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Manipulierte Lkw, Fahrer ohne Führerschein: „Das sind tickende Zeitbomben“

28.05.2025 13:30 Uhr | Lesezeit: 8 min
Zwei Polizisten an der Grenzkontrollstelle der Bundespolizei an der A 93 bei Kiefersfelden (Bayern) kontrollieren einen Lkw.
Zwei Polizisten an der Grenzkontrollstelle der Bundespolizei an der A 93 bei Kiefersfelden (Bayern) kontrollieren einen Lkw.
© Foto: picture alliance / dpa | Matthias Balk

Technisch manipulierte Lkw-Flotten, Gehälter weit unter Mindestlohn, Fahrer ohne Führerschein oder Fahrererbescheinigung – im deutschen Straßengüterverkehr kämpft längst nicht jeder mit fairen Mitteln. Die Polizei spricht von „organisiertem Vorgehen“.

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Recherchen der VerkehrsRundschau zufolge scheinen einige Konkurrenten auf deutschen Straßen nach eigenen Gesetzen zu fahren. „Das sind tickende Zeitbomben auf deutschen Autobahnen“, sagt ein Branchen-Insider aus Köln. Es geht um Speditionen oder Logistiker, die ihre Lkw flottenweit technisch so manipulieren, dass sie Aufträge mit weniger Pausen und mehr PS erledigen. Für sie ist das bares Geld, für gesetzestreue Unternehmer ein echter Wettbewerbs-Nachteil. In den Lkw sitzen oft Fahrer, die zwischen fünf und 10 Euro Lohn pro Stunde verdienen – und die haben oftmals nicht mal einen Führerschein.

Berlin-Lichterfelde: Erst Unfall, dann Fahrerflucht

Berlin-Lichterfelde. 29. April 2025. 2:30 Uhr nachts. Ein Lkw erweckt Verdacht. Die Streife will den Fahrer in der Straße „Unter den Eichen“ stoppen, weil er Schlangenlinien fährt und stellt sich ihm in den Weg. Statt anzuhalten, gibt der Mann Gas. Fährt über das Heck des Polizeiwagens und sucht das Weite. Die Heckscheibe zerspringt, doch die Beamten setzen in dem demolierten Wagen zur Verfolgung an. Kurz vor der Auffahrt „Sachsendamm“ erwischen Sie ihn. Die Kontrolle ergibt: Der Fahrer hat weder Führerschein noch eine Aufenthaltsgenehmigung, berichtet die Polizeidirektion Berlin Süd. Das Fachkommissariat für Verkehrsdelikte der Polizeidirektion 4 (Süd) will aus Ermittlungstaktischen Gründen dazu keine weiteren Auskünfte erteilen. Im vergangenen Jahr gab es allein in Berlin 5595 Unfälle mit Lkw über 3,5 Tonnen, 570 Lkw-Fahrer sind von der Unfallstelle geflüchtet, rechnet Anja Dierschke, stellvertretende Pressesprecherin der Berliner Polizei vor. Das heißt: Jeder zehnte Lkw-Fahrer in Berlin begeht Fahrerflucht.

Osteuropäische Billiglohn-Fahrer: Ein Kölner Personaldienstleister berichtet

Der Kölner Personaldienstleister Andreas Schindler erhält regelmäßig Angebote osteuropäischer Firmen mit Billiglohn-Angeboten osteuropäischer Firmen, die ihm Lkw-Fahrer zu absoluten Dumping-Preisen anbieten. Oft besäßen diese Arbeiter gefälschte Papiere oder dürften sich in Deutschland gar nicht aufhalten. Und doch fahren sie täglich für Speditionen und Logistiker auf deutschen Straßen. „Diese Lkw sind tickende Zeitbomben auf deutschen Autobahnen“, sagt er. Der VerkehrsRundschau liegen Rahmenverträge vor, die die dubiosen Angebote bestätigen. Schindler selbst vermittelt regelmäßig legal und über dem gesetzlichen Mindestlohn Fahrer an Speditionen.

