Langsamer Fortschritt

Vor zwei Jahren herrschte Aufbruchsstimmung: Die European Truck Platooning Challenge mit einer Sternfahrt nach Amsterdam im Frühjahr 2016 zeigte erstmals in Großformat, zu was die neue Zukunftstechnik bei Lkw in der Lage sein kann. Mit Daimler, MAN, DAF, Iveco, Volvo und Scania nahmen fast alle großen europäischen Hersteller an dem Event teil. Die Euphorie ergriff danach nicht nur die damalige IAA Nutzfahrzeuge, sondern auch die Politik. In Deutschland genauso wie bei der Europäischen Union. Drahtloses Internet für alle Lkw Die EU-Kommission veröffentlichte kurz nach der Sternfahrt im Juli 2016 eine Strategie, in der sie darlegt, wie sie die Entwicklung des automatisierten Fahrens in Europa vorantreiben will. Für Lkw sieht diese Strategie die Einführung des automatisierten Fahrens auf Autobahnen - ausdrücklich wird hier das Platooning als Beispiel genannt - und den Beginn der Nutzung von langsam fahrenden, automatisierten Lkw in Städten im Verlauf der 2020er-Jahre vor. Ab 2022 sollen alle neu zugelassenen Lkw die Möglichkeit haben, sich mit drahtlosem Internet zu verbinden. In den 2030er Jahren sollen dann die weiteren Schritte hin zum vollständigen autonomen Fahren von Lkw stattfinden. Nach der Veröffentlichung dieser Strategie ließ die EU-Kommission weitere Vorschläge zur harmonisierten Einführung automatisierter Systeme für Lkw folgen. Programme zur Förderung der neuen Techniken wurden genauso mit Finanzmitteln ausgestattet wie Arbeitsgruppen gegründet, in denen sich zurzeit regelmäßig Vertreter verschiedener Mitgliedstaaten treffen, um sich über die Fortschritte im Bereich des automatisierten und autonomen Fahrens auszutauschen. Deutsche Vertreter sind in diesen Gruppen stets dabei. Schon 2015 hatte die Bundesregierung die "Strategie automatisiertes und vernetztes Fahren - Leitanbieter bleiben, Leitmarkt werden, Regelbetrieb einleiten" verabschiedet. Seitdem arbeitet sie an deren Umsetzung. Zentral ist das am 21. Juni 2017 in Kraft getretene deutsche Gesetz zum automatisierten Fahren. "Als erster Staat der Welt hat Deutschland die Rechte und Pflichten der Fahrzeugführenden bei der Nutzung automatisierter Fahrfunktionen geregelt", heißt es wörtlich. Eine Maßnahme, die die Güterverkehrsbranche begrüßt. "Die rechtlichen Grundlagen für hochautomatisiertes und voll automatisiertes Fahren im öffentlichen Straßenverkehr sind geschaffen", sagt diesbezüglich Lea Metzler, Referentin beim Bundesverband Wirtschaft, Verkehr und Logistik (BWVL). Deutschland nehme dadurch eine Vorreiterrolle ein. "Jetzt muss die Wirtschaft nachziehen", erklärt Metzler. Bisherige Maßnahmen reichen nicht Dass die bislang getroffenen gesetzlichen Maßnahmen aber noch längst nicht reichen, um autonom fahrende Lkw im Regelverkehr auf die Straßen zu bringen, sieht sie genauso wie MAN-Sprecher Martin Böckelmann. "Die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen hinsichtlich Zulassungs- und Verhaltensrecht für autonomes Fahren im öffentlichen Straßenverkehr müssen noch erlassen werden", sagt er. Momentan nämlich müsse der Fahrer immer noch die Kontrolle über das Fahrzeug haben. Er sei verantwortlich. Auf dieser Basis würde aber das autonome Fahren nicht funktionieren. "Das heißt, das Gesetz muss dahingehend geändert werden, dass der Fahrer die Verantwortung an das System abtreten kann beziehungsweise darf." Diese Änderungen würden zwar derzeit diskutiert, seien aber noch lange nicht vollzogen. "Deshalb ist autonomes Fahren heute weder in Deutschland noch in der EU möglich", bilanziert Böckelmann. Wegen dieser noch unfertigen Rechtslage lässt sich MAN aber nicht davon abhalten, die Entwicklung voranzutreiben. Zusammen mit DB Schenker wurde jetzt erst im Sommer nach monatelangen Vorbereitungen das zurzeit einzige Lkw-Großprojekt im öffentlichen Raum für den Bereich automatisiertes und autonomes Fahren in Deutschland gestartet: "Als weltweit erster Logistikanbieter hat DB Schenker gemeinsam mit seinen Kooperationspartnern