Logistikketten unter Stress

Halbleiter, die nicht verfügbar sind. Rohstoffe wie Holz, die plötzlich extrem knapp sind. Die andauernde Corona-Krise, die dazu führt, dass große Terminals wie das im Hafen Nangbo - immerhin drittgrößter Containerhafen der Welt - im August für mehrere Tage schließen. Ausgebuchte Stellplätze auf Containerschiffen. Und nicht zu vergessen: fehlende Lkw-Fahrer, die zu knappen Lkw-Kapazitäten führen. Die Lage in Großbritannien sehen viele als einen Vorgeschmack an für das, was auch in Europa auf die Wirtschaft zukommen könnte. Die Lieferketten stehen derzeit unter immensem Druck - und die Lage wird immer brisanter. Die Dienstleister versuchen zu flicken, wo es geht. Aber zaubern können auch sie nicht. Konsequenzen sind unvermeidbar. Das prominenteste Beispiel ist derzeit die Autoindustrie, die unter Chipmangel leidet. Konkrete Zahlen nennt da niemand. Doch Pkw-Hersteller müssen ihre Produktion wegen fehlender Teile stoppen. Betroffen ist auch die Volkswagen-Nutzfahrzeugtochter Traton, die für das dritte Quartal mit deutlich schwächeren Verkäufen als geplant rechnet. Alle Marken der Gruppe, von MAN über Scania bis Navistar, leiden nach Unternehmensangaben darunter. Noch bis ins kommende Jahr rechnet Traton mit Engpässen. "In den weltweiten Lieferketten mangelt es derzeit nicht nur an Halbleitern, es fehlen auch zahlreiche weitere Produkte", sagt Traton-Chef Matthias Gründler. Wirtschaftswachstum sinkt 2021 Lieferengpässe beschäftigen aber auch immer mehr andere Branchen. Mit der Folge, dass das Wirtschaftswachstum in Deutschland 2021 geringer ausfällt als prognostiziert. Laut dem Ifo-Institut sollen es statt 3,3 Prozent jetzt nur noch 2,5 Prozent werden. "Derzeit schrumpft die Produktion der Industrie als Folge von Lieferengpässen bei wichtigen Vorprodukten. Gleichzeitig erholen sich die Dienstleister kräftig von der Corona-Krise. Die Konjunktur ist gespalten", sagt Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser. Die globalen Lieferketten würden als Folge stark veränderter Warenströme vor enorme logistische Herausforderungen gestellt. Diese Herausforderungen bereiten vielen Logistikdienstleistern Kopfzerbrechen. Die Spedition Elflein gehört dazu. Das Unternehmen ist auf die Automobilindustrie fokussiert. Aktuell beliefern 250 Lkw deutschland- und europaweit die Werke der Automobilbauer und -zulieferer. "Die fehlenden Halbleiter treffen alle - sowohl die OEMs als auch in der Folge die Zulieferer", sagt Rüdiger Elflein, geschäftsführender Gesellschafter der Spedition. "Als Logistikdienstleister haben wir im Moment kaum Planungssicherheit. Wir können die eine Woche auf Hochlast fahren und die nächste Woche Kurzarbeit für unsere Fahrer anmelden", beschreibt er stellvertretend für andere Automobillogistiker die momentane Herausforderung. Kommt es wegen fehlender Teile zu Produktionsausfällen in den Werken - und das kommt derzeit häufig vor -, bedeutet das erhebliche Transportausfälle. "Teilweise werden Touren einen Tag bis eine Woche vorher abgesagt, teilweise auch erst am Vortag-Nachmittag." Diese Lkw ließen sich so kurzfristig nicht für andere Touren nutzen, sagt Elflein, weil die Fahrzeuge mit Waren für die Automobilwerke beladen seien oder es sich um Spezialfahrzeuge handele. Bis zu 60 oder gar 70 Lkw kommen oft zum Stehen - von jetzt auf gleich. Ob ihm seine Kunden diese Mehrkosten bezahlen werden, weiß der Unternehmer noch nicht. "Wir stehen dazu in Gesprächen. Im Moment geht für uns alle aber das Tagesgeschäft vor. Jeder bemüht sich nach Kräften, dass die Werke weiterlaufen", sagt er. Unabhängig davon hält er fest: "Unsere Produktivität im Automobilbereich leidet im Moment enorm." Entspannen dürfte sich diese Situation auch in den kommenden Monaten nicht. "Frühestens Ende des ersten Quartals 2022 rechnen wir mit einer Besserung der Lage", sagt Elflein. So lange muss er versuchen, seine Lkw-Fahrer zu halten - notfalls über volle Bezahlung, auch in Zeiten, wenn alles steht. "Wir brauchen ja unsere Fahrer - spätestens dann, wenn hoffentlich sehr bald alle Produktionswerke wieder auf Hochlast fahren." Das geht nicht nur ihm so, sondern auch vielen seiner Branchenkollegen. Elflein befürchtet deshalb, dass der Fahrerengpass in der Transportbranche durch die momentane Situation in und für die Automobilindustrie nochmals verstärkt wird. Die Folge könnte dann sein, dass die Versorgungssicherheit früher oder später