Brennpunkt Feucht bei Nürnberg: Regelmäßige Verstöße auf deutschen Autobahnen

Brennpunkt Feucht bei Nürnberg: Die Verkehrspolizeiinspektion kontrolliert hier Teile der A3, die A6, die A7 und A9. Oberkommissar Andre Munker (41) bestätigt aus seiner persönlichen Praxis regelmäßige Verstöße. „Bei 30 kontrollierten Lkw haben wir zehn mit erheblichen Delikten in dieser Richtung, das heißt: falsche Papiere oder keinen gültigen Führerschein, oder keine Fahrerbescheinigung.“ Die Fahrerbescheinigung braucht der Fahrer als Drittstaatler, um in der EU arbeiten zu dürfen. „Aber es ist ja logisch“, fährt Munker fort, „wenn ich keinen Mindestlohn zahle, kann ich auch keine Fahrerbescheinigung beantragen.“

Polizeioberkommisar Munkert kontrolliert einen Lkw
Oberkommissar Andre Munker (41): „Bei 30 kontrollierten Lkw haben wir zehn mit erheblichen Delikten in dieser Richtung, das heißt: falsche Papiere oder keinen gültigen Führerschein, oder keine Fahrerbescheinigung.“
© Foto: Verkehrspolizeiinspektion Feucht

Oberkommissar Andre Munker: „Diese Fahrer kämpfen ums Überleben“

Gerade in der vergangenen Nacht hat der Oberkommissar so einen Fall erlebt. „Wir haben einen türkischen Fahrer in einem rumänisch-österreichischen Lkw angehalten und zunächst festgestellt, dass er 55 Stunden am Stück gefahren ist mit insgesamt vier Stunden Pause zwischendurch. Er ist dann während der Vernehmung mehrmals eingeschlafen.“ Bei der Kontrolle stellte sich heraus, dass auch er keine Fahrerbescheinigung für die EU besaß. „Er verliert somit sein Touristenprivileg, weil er hier Arbeit aufgenommen hat. Die Polizei kassiert in dieser Nacht vom ihm 1000 Euro Sicherheitsleistung, von seinem Arbeitgeber 10.000 Euro. „Denn das ist das Mindeste, was als Strafe auf die beiden zukommt“, so Munker. Die Weiterfahrt mit dem Pkw wurde ihm in dieser Nacht natürlich untersagt, weil er völlig übermüdet war.

Im Grunde hat Munker mit diesen Menschen Mitleid. „Die kämpfen auch nur ums Überleben“, sagt er. Verantwortlich seien zum Teil „Schleuser“ aus dem Ausland und natürlich Arbeitgeber, die die Not dieser Menschen ausnutzten. „Ich kenne Fälle, da wird der Fahrer vom Arbeitgeber gefeuert, wenn er sich kontrollieren lässt.“ Ihm gehen diese persönlichen Schicksale nahe. „Es geht ja auch um die Folgekosten. Stellen Sie sich vor, der Fahrer hat hier einen schweren Unfall und keine Krankenversicherung. Der liegt dann hier im Krankenhaus. Die Firma sagt im Zweifelsfall: den kennen wir gar nicht.“ So würden immer wieder Fahrer in Deutschland „stranden“ – gesundheitlich geschädigt, kein Geld für die Rückfahrt in die Heimat.

Polizeidirektor Stefan Pfeiffer: Organisiertes Vorgehen und technische Manipulationen

„Organisiertes Vorgehen, das bestätige ich so“, sagt Polizeidirektor Stefan Pfeiffer, Dienststellenleiter in Feucht. „Wenn eine ganze Fahrzeugflotte technisch manipuliert ist, können die Gewinne schnell im fünf- oder sechsstelligen Bereich landen.“ Und hier ginge es nicht um deutsche Speditionen. Er weiß, dass die Hintermänner aus dem EU-Ausland die Lkw-Fahrer anweisen, seinen Dienststellenbereich weiträumig zu umfahren. Zu oft wurden sie dort erwischt. Denn Pfeiffer hat hier zwei Schwerverkehrstrupps aufgebaut, die Tag und Nacht kontrollieren. Vor allem die Nachtkontrollen seien deutschland- und europaweit außergewöhnlich und Teil seines Erfolgs. Im ersten Jahr des Bestehens haben Pfeiffers Trupps über 1 Million Euro Sicherheitsleistungen von Fahrern und Speditionen kassiert. Das hat sich rumgesprochen. Den entsprechenden Podcast mit Stefan Pfeiffer hören Sie hier:

