-Tag über oder unter diesem Wert, ist klar, dass das Testfahrzeug schlechtere oder bessere Bedingungen hatte, was sich entsprechend zurückrechnen lässt. Technische Daten Motor Sechszylinder-Reihenmotor (OM 471), Common-Rail-Einspritzung, zwei oben liegende Nockenwellen, einstufiger Turbolader; Euro 6 mit SCR-Kat., AGR, Partikelfilter, Hubraum: 12.809 cm3, Leistung: 449 PS (330 kW) bei 1600/min, max. Drehm.: 2200 Nm bei 1100/min, Gang 7-12 im Standardmodus: 2400 Nm Kraftübertragung Automatisiertes Schaltgetriebe "Powershift 3 Advanced" (G 281-12), unsynchronisiertes Dreigang-Grundgetriebe, Range- u. Splitgruppe, 12 Vorwärtsgänge, 4 Rückwärtsgänge, Hinterachsübersetzung: i = 2,412; elektro-pneumatisch betätigte Einscheiben-Trockenkupplung Fahrwerk HA: 13,0-t-Hypoidachse; Vierbalg-Luftfederung mit Querstabilisator, VA: gekröpfte 7,5-t-Lenkachse, Zweiblatt-Parabelfederung, Stabilisator Bremsen Zweikreis-Druckluft-Bremsanlage, Scheibenbremsen, "High-Performance"-Motorbremse: 425 kW bei 2300/min Maße & Gewichte Radstand: 3700 mm; L x B x H: 5858 x 2482 x 3942 mm; Leergewicht: 7370 kg (ohne Fahrer), inkl. 400 l Diesel, 60 l AdBlue Schnellere Gangwechsel Im oberen Pedalweg, also dann, wenn der Gasfuß Power einfordert, haben die Ingenieure den Fokus auf ein direkteres Ansprechverhalten gelegt, was der Dynamik des Sterne-Lkw in jedem Fall guttut. Hier helfen gleichermaßen die schnelleren Fahrstufen-Wechsel, die laut den Daimler-Verantwortlichen um bis zu 40 Prozent beschleunigt wurden - was den Actros auch in diesem Bereich wieder auf Wettbewerbsniveau hebt. Kommen wir zum Motor: Reduzierte innermotorische Reibungen, neue Kolbenmulden mit überarbeiteter Geometrie, Einspritzdüsen in neuem Design und der ebenfalls neue, hauseigene einstufige Turbolader, sollen die Effizienz des OM 471 merklich steigern. Zumindest auf dem Papier bleibt ein Nachteil gegenüber den Aggregaten anderer Hersteller allerdings erhalten: Das maximale Drehmoment von 2200 Newtonmetern liegt weiterhin bei 1100 Umdrehungen an - und damit deutlich später als bei den Reihensechsern von Scania, Volvo/Renault, MAN, Iveco oder DAF. In der Praxis, also an den ersten Steigungen unserer Testrunde, zeigt sich aber: Rettete sich der Daimler-Motor an solchen bislang spätestens bei besagten 1100/min in eine Rückschaltung, beweist der OM 471 der jüngsten Generation Ausdauer. In Verbindung mit der längsten lieferbaren Hinterachsübersetzung (i=2,412) liegen bei Reisetempo 85 km/h knapp 1100 Touren an. An Bergen wandert die digital dargestellte Nadel des Drehzahlmessers dann sogar in den Bereich unterhalb von 950 Touren. Das geschieht meist, wenn der, bei Mercedes-Benz PPC (Predictive Power-Train Control) genannte und wie immer souverän agierende GPS-Tempomat erkennt, dass er sich mit dem Ausflug in den Drehzahl-Keller eine spritkostende Rückschaltung sparen kann. Der Sechszylinder macht solche Manöver problemlos mit, bei der Vorgänger-Generation wären sie undenkbar gewesen. Weitere steigungsbedingte Rückschaltungen würden unserer Meinung nach das "Angasen" vor Steigungen einsparen, um möglichst viel Schwung mit in den Berg zu nehmen. Diese Funktion ist in der Steuerungselektronik des Actros zwar hinterlegt, sie macht aber auffällig selten Gebrauch davon. Verbräuche und Geschwindigkeiten: 342,8-km-Teststrecke l/100 km km/h _ Autobahn medium (40 t) A 9 