Keine Panik vor der Digitalisierung

Immer größere Containerschiffe ziehen im Hamburger Hafen immer mehr Lkw an. Diese wollen möglichst gleichzeitig die Container abholen. Die Folge sind Staus und lange Wartezeiten. Um das Chaos in den Griff zu bekommen, müssen sich Lkw-Fahrer seit vergangenem Jahr vorab an den Terminals anmelden. Ab Ende November sollen verpflichtende Slotbuchungen die Verkehrssituation weiter entlasten. Das Verfahren ist Baustein der neuen Digitalisierungsstrategie des Hamburger Hafens. Diese Strategie will die HHLA (Hamburger Hafen und Logistik AG) offiziell zwar erst in einigen Wochen vorstellen. Klar ist aber schon jetzt, dass die Prozesse schneller und planbarer werden sollen. Autonomes Fahren auch auf der Elbe Mit dem Versuch, die Informationen entlang der Transportkette mehr zu digitalisieren, steht die HHLA nicht allein: Kombiverkehr plant mit dem Projekt KV 4.0 Entsprechendes für die gesamte intermodale Lieferkette. Die Bundesländer Brandenburg, Hamburg und Sachsen-Anhalt wollen die Binnenschifffahrt auf der Elbe fit für die Zukunft machen. "Für uns ist es wichtig, Güter vom Lkw auf das Binnenschiff zu verlagern. Die Digitalisierung ist dafür ein wichtiger Beitrag", sagte Ines Jesse, Staatssekretärin im Brandenburger Ministerium für Infrastruktur und Landesplanung. So soll eine Echtzeitdarstellung von Schiffspositionen die Planungen verbessern. Zusätzlich soll auf der Elbe ein Testgebiet für autonomes Fahren eingerichtet werden, analog zu der digitalen Teststrecke auf der Autobahn A 9. Und die Bahn-Tochter DB Cargo setzt ebenso auf digitale Buchungs- und Informationsplattformen wie die Reeder. "In großen Teilen der maritimen Wirtschaft hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Digitalisierung nicht vor der Seeschifffahrt haltmachen wird", resümiert Claus Brandt, Leiter des Kompetenzzentrums maritime Wirtschaft bei der Unternehmensberatung PwC. Eine aktuelle PwC-Studie zeigt, dass eine große Mehrheit der Reeder davon ausgeht, dass mittelfristig jeder Reeder seinen Kunden digitalisierte Anwendungen anbieten wird. So könnten Endkunden sich internationale Transporte auf Internetplattformen selbst zusammenstellen und Schiffstransporte über Onlineportale buchen. Im Hinterland treiben die Operateure die digitale Erneuerung voran. Beim Projekt KV 4.0 will der Operateur Kombiverkehr eine Plattform schaffen, auf der alle relevanten Daten den angeschlossenen Unternehmen direkt zugänglich sind. "Es geht um mehr Transparenz", erklärt Projektleiter Christoph Büchner. Bisher gehen viele Informationen noch per Mail oder Telefon an die Beteiligten. So erfahre der Kunde in der Regel erst von der Ankunft seines Containers, wenn der Zug bereits im Terminal sei. Auch die Terminals wüssten erst von der Ankunft eines Lkw, wenn dieser sich am Tor meldet. "Es gibt zu viele Brüche und Informationslücken", sagt Büchner. Kombiverkehr will mehr Transparenz In Zukunft sollen diese Informationen allen Beteiligten jederzeit zur Verfügung stehen. "Im Idealfall sind Spediteure und Terminals immer informiert, wo sich ein Container befindet", so Büchner. Verspätet sich ein Zug, kann ein Spediteur umdisponieren und den Fahrer später losschicken oder eine andere Tour fahren lassen. Und der Spediteur könne seinem Kunden genau sagen, wann er die Waren zum Empfänger fahren werde. Das Projekt startete Anfang September mit acht Partnern, darunter Bahnen, Terminalbetreiber und Speditionen. Die Bahn-Tochter deutsche Umschlaggesellschaft Schiene-Straße (Duss) arbeitet an ähnlichen Abläufen. Disponenten sollen künftig Slots zur Abholung buchen können. Bei der Einfahrt zu den Terminals werden die Lkw automatisch erkannt und zu den richtigen Stationen geleitet. Die Informationen sollen möglichst papierlos auf mobilen Endgeräten verfügbar sein. Warteschlangen in den KV-Terminals sollen damit der Vergangenheit angehören. PwC-Experte Brandt hat keine Bedenken, dass Speditionen und Logistikdienstleister von der Digitalisierung überfordert werden. "Die Unternehmen stellen sich sehr schnell auf die neuen Anforderungen ein", ist er sich sicher. In