Knatsch in der

Knackpunkt: Wer von den Beteiligten in der Versorgungskette zahlt das Palettenmanagement? "Die Welt wird weiterhin Europaletten sehen"Jens Hoffmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik in Dortmund, untersucht Palettensysteme auf ihre Wirtschaftlichkeit. Auch die der Europalette.Wie gehen Sie vor, um ein Palettensystem wirtschaftlich zu bewerten?Jens Hoffmann: Wir denken in Prozessen, verfolgen einen ganzheitlichen Ansatz. Jedes Ereignis in der Versorgungskette schauen wir uns genau an, um alle Effekte darstellen zu können, die wir für die monetäre Beurteilung benötigen.Welche Effekte wirken bei der Europalette?Vor allem Schäden und Verluste, die durch Palettenbruch und Bestandsschwund entstehen. Hinzu kommt, dass sich der Rohstoff Holz auf hohem Preisniveau befindet. Die Umlaufgeschwindigkeit und der Bestandsanteil im Kreislauf spielen eine Rolle, genauso wie die Erfassung. Erfolgt die Administration, das Verbuchen von Ein- und Ausgang, auf Papier oder übernimmt das eine Software. Diese erfasst entweder individuell oder mengenmäßig. Wenn ich diese Dinge im Griff habe, kann ich ordentlich wirtschaften.… und trotzdem steht der Ausstieg aus dem Europalettenpool zur Debatte …Warum? Weil die Kosten des Palettentausches nicht verursachungsgerecht verteilt sind. Aus der Verladerperspektive sieht das natürlich gut aus. Die Spediteure hingegen wollen, dass die Kosten beide Seiten schultern.Wie viel Kosten laufen für eine Europalette pro Umlauf auf? Wir haben circa zwei bis vier Euro ermittelt. Zudem lässt sich quantifizieren, dass je Umlauf 20 Prozent der eingesetzten Europaletten beschädigt werden. Alle Schäden verlangen aber nicht zwangsläufig eine Reparatur.Wo liegen die Vor- und Nachteile des offe-nen Palettenpools? Die Vorteile liegen in der unternehmens-, branchen- und länderübergreifenden Tauschbarkeit. Jeder kann sich am System beteiligen. Der Europalettenpool hat sich über Jahrzehnte entwickelt und als System bewährt. Andererseits ist die Qualität der Europaletten ein teilweise großes Problem, da sich keiner direkt verantwortlich fühlt. Zudem ist die Kostentransparenz nicht gegeben. Kommt es zum Ausstieg oder zu einer Schweizer Gebührenlösung?Die Frage entscheidet der Markt. Einfluss können die Speditionsverbände ausüben, indem sie geschlossen auftreten. Ihnen geht es darum, dass der Tausch auf einer transparenten Ebene abläuft. In der Schweiz scheint es so zu sein, dass der Markt die Tauschgebühr akzeptiert. Unabhängig davon, welche Lösung sich hier zu Lande durchsetzt, kann man sagen: Die Welt wird weiterhin Europaletten sehen – neben den Ladehilfsmitteln von Dienstleistern wie Chep. Wahrscheinlich werden sich die Verlader an den Kosten des Palettentauschs beteiligen müssen. kakJens Hoffmann Knatsch in derDreierkiste Speditionen bringen die Ware von der Industrie zum Handel – auf Paletten. Regelungen für einen fairen Palettentausch stehen bloß auf dem Papier. Daran krankt das System. Und die drei Akteure der Lieferkette ziehen sich auf ihre Positionen zurück, denn es geht um Geld.Der Palettentausch läuft. Wer aber nach 10 Uhr zum Sammelplatz für Leerpaletten beim Discounter kommt, vor dem türmt sich bloß schlechte Qualität auf. Und der Zoff beginnt: Der Fahrer will quittiert haben, dass er keine oder zu wenig Ladehilfsmittel bekommt. "Gutscheine stellt natürlich keiner sofort aus. Weil: Das bedeutet Aufwand", schildert ein Spediteur, der ungenannt bleiben möchte, den täglichen Kampf.Wenn es Belege gibt, entspannt sich die Situation nicht. "Es ist unendlich frustrierend. Was nützen einem die Gutscheine, wenn der Empfänger nie gute Paletten hat", wettert der Geschäftsführer des Verkehrsunternehmens. Hat er Pech, häufen seine Angestellten 400 bis 500 gutgeschriebene Paletten an. Im Extremfall summiert sich so bei 100 Fahrern in einigen Monaten ein Millionenbetrag. Nur bei einem seiner Kunden darf der Spediteur seine Miesen verrechnen. Der Versender lässt sich nicht verladenLiefert der Transporteur keine Paletten bei seinem Industriekunden ab, rutscht sein Palettenkonto ins Negative. Irgendwann flattert die Rechnung ins Haus, die auch Reparaturkosten für die gelieferten Paletten enthält. Den Versender auszutricksen, klappt kaum. Er kann die einzelnen Paletten betrachten. Fahrer und Empfänger haben es schwerer, Mängel zu entdecken, steht doch die Ware auf den Ladehilfsmitteln. Auf dem Ausschuss will das Handelslager nicht sitzen bleiben. Deswegen: Zurück in den Kreislauf. Der Zug-um-Zug-Tausch beginnt von vorn.Die Bahnen ebneten den Weg zum PoolDas System des offenen Europalettenpools läuft nicht für jeden gut. Seine Geschichte begann 1961, als sich europäische Bahngesellschaften auf ein Tauschsystem verständigten. Das Einweg-Ladehilfsmittel löste eine Holzpalette ab, die ganz bestimmte Qualitätsnormen (UIC) erfüllen muss. Das Poolprinzip: Der Versender kauft die Europalette, packt seine Ware drauf, lässt diese zum Empfänger transportieren und bekommt von dort Paletten in gleicher Anzahl und vergleichbarer Güte zurück. 