Polizeidirektor über manipulierte Fahrzeugflotten und Fahrer unter Mindestlohn

Polizeidirektor Stefan Pfeiffer, Polizei-Dienststellenleiter in Feucht, vor seinem Polizeiwagen
Polizeidirektor Stefan Pfeiffer, Dienststellenleiter in Feucht. „Wenn eine ganze Fahrzeugflotte technisch manipuliert ist, können die Gewinne schnell im fünf- oder sechsstelligen Bereich landen.“
© Foto: Polizeidirektion Feucht

Gefälschte Fahrerkarten und Tachomanipulationen: Eine neue Entwicklung

Das Hinwegtäuschen über die Identitäten, gefälschte Fahrerkarten - „das ist eine Entwicklung, die neu ist“, sagt Pfeiffer. Neben der Beschäftigung illegaler Fahrer, ginge es häufig um Delikte wie Tachomanipulationen, bei denen das digitale Kontrollgerät im Getriebe beeinflusst wird, um die Lenkzeiten zu schönen. „Manche ziehen auch die Sicherung vom digitalen Kontrollgerät. Dann werden alle anderen Kontrollsysteme auch ausgeschaltet. In dem Moment kann man die volle PS-Zahl ausnutzen.“ Abgesehen davon, dass diese Fahrzeuge dann viel zu schnell unterwegs sind, funktionieren auch digitale Assistenten nicht mehr. Eine reelle Gefahr für den Straßenverkehr. Pfeiffer hat in seinen 17 Dienstjahren bei der Autobahnpolizei über 130 Verkehrstote erlebt, zu oft waren Lkw beteiligt.

Preiskrieg unter Anbietern: Die Verlierer des harten Wettbewerbs

Der Grund für die rapide Zunahme liegt für ihn auf der Hand: „Hier herrscht ein beinharter Preiskrieg unter den Anbietern.“ Verlierer seien die Unternehmen, die sich an die Regeln hielten und ihr Personal ordentlich bezahlten. Auch er spürt genau wie Munker Mitleid mit den Fahrern, die üblicherweise die Leidtragenden des Geschäfts seien. Dann wird er deutlich. Der Druck, der auf den Fahrern laste, sei riesig. „Wir finden Fahrer, die sich in der eigenen Fahrerkabine erhängt haben.“ Diese Fahrer seien Einzelgänger und völlig austauschbar. Wer nicht bereit dazu sei, werde nicht mehr gebraucht.

Einsame Fahrer: Leben im Führerhaus

Manche Fahrer haben keinerlei Kontakt, wohnen über Monate nur im eigenen Führerhaus. Essen, schlafen, fahren. Alles an einem Ort. Relativ oft käme es vor, dass gesundheitliche Probleme, die im häuslichen Umfeld noch rechtzeitig bemerkt und von anderen verhindert werden könnten, zum Tod führen, weil einfach niemand in der Nähe ist, der helfen könnte. Unbehandelte Herzinfarkte wären keine Seltenheit.

Übermäßiger Alkoholkonsum am Wochenende

Dazu käme der übermäßige Alkoholkonsum. „Was willst du am Wochenende auch machen, wenn Du auf dem Rastplatz wohnst.“ Pfeiffers Trupp wird dann oft präventiv tätig. Wenn sein Trupp nach dem wochenendlichen Fahrverbot abends um 22 Uhr Abfahrtkontrollen macht, können manchmal über 10 Fahrer pro Rastplatz den Motor sofort wieder abstellen, weil die Promillegrenze deutlich überschritten ist. „Aber das machen wir präventiv und schützen diese Menschen ja auch vor sich selbst.“

