Kontrollunterschiede

KontrollunterschiedeAnvisieren mit AugenmaßZurrgurt, Antirutschmatte oder besser beides? Das Bundesamt für Güterverkehr, die Polizei und die Gewerbeaufsicht sind sich in puncto Ladungssicherheit nicht immer so ganz einig. Kontrollunterschiede verunsichern Fahrer und Unternehmer.Oktober 2011: Ein Papiertransport auf seinem Weg nach Berlin. Bei einer technischen Unterwegskontrolle mit Ladungscheck wird ein Lastkraftwagen von Beamten ohne Beanstandung durchgewunken, rund 25 Kilometer später ziehen Kollegen einer anderen Kontrollbehörde dasselbe Fahrzeug aus dem Straßenverkehr. Der Grund für die Stilllegung: Mängel an der Ladungssicherung.Dieses Szenario hat sich so tatsächlich ereignet und ist in Sachen Absurdität gewiss eine Ausnahme. Dennoch verdeutlicht das Beispiel, wie unterschiedlich die Experteneinschätzungen von Bundesamt für Güterverkehr (BAG), Polizei oder Gewerbeaufsicht in der Kontrollpraxis mitunter ausfallen können. Öffentlich eingestehen will das freilich niemand. Auch die betroffene Spedition möchte anonym bleiben. Zu hoch ist der Wettbewerbsdruck, zu groß die Angst vor den Folgen. Wer sich zu weit aus dem Fenster lehnt, reserviere sich dadurch womöglich einen Stammplatz bei den nächsten Straßenkontrollen, munkelt man hinter vorgehaltener Hand. Solche Stopps kosten nicht nur viel Zeit, sondern auch Geld. Mit Kosten von 4000 bis 5000 Euro muss ein Transporteur rechnen, wenn eine Kontrollbehörde die Weiterfahrt untersagt.Richtlinien fehlt mitunter Praxisbezug„Natürlich gibt es in Deutschland hier und da Schwierigkeiten, aus allgemein formulierten Richtlinien die praxisorientierten Regeln ableiten zu können“, erklärt Holger Lemmer vom Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste in Nordrhein-Westfalen. Dass die Kontrollinstanzen der Bundesländer und das BAG unterschiedliche Maßstäbe anlegen, kann der Polizeihauptkommissar allerdings nicht bestätigen. Laut Lemmer bemühen sich seine Kollegen im Außendienst, möglichst praxisnah zu bewerten: „Bei polizeilichen Kontrollen geht es nicht um ein Dekanewton zu wenig, sondern darum, dass tonnenschwere Ladung mitunter gar nicht gesichert ist.“Probleme bereite Kontrolleuren derzeit die Erkennung von Ladungssicherungsfehlern beim Transport sogenannter Big-Bags mit Schüttgutfüllung, erklärt Lemmer. „Das ist ein Transportgut, das sich nicht nach dem herkömmlichen Zurr- oder Formschlussverfahren beurteilen lässt und die entsprechende Richtlinie dafür liegt noch nicht vor.“ Das sei aber nicht nur in Deutschland der Fall, sondern in ganz Europa. Die Big-Bags würden niedergezurrt und sogar frei stehend transportiert, wodurch sie verrutschen können. Das wiederum gefährde die Verkehrssicherheit, so der Hauptkommissar. „Deshalb wünsche ich mir, dass hierfür eine Richtlinie mit praxisnahen Anweisungen möglichst zeitnah in Kraft tritt.“Qualität ist eine Frage der RoutineTrotz hoher Kontrollstandards und immer strengerer Rechtsgrundlagen bleibt ein Unsicherheitsfaktor bei der Ladungssicherung: der Mensch. Betroffen sind Verlader, Fahrer und Halter, aber auch Prüfer. „Die Qualität der Kontrolle steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ausbildung und der Erfahrung der Kontrollbeamten“, sagt Werner Andres, Leiter des Ausschusses für Verkehrssicherheit und Umweltschutz im Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL).Das unter Transporteuren verbreitete Vorurteil, Polizeibeamte seien häufig Paragrafenreiter, die Mitarbeiter des BAG besser geschult und nachsichtiger, lässt er nicht gelten. Der vom Gesetzgeber bewusst eingeräumte Ermessensspielraum erlaube es den Mitarbeitern aller Kontrollorgane, auf den jeweiligen Einzelfall flexibel zu reagieren und dürfe nicht mit Willkür verwechselt werden, mahnt der Experte.Die technisch anerkannten Regelungen zur Ladungssicherung ergeben sich aus den VDI-Richtlinien 2700 ff. und den einschlägigen DIN-EN-Normen. Das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) kontrolliert diese maßgeblichen Vorschriften eigenen Angaben zufolge nach einem einheitlichen Berechnungsprogramm. „Die Beladungsregeln können naturgemäß nicht jede einzelne Ladesituation detailgenau beschreiben, sodass es immer auf den Einzelfall unter Ausübung des ordnungsgemäßen Ermessens ankommt“, erklärt Horst Roitsch. Von abweichenden Ergebnissen bei der Beurteilung von