1991 gründete sich die EPAL (European Pallet Association), die seitdem die Herstellerkriterien überwacht und Reparaturbetriebe zertifiziert. Als deutsches Nationalkomitee der EPAL tritt die Gütergemeinschaft Paletten e. V. (GPAL) auf.Rund 350 Millionen Europaletten stecken im offenen Pool, wobei in Deutschland 150 Millionen zirkulieren. 2007 kamen 64 Millionen unter EPAL-Lizenz hergestellte dazu. Von Krise könne daher nicht die Rede sein, findet Thomas Ulitzsch, GPAL-Geschäftsführer. Für ihn hapert es woanders: "Viele Verwender wissen nicht, wie man kostengünstig Paletten tauscht. Und es ist gang und gäbe in der Branche, dass Spediteure das Palettenmanagement der Verlader übernehmen, ohne dafür gerecht entlohnt zu werden." In Frankreich, Italien, England und Skandinavien existiert kein Zug-um-Zug-Tausch. Die Schweizer wollen seit diesem Jahr nur noch gegen eine Tauschgebühr transportieren.Verklausulierte Theorie als KompromissDer Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) brachte 2005 den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), den Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) und den Deutschen Speditions- und Logistikverband (DSLV) dazu, den rechtlichen Rahmen für den Palettentausch abzustecken. Ergebnis waren der "Kölner Palettentausch", der den Zug-um-Zug-Tausch regelt, und der "Bonner Palettentausch" als Grundlage für den Tausch mit Rückführungspflicht von der Ent- zur Beladestelle. Beide Klauseln empfahlen die Verbände als Geschäftsbedingungen.Diese Musterklauseln listen die Pflichten der drei Parteien Versender, Transporteur und Empfänger auf. Nur: Der Empfänger taucht im Speditionsvertrag nicht als juristischer Partner auf. Die Folge: Der Frachtführer hat eigentlich keine rechtlichen Ansprüche, um bei der Entladestelle auf Herausgabe der Paletten zu pochen. Das ginge erst, wenn dies im Kaufvertrag zwischen Industrie- und Handelsbetrieb stünde. Unser Spediteur winkt ab: "Das Zug-um-Zug-Tauschen ohne Verrechnung ist eine Idealvorstellung. Es wird sich doch bloß irgendwie durchgemauschelt."Geschlossener Pool steht paratDie Verlader können auf die "weiße" Palette verzichten und auf Blau setzen. So sehen die Ladehilfsmittel von Chep (Commonwealth Handling Equipment Pool) aus. Der Dienstleister betreibt einen geschlossenen Pool und bewegt weltweit derzeit 285 Millionen Paletten und Behälter. Chep gibt an, dass er die Paletten nach dem Bedarf der Kunden anliefert, sein Eigentum wieder einsammelt, kontrolliert und gegebenenfalls repariert. So ließen sich Kosten sparen und die Industrie kann stets hohe Qualität einsetzen.Ehrmann vertraut der Europalette und fällt als Name für beispielhaftes Palettenmanagement. Dort bekommen die Fahrer ihre eigene Etikettenrolle. Palettenkontrollgeräte erfassen die Paletten elektronisch, buchen die schlechten auf dem Fahrerkonto ab. Verschleiß-, Reparatur- und Entsorgungskosten mutet der Hersteller seinem Spediteur anteilsmäßig zu. Im Verkehrsressort des BDI scheint man das Thema Palettentausch seit 2005 aus den Augen verloren zu haben. Deshalb keine Antwort von dort auf die VR-Anfrage zum Palettentausch. Gebührende Entlohnung gefordert Hilft den Spediteuren nur noch der Ausstieg aus dem Europalettenpool? "Verbände können nicht aussteigen. Aussteigen aus dem Palettenpool kann nur der einzelne Unternehmer", betont Adolf Zobel, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des BGL. Er hält den Palettentausch objektiv für eine sinnvolle Geschichte. Aber es stellt sich die entscheidende Frage: Wer trägt die Kosten? Oder anders formuliert: Wer bezahlt die Transporteure für den Palettentausch? Tauschgebühren, um die Situation zu verbessern, empfiehlt der BGL nicht. Das dürften wir im Übrigen gar nicht, so Zobel. Beim DSLV sieht man das anders: 2,60 Euro pro Palette sollten die Sammelgutspediteure an Gebühr verlangen. Die Informationspolitik bei Lidl richtet sich an die Kunden, kam vom Discounter zum Stichwort Palettentausch zurück. Alles was darüber hinausgeht oder Interna betrifft, mache Lidl nicht öffentlich. Edeka konnte sich zu keiner konkreten Aussage durchringen, bestreitet aber nicht die Kostenfrage, die sich stellt. Der DIHK beobachtet das Geschehen. "Das Missliche an Dreiecksbeziehungen ist, dass Verträge immer nur zwischen jeweils zwei Parteien abgeschlossen werden. Tauchen Probleme auf, sitzt in der Regel eine zwischen den Stühlen", schätzt Hildegard Reppelmund, Rechtsexpertin des DIHK, ein. Ob es wie 2005 zu einer Dreierrunde aus Industrie, Transportgewerbe und Handel kommt, die der DIHK moderiert, bleibt offen. Selbst wenn sich alle Protagonisten an einen Tisch setzen und einigen, garantiert das keinen stressfreien Alltag. Das hat das Musterbeispiel Palettenklauseln gezeigt. ❙❚■ Kai Kalbitz, freier Journalist

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