Allershausen - A 93 Regensburg 24,05 83,84 _ Autobahn hügelig (40 t) A 3 Regensburg - Nürnberg 26,52 82,76 _ Autobahn Rolletappe (40 t) A 9 Nürnberg - Langenbruck 25,02 82,66 _ Landstraße (40 t) Langenbruck - Dasing 22,92 61,56 _ Autobahn leicht (40 t) A 8 Dasing - A 99 Unterschleißheim 26,72 83,52 Durchschnitt (gewichtet) : 25,03 79,02 Verbrauch AdBlue: Verbrauch: 1,54 l/km (6,2 % vom Dieselverbrauch); AdBlue anteilig mit 44 % ins Verbrauchsergebnis eingerechnet Eco-Modus wird empfohlen Dagegen zu jeder Zeit aktiv: die Drehmoment-Erhöhung. Letztere bot der 450er zwar auch schon vorher; sie steht nun aber in den Fahrstufen 7 bis 12 zur Verfügung und gibt 200 Newtonmeter mehr Drehmoment frei - womit sich dann 2400 Nm dem Berg entgegenstellen. Oder eben auch nicht. Was der Fall ist, wenn man - wie wir bei unserer Testfahrt - den Fokus auf möglichst geringen Dieseldurst legt und brav den "A-Economy"-Modus über den Knopf am rechten Lenkstock-Hebel aktiviert. In diesem Modus bleibt in Sachen Drehmoment-Erhöhung - bei Mercedes-Benz "Top-Torque" genannt - alles beim Alten. Das heißt, nur im zwölften Gang werden die 2400 Nm geboten. Trotzdem sei der Eco-Modus der richtige, erklären die Mercedes-Leute nachdrücklich. Sie empfehlen "Power auf Knopfdruck" - beispielsweise beim Auffahren auf die Autobahn. Damit ist gemeint, kurzzeitig per Fingertipp in den "Standard"-Modus zu wechseln, um die 200 Nm mehr ab dem siebten Gang nutzen zu können. Bei unserer Fahrt über die Testrunde haben wir diesen Trick nicht angewendet und sind mit der Kraftentfaltung des 1845 dennoch zufrieden. Und das, obwohl wir ausnahmsweise unseren auf 32 Tonnen ausgeladenen Fliegl-Curtainsider auf die Sattelplatte genommen haben, der sonst Testfahrzeugen mit mehr als 500 PS vorbehalten bleibt. Das Gefühl von Untermotorisierung kommt im Actros L 1845 aber auch mit vollen 40 Tonnen nicht auf, weshalb man ihm solche Aufgaben ab und an getrost zumuten darf. Zumal an der Tankstelle keine böse Überraschung wartet. Mit durchschnittlich 25 l/100 km zieht der Mercedes-Benz unseren Trailer über die Testrunde und erreicht dabei ein passables Tempo von knapp über 79 km/h. 450 PS für 40 Tonnen - das geht also auch heute noch! Bewertung MB Actros L 1845 Motor/Antrieb (max. 140) 122 Getriebe/Kupplung (max. 140) 120 Bremsen (max. 120) 106 Lenkung (max. 40) 34 Pedale (max. 20) 16 Fahrverhalten (max. 60) 54 Sicht (max. 50) 46 Klima/Lüftung (max. 50) 40 Sitze (max. 40) 32 Armaturen/Instrumente (max. 50) 40 Scheibenwischer (max. 30) 24 Fahrerhaus (max. 240) 206 Gesamtwertung (max. 980) 840 Testurteil + ebener Kabinenboden in dieser Fahrerhaus-Klasse längst nicht selbstverständlich, gute Verarbeitung, niedriger Kraftstoffverbrauch bei akzeptablen Fahrleistungen - vergleichsweise hoher Einstieg über fünf Stufen, unübersichtliches und teilweise kompliziertes Bedienkonzept, "fummelige" Lenkrad-Tasten Fazit Ausreichende Kräfte Der 1845 bleibt das Brot-und-Butter-Angebot der Vernunft im Actros-Programm. Überschaubare Kosten und ein niedriger Kraftstoffverbrauch treffen auf ausreichende Fahrleistungen. Dabei hilft auch das Triebstrang-Update. Dadurch holt der Lkw aus Würth am Rhein wieder zu seinen Wettbewerbern auf - ohne allerdings einen neuen Maßstab zu setzen. Jan Burgdorf, Test-Redakteurjan.burgdorf@tecvia.com

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