MAN Truck & Bus und der Hochschule Fresenius heute zwei digital vernetzte Lkw in den Praxiseinsatz geschickt", teilte DB Schenker am 26. Juni mit. Auf der A 9 zwischen München und Nürnberg fährt seitdem dieser Platooning-Konvoi auf einer Strecke von 145 Kilometer Länge. Seit August auch mit Ladung für reale Lieferungen. Bei der Einweihung war auch Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) anwesend. Der Bund unterstützt den Versuch mit rund zwei Millionen Euro. MAN und Daimler treiben Trend voran Die vielen anderen Praxis-Projekte zum automatisierten Fahren, die von öffentlicher Hand zurzeit finanziell gefördert werden, beziehen sich dagegen alle auf Pkw oder Busse. Für Lkw haben aber sowohl MAN als auch Daimler, laut des Verbands der Automobilindustrie (VDA) der zweite führende deutsche Lkw-Hersteller in diesem Bereich, auf eigene Rechnung und mit privaten Partnern die Technologie vorangetrieben. Mit der konzerneigenen Remote-Truck-Interface-Technik ließ Daimler zum Beispiel im Oktober 2017 automatisierte und fahrerlose Mercedes-Benz Arcos als Schneeräumfahrzeuge auf dem Gelände des ehemaligen Fliegerhorsts Pferdsfeld in Zusammenarbeit mit Fraport fahren. Weltweit gehört Daimler zu den Pionieren der Automatisierung von Lkw-Fahrten (siehe Kasten). Für die IAA Nutzfahrzeuge 2018 kündigt Sprecherin Uta Leitner die Präsentation neuer technischer Fortschritte an. "Bis Lkw wirklich vollautonom fahren können, ist es technologisch noch ein weiter Weg", räumt Leitner ein. Das sieht der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) genauso. Er verweist auf eine Einschätzung der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt). Sie geht davon aus, dass das hochautomatisierte Fahren frühestens ab 2030 und das autonome Fahren frühestens ab 2050 im Straßenverkehr Einzug halten wird. "In der Praxis bedeutet das ein schrittweises Vorgehen, damit Innovationen etabliert und perfektioniert werden können", teilt der BGL mit. Beim diesjährigen Branchentreff in Hannover ist die Euphorie deshalb etwas gedämpfter. Mehr zum Thema unter Autonomes Fahren Lkw www.verkehrsrundschau.de/dossiers Internationaler Vergleich USA schneller als DeutschlandLaut der Bundesregierung gehört Deutschland zu den Vorreitern bei der Entwicklung des autonomen und automatisierten Fahrens von Lkw. Weltmarktführer scheinen jedoch zurzeit die USA zu sein. Im Oktober 2017 führte der Start-up-Hersteller Otto mit einer Lieferung von fast 52.000 Bierdosen den angeblich weltweit ersten Gütertransport mit einem autonom fahrenden Lkw durch. Nur wenig später folgten die Start-ups Embark, Starsky Robotics und der Elektro-Pionier Tesla, aber auch Daimler und Volvo mit dem Einsatz von autonom fahrenden Lkw im Güter-Realverkehr, teils im Platooning. Mehrere US-Bundesstaaten wie Florida, Nevada, Michigan oder Arizona haben ihre Gesetzgebung mittlerweile so gestaltet, dass umfassende Einsätze von automatisierten Lkw möglich sind.In Japan laufen derzeit zwei Platooning-Tests auf jeweils 15 Kilometer langen Autobahnstrecken. Toyota über seine Lkw-Sparte Hino und Daimler mit Fuso sind daran beteiligt. In Singapur kündigten Toyota und Scania Ende 2017 einen gemeinsamen Platooning-Test an. Auf dem europäischen Kontinent soll Ende des Jahres ein zweijähriger Platooning-Test im Realverkehr in Großbritannien starten. Partner ist hier DAF. Daneben ist Schweden ein führendes Land. Volvo setzt seit Ende 2016 selbstfahrende Lkw in einer Mine in Nordschweden ein. Im Mai 2017 startete Volvo dort den Einsatz von autonom fahrenden Müllautos.In Schweden ist auch der Start-up-Hersteller Enride beheimatet, der zwei autonom fahrende Lkw mit 20 und 26 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht entwickelt hat. Über Partnerschaften mit unter anderem Lidl und DB Schenker will Enride ab Ende 2018 autonom fahrende Lkw auf die Straßen bringen. DB Schenker ist in Schweden außerdem noch nach eigenen Angaben in einem Multi-Brand-Projekt mit Volvo und Scania aktiv. kw