nicht mehr gewährleistet werden kann. Elflein fordert faire Kostenübernahme Und was würde ihm und seinen Branchenkollegen helfen? Entscheidend für Elflein ist hier die gelebte Partnerschaft in der gesamten Lieferkette, was eine faire Kostenübernahme durch die Auftraggeber in einer solchen außergewöhnlichen Situation einschließt. "Andernfalls fehlen uns nach dieser Krise nicht nur die Lkw-Fahrer, sondern auch die Frachtführer, weil diese in andere Branchen abwandern. Und die sind dann definitiv für die Automobilbranche verloren", warnt der Branchenkenner. "Ein Hochlauf der Automobilindustrie ist dann nach dieser Krise nicht mehr gewährleistet." Und er spreche hier, betont Elflein, für viele mittelständische Transport- und Speditionsbetriebe, die für die Automobilindustrie tätig sind. Wie sehr die Materialengpässe die Abläufe in der Autoindustrie beeinträchtigen, weiß Automobillogistik-Experte Professor Stefan Iskan von der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen: "Der Automobilindustrie geht es aktuell um das nackte Überleben", so seine Einschätzung. Ein baldiges Ende ist nicht in Sicht: "Die Halbleiter-Krise wird sich mindestens bis Sommer 2022 hineinziehen", warnt Iskan. Denn die Halbleiter-/Chipkrise hat mehrere Ursachen. Zum einen die Corona-Pandemie, zum anderen sei die Halbleiterproduktion für andere Industriezweige jenseits der Automobilindustrie umgestellt worden. Gleichzeitig seien in den Weltmärkten Produktionskapazitäten weggefallen. Für die Kontraktlogistiker heiße das Auslastungsprobleme und Kurzarbeit und für die Inbound-Transportlogistiker extrem volatile Netze. "Von völliger Überlastung jenseits der 100-Prozent-Auslastung bis zur Absage von Routen ist hier alles dabei", sagt Iskan. Mit der Folge, dass für alle Beteiligten - vom Produzenten über den Zulieferer bis hin zum Logistikdienstleister - die Kosten steigen und die Ergebnisse gehörig unter Druck geraten. Doch nicht nur in der Autoindustrie stehen die Logistikketten unter Druck. Auch in der Chemieindustrie läuft es nicht rund. "Alle Verkehrsträger sind stark betroffen", sagt Andreas Esslinger, Director Sales & Business Development der Hoyer Group. Fragt man jedoch in der Chemieindustrie nach, ist dort zwar von "zeitweiligen" Lieferengpässen die Rede. Von einer Krise ist dort allerdings nichts zu hören (siehe Kasten Seite 28). Entweder, um nicht die Kunden zu beunruhigen oder weil die Logistikdienstleister die Defizite so gut es geht abfedern und so gar nicht im tatsächlichen Ausmaß in der Industrie ankommen. Neue Beschaffungsstrategien Auch in der Logistik anderer Branchen knirscht es. Das bleibt nicht ohne Folgen, wie aus einer aktuellen Studie des Ifo-Instituts zu internationalen Wertschöpfungsketten hervorgeht. Dort wurden 5000 Unternehmen unter anderem zu ihrer Beschaffungsstrategie befragt. Demnach planen mit 41 Prozent die meisten Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe eine Änderung ihrer Beschaffungsstrategie. "Für die allermeisten Akteure ist keine Rückverlagerung nach Deutschland oder Europa geplant, was man vielleicht hätte erwarten können. Sondern sie wollen eine stärkere Diversifizierung, um so nicht von einem Anbieter oder einer Region abhängig zu sein", sagt Lisandra Flach, Leiterin des Ifo-Zentrums für Außenwirtschaft (ein Interview mit ihr finden Sie online, Details siehe Kasten). Dass es aber nicht nur bei den globalen Logistikketten zu Engpässen kommt, sondern auch bei europäischen und nationalen Transporten, zeigen die Zahlen der global tätigen Logistikplattform Transporeon. Die Ablehnungsquote der Dienstleister für Anfragen der Verlader bei Deutschlandverkehren lag in den letzten drei Monaten bei acht Prozent. Vor Corona betrug dieser Wert nur zwei bis drei Prozent. "In der Corona-Krise haben die Dienstleister Einheiten aus dem Fuhrpark genommen. Jetzt steigt die Nachfrage, trifft aber auf ein geringeres Angebot, sodass es zu Engpässen und Preissteigerungen im Spot-Markt kommt", sagt Oliver Kahrs, Senior Manager Central Accounts & Partner Management bei Transporeon. Warum stocken die Dienstleister ihre Kapazitäten nicht auf? "Wenn das so einfach wäre", sagt Kahrs. Denn wegen der Engpässe in der Nutzfahrzeugindustrie gäbe es lange Lieferzeiten bis zu zwölf Monate. Dann müssten auch Lkw-Fahrer verfügbar sein. Beide Engpässe ließen sich nicht sofort beheben. Weshalb Kahrs davon ausgeht: "Es wird noch dauern, bis sich das weiter