Ladungssicherung durch andere Kontrollbehörden weiß der Pressesprecher nach eigenem Bekunden nichts.Dennoch wird das BAG damit gelegentlich konfrontiert. Um unterschiedliche Beanstandungen des gleichen Tatbestands bei aufeinanderfolgenden Kontrollen zu vermeiden, nehmen neue BAG-Beamte während der 18-monatigen Einarbeitungsphase an einem Grund- sowie einem Aufbauseminar zum Thema Ladungssicherung teil. Die Schulungen dauern jeweils zwei Tage. Ergänzend dazu finden regelmäßig Weiterbildungen statt. Die Polizei in Nordrhein-Westfalen schult ihre Kontrollbeamten pro Jahr in drei Modulen von je einer Woche.Um Doppelkontrollen zu vermeiden, geben BAG und Polizei nach Straßenchecks eine Bescheinigung an die Fahrer aus. Eventuelle Verstöße sind darauf vermerkt und bei weiteren Zwangsunterbrechungen am selben Tag für andere Prüfer ersichtlich.Doch trotz Schulung und Dokumentation herrsche bei BAG, Polizei und Gewerbeaufsicht noch gelegentlich Uneinigkeit bei der Begutachtung der Ladefläche, sagt Andres. Zum Beispiel, wenn die Ladungssicherung auf keiner Verladeempfehlung oder -anweisung beruhe. Für Diskussionsstoff sorgten unter anderem Stückguttransporte mit Teilentladungen und die Ladungssicherung von Weichverpackungen.Mit Kanonen auf Spatzen schießenUwe Schöbel von Dolezych sieht nicht nur Nachholbedarf bei Aus- und Weiterbildung der Beamten, sondern auch bei der Abstimmung der Kontrollbehörden. „Es darf nicht sein, dass man identische Ladungssicherungsmängel in zwei Bundesländern unterschiedlich ahndet“, sagt der Chefentwickler des Ladungssicherungstechnikanbieters.Mitunter kommt es vor, dass Transporteure einzelne Regionen umfahren, um nicht bestimmten Kontrolleuren in die Arme zu rollen. Als besonders penibel gelten zum Beispiel der Gefahrguttrupp von der Verkehrspolizeiinspektion Verkehrsüberwachung in München und die Schwerlastgruppe der Autobahnpolizei Münster.„Selbstverständlich sollten die Kontrolleure darauf achten, dass die Vorgaben der VDI-Richtlinie 2700 ff. eingehalten werden“, räumt Siegfried Serrahn ein. Gleichwohl findet der Geschäftsführer von Serrahn Spedition und Logistik die eine oder andere Beanstandung überzogen: „Manchmal wird bei den Kontrollen der Ladungssicherung mit Kanonen auf Spatzen geschossen, hier wäre etwas mehr Augenmaß bei den Kontrolleuren wünschenswert.“Werner Andres nimmt die Beamten hingegen in Schutz: „Die Aus- und Weiterbildung auf dem Feld der Ladungssicherung hat in den letzten Jahren aufgrund vielfältiger Anstrengungen – auch der gewerbeeigenen Bildungswerke und der Straßenverkehrsgenossenschaften – große Fortschritte gemacht“, sagt der BGL-Experte. Von einseitigen Schuldzuweisungen hält er wenig. „Es ist wichtig, dass die Fahrer, Halter, Verlader und Kontrolleure bei der Ladungssicherung an einem Strang ziehen, ansonsten leidet die Transportqualität darunter und es hakt in der Lieferkette.“ ❙❚■ André GießeBöse Zungen behaupten, Beamte der Autobahnpolizei legen bei Ladungssicherungskontrollen je nach Bundesland unterschiedliche Maßstäbe anKontrollunterschiede„Genau prüfen, aber nicht kleinlich!“Stephan Bode leitet die Schwerlastgruppe der Autobahnpolizei in Münster und weiß, dass Kontrolle nicht gleich Kontrolle ist.Die Schwerlastgruppe Münster gilt als recht kleinlich. Was meinen Sie dazu?Stephan Bode: Wir halten uns bei unseren Kontrollen an die anerkannten Regeln der Technik. Wir sind also nicht kleinlich, sondern setzen lediglich unsere Fachkenntnisse um. Da sehe ich letztlich keinen großen Spielraum, Freibriefe zu geben.Haben Sie schon von Fahrern gehört, die Umwege in Kauf nehmen, nur, um Ihren Kontrollen zu entgehen?Wir wissen, dass es Fahrer gibt, die Alternativrouten fahren. Wir setzen uns dann aber mit den Kollegen in Verbindung, bei denen diese Fahrer vorbeikommen oder wählen selbst andere Standorte. Wer ordentlich gesichert hat und sich an die anerkannten Regeln und Gesetze hält, braucht sich vor uns nicht zu fürchten.Sie sagen aber doch selbst, dass Sie mit den Kenntnissen Ihrer Kollegen auch nicht immer zufrieden sind?Tatsächlich haben wir in gemeinsamen Kontrollen schon öfter negative Erlebnisse gehabt. Eigentlich dürfte es aber keine Abweichungen bei den Kontrollergebnissen geben. Meist fehlt es einfach an der Erfahrung der Kollegen. ggInterviewStephanBode

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