vielen Bereichen, etwa beim Tracking & Tracing, seien die Logistikunternehmen sogar schon weiter als die Reedereien. Das sieht auch Thomas Schröder vom Verein Hamburger Spediteure (VHSp) so. Die Spediteure würden beim Thema Digitalisierung nicht darauf warten, was die Containerreedereien oder Start-ups vorgeben. Vielmehr hätten sie erkannt, dass die Digitalisierung eine der größten Herausforderungen in den nächsten Jahren sei. Ob das alles den Speditionen nutzt oder eher schadet, ist umstritten. So glaubt zwar laut PwC-Befragung jeder zweite Reeder, dass Speditionen in einem digitalisierten Markt an Bedeutung gewinnen werden. Immerhin jeder Fünfte meint aber, dass Speditionen eher an Bedeutung verlieren werden. Viele Buchungen weiterhin händisch Für den Branchendienst Alphaliner ist der aktuelle Stand der Digitalisierung noch mehr Schein als Sein. Laut seinen Informationen wird immer noch jeder zweite Containertransport händisch, also per Fax oder Telefon, gebucht. Daran habe auch die Einführung der ersten Portale vor fast 20 Jahren nicht wesentlich etwas geändert. Alle Versuche, eine durchgehende digitale Plattform zu schaffen, seien bisher gescheitert. Denn: Die vielen Start-ups konzentrierten sich immer nur auf einen Teilbereich der Supply Chain, bemängelt Alphaliner. Eine Lösung für den gesamten Prozess ist nicht in Sicht. Dabei hätten technische Lösungen durchaus eine Chance, wenn sie den Transportprozess, die Dokumentation, die Informationen und die Geldströme über die gesamte logistische Kette hinweg digitalisieren würden, glauben die Analysten. Auch Schröder vom VHSp ist entspannt. "Nahezu wöchentlich taucht ein Start-up auf und wirbt damit, den Spediteur überflüssig machen zu wollen. Nur weil jemand einen PC und einen Internetzugang hat, erwächst daraus ja nicht zwangsläufig eine effiziente Lieferlogistik." Die Lieferkette umfasse nun mal mehr als nur einzelne Prozesse, die sich digitalisieren ließen. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Apps & Internet www.verkehrsrundschau.de/dossiers Eine Exportplattform, die alles kann Forschungsprojekt EMP: Der digitale Exportprozess Der Softwaredienstleister Dakosy startete im August das Forschungsprojekt EMP - Export Management Plattform 4.0. Eine Cloudlösung soll alle exportbezogenen Informationen an einer Stelle transparent bereitstellen. Damit soll die ganzheitliche Planung, Steuerung, Koordination, Durchführung und Kontrolle der Transportkette vom Versender bis zum Zielhafen erreicht werden. Alle beteiligten Akteure bekommen damit mehr Planungssicherheit und einen transparenten Prozess.EMP 4.0 wird im Rahmen des Förderprogramms für innovative Hafentechnologien (IHATEC) des Bundesverkehrsministeriums gefördert. Koordiniert wird das Projekt von TÜV Rheinland Consulting.Zu den Partnern gehören neben der Dakosy die DB Cargo und Kühne + Nagel, weitere Unternehmen aus den Bereichen Spedition, Carrier und Transportdienstleister sowie einige Branchenverbände. Das Projekt soll bis Ende März 2021 laufen. ah Verbindliche Slots für Containerabholung Hamburgs Hafen wird digital Im Hamburger Hafen müssen Containertrucker und Spediteure Ende November an den Terminals der HHLA (Hamburger Hafen und Logistik AG) und der Eurogate verbindlich Slots für die Abholung der Container buchen. Das System ist eine Weiterentwicklung der Transportvoranmeldung, die es seit November 2016 gibt. Gleichzeitig gilt das System als Beispiel dafür, dass die Prozesse immer weiter digitalisiert werden.Die Einführung sei eine Reaktion auf die großen Containerschiffe, die immer häufiger im Hafen festmachen. Die Schiffe führen zu deutlich mehr Lkw-Ankünften und damit zu Engpässen und Staus im Hafen. Thomas Schröder vom Verein Hamburger Spediteure sieht das System positiv. Bereits jetzt würden über 95 Prozent der Transporteure die Vorbuchung nutzen. Künftig werden die Trucker von den Terminals nach Prüfung ihrer Daten unmittelbar informiert, ob die Angaben in der Voranmeldung richtig sind und die avisierten Container abholbereit sind."Leerfahrten und Fehlfahrten können so vermieden werden", erklärt Schröder. ah