zurechtruckelt." Mehr zum Thema finden Sie unter #SupplyChain www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Es fehlen Halbleiter, es fehlen Rohstoffe. Es fehlen Stellplätze auf Containerschiffen. Und wegen der Corona-Pandemie schließen Produktionsstätten wie Schuhfabriken in Vietnam. Chaos in der Logistik? Nein, aber derzeit knirscht es in den Logistikketten gewaltig. Die Auswirkungen sind auch in Deutschland spürbar. Auch die Chemieindustrie kämpft mit Lieferengpässen Fragt man in der Chemieindustrie nach, ob es Engpässe in der Lieferkette gibt, dann fallen die Aussagen eher zurückhaltend aus. Verständlich, will doch keiner gerne zugeben, dass er Lieferprobleme hat. "In einigen Wertschöpfungsketten kann es durch die anziehende Konjunktur und die Knappheiten von Transportkapazitäten zu zeitweiligen Lieferengpässen kommen", teilt BASF der VerkehrsRundschau mit. "Nach wie vor ist auch bei Lanxess die Situation bei der Beschaffung von Rohstoffen angespannt", sagt zwar Marcel Beermann, Leiter globale Beschaffung und Logistik bei der Lanxess AG. Aber nur in sehr wenigen Ausnahmen hätte Lanxess das gewünschte Produkt nicht bekommen. Und bei Covestro Deutschland heißt es:"Derzeit verzeichnen wir keine besonderen Engpässe."Um die Lieferketten robuster zu machen, will BASF in den Märkten produzieren, in denen die Kunden aktiv sind. Zudem sollen die geografische Diversifizierung des Lieferantenportfolios, die Optimierung der Rohstoffbestände und mehr Transparenz in der Lieferkette zur Risikominderung beitragen. Bei Lanxess setzt man einerseits auf ein Multisourcing"und wenn möglich lokales Sourcing von Rohstoffen und Energie an unseren weltweiten Standorten". Laut Hoyer sind derzeit alle Verkehrsträger überlastetGanz andere Aussagen kommen von einem der größten Chemielogistiker in Deutschland. Andreas Essinger, Director Sales & Business Development der Hoyer Group, berichtet von Engpässen:"Terminals sind durch hohes Transportvolumen überlastet. Alle Verkehrsträger sind stark betroffen." Der temporäre Stau im Suez-Kanal und lokale Lockdowns würden zu extrem angespannten Lieferketten führen. Doch dass die Auftraggeber ihre Beschaffungsstrategie ändern, sei nur vereinzelt erkennbar. Aber:"Die Kundschaft plant mit mehr Lagerungsmöglichkeiten", hat Essinger festgestellt. Eine detaillierte Beschreibung der Lage mit Statements der Akteure finden Sie unter www.verkehrsrundschau.de/plus/Chemielogistik cd Statement Bundesverband Wirtschaft, Verkehr und Logistik (BWVL): Hauptgeschäftsführer Markus Olligschläger Just-in-time versus Just-in-case Egal, ob Halbleiter in der Automobilindustrie oder fehlende Ersatzteile für den Rasenmäher: Die Lieferschwierigkeiten haben Handel, Industrie und Logistikdienstleister auf breiter Front erreicht. Positiv ist dabei nur, dass die Bedeutung funktionierender Lieferketten auch in der breiten Öffentlichkeit ins Bewusstsein getragen wird. Die Covid-19-Pandemie führt – verglichen mit Fukushima oder dem isländischen Vulkan Eyjafjallajökul – in eine neue Risikodimension; sie wirkt als Katalysator für bestehende Risiken: Naturkatastrophen, geopolitische Risiken, Fachkräfte-mangel, Infrastrukturdefizite und Klimawandel sind längst (Kann-)Bruchstellen international immer enger verzahnter Wertschöpfungsketten. Multiple Sourcing, Dieselpreis-Hedging und anderes helfen als Vermeidungsstrategien jedoch nur bedingt, wenn sich die Risiken gegenseitig potenzieren und nicht nur vorübergehender Natur sind. Neben dem Ausbau der Sicherheits-bestände wird reflexartig eine Rückverlagerung von Produktionslinien nach Europa diskutiert. Sinnvoll erscheint dies, wenn es um Schlüsseltechnologien geht, etwa bei der Entwicklung und Produktion von Mikrochips. Politische Versäumnisse bei der Bekämpfung auch vom BWVL lang angekündigter Gefahren (zum Beispiel beim Fahrermangel) lassen sich nach Meinung des BWVL nur durch einen politischen Kraft-akt der nächsten Bundesregierung zugunsten der Transport-und Logistikbranche mildern. So weit wie in Großbritannien darf es hier nicht kommen. Auch gegen zunehmenden Protektionismus– etwa bei Halbleitern oder Rohstoffen – ist aus Sicht des BWVL die zukünftige Bundesregierung gefordert, etwa durch Handelsabkommen mit China, Südamerika oder Kanada. Die Idee der EU-Kommission, globale Gateway-Partnerschaften einzurichten, gehört hierher. Mehr unter: www.bwvl.de

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