Scheinselbstständigkeit und illegale Arbeitnehmerüberlassung

Die Generalzolldirektion in Bonn bestätigt der VerkehrsRundschau gegenüber, dass „der Einsatz von scheinselbstständigen Fahrern sowie illegale Arbeitnehmerüberlassung“ in Deutschland festgestellt würden. Nicole Thomsen vom Hauptzollamt Münster warnt allgemein Unternehmen vor einer „neuen Masche zur Verschleierung von illegalem Aufenthalt“. „Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in Deutschland nicht arbeiten dürfen, weisen sich in Münster zunehmend mit geliehenen Ausweisdokumenten aus, um nicht aufzufallen“, so Thomsen, „allein in Münster traf der Zoll in den vergangenen zwölf Monaten 13 Personen bei der Arbeit an, die sich mit einem fremden Pass auszuweisen versuchten“. Theresa Dropmann, Leiterin der für illegale Beschäftigung zuständigen Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Hauptzollamts Münster: "Neu ist für uns, dass sie uns zunehmend echte Ausweisdokumente vorzeigen - nur eben nicht ihre eigenen." Es käme sogar dazu, dass zwar jemand persönlich zum Einstellungsgespräch erschiene inklusive Ausweis, später aber eine völlig andere Person die Arbeit verrichte.

„Die Dinger sind gefälscht, das ist lebensgefährlich“

Personaldienstleister Schindler bestätigt das. „Bei mir bewerben sich Fahrer aus Indien, Marokko, Dubai und Kasachstan, mit perfekt auf Deutsch geschriebenen Bewerbungen“, erzählt der Personaldienstleister. „Da muss jemand dahinterstecken, der das organisiert und abwickelt.“ Denn teilweise besäßen diese Bewerber zum Beispiel einen ADR-Schulungsschein für Gefahrgutfahrer. Dieser Test muss in deutscher Sprache bestanden werden, wenn man Gefahrgut in Deutschland transportieren möchte. „Wenn die vor mir stehen, sprechen die kein Wort Deutsch“, wundert sich Schindler. „Die Dinger sind gefälscht, das ist lebensgefährlich, solche Menschen ans Steuer zu setzen.“

Mangel an qualifizierten Fahrern: Ein wachsendes Problem

Ein Ende dieser Praxis scheint nicht absehbar. Einsparungen durch viel zu niedrige Löhne sind sicher eine Motivation, illegale Fahrer zu beschäftigen. Doch legale Fahrer zu finden, wird in Zukunft nicht einfacher. 39 Prozent der Fahrer sind über 55 Jahre alt und gehen damit aufs Rentenalter zu. Jährlich fehlen in Deutschland etwa 40.000 bis 60.000 Lkw-Fahrer. Die Nachfrage nach qualifizierten Fahrern steigt schneller als die Zahl der Berufseinsteiger.

Reformbedarf im Führerscheinrecht und der Berufskraftfahrerqualifikation

Erst kürzlich hatte Benjamin Sokolovic, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes Verkehrsgewerbe Niedersachsen (GVN), auf dieses Dilemma hingewiesen. Er forderte eine Reform beim Berufszugang, insbesondere beim Führerscheinrecht und der Berufskraftfahrerqualifikation. „Eine Hürde sind unter anderem die hohen Kosten für den Erwerb des Führerscheins. Was in Deutschland mit 14.500 Euro zu Buche schlägt, kostet in Österreich lediglich 3.500 Euro. Lassen Sie uns dieses Thema gerne gemeinsam angehen und Lösungen finden“, so sein Appell an Niedersachsens Wirtschaftsminister Grant Hendrik Tonne (SPD).

Organisierte Kriminalität und die Herausforderungen für die Polizei

Polizeidirektor Pfeiffer kennt noch einen anderen Grund, warum das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht ist: „Das Problem ist, der Verfolgungsdruck ist nicht besonders hoch. Die organisierte Kriminalität rüstet ganze Flotten hoch mit immer neuen Tricks – die Polizei müsste hochrüsten mit Spezialisten. Das ist ein Paradigmenwechsel.“

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KOMMENTARE

Birger Bahlo

28.05.2025 - 14:49 Uhr

Tiefe Recherche, sachlicher Ton und die saubere Trennung zwischen der ehrlichen Berufswelt und den Hasardeuren und Betrügern. Starkes Stück- im doppelten Sinn.


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