Interview der Woche

Interview der Woche Muss sich die Handelslogistik ändern? Sind die jüngsten Vorwürfe gegen Amazon nur Einzelfälle, oder herrschen in allen Logistikzentren solche Arbeitsbedingungen? Nein, nicht bei allen Händlern finden sich derartige Missstände. Es hängt sehr von der Philosophie und Strategie des Unternehmens ab. Wo aber niedrige Preise als einziges Credo ausgegeben werden, sind Führungskräfte gezwungen, dies in alle Bereiche weiterzugeben, auch in die Logistik. Laut Medien waren im Lager in Koblenz von 3300 Mitarbeitern nur 200 direkt bei Amazon beschäftigt. Ist dies normal? Leiharbeiter und geringfügig Beschäftigte finden sich in jeder Handelslogistik. Nur so lassen sich Spitzenzeiten wie Weihnachten bewältigen. Ein Verhältnis von 200 zu 3300 ist aber schon sehr ungewöhnlich. Ich persönlich habe immer Wert gelegt und empfehle dies auch meinen Beratungskunden, ein Verhältnis von zwei Festangestellten zu einem Zeitarbeiter anzustreben. Nur so können Logistikprozesse sauber laufen. Eine Ausnahme gilt für die Inbetriebnahme eines neuen Lagers. Hier kann über Leiharbeiter die Auswahl für die Festangestellten erfolgen, sodass kurzfristig der Zeitarbeiteranteil sehr hoch ausfallen kann. Dies darf aber kein Dauerzustand sein. Wirken sich die angeprangerten Logistikstrukturen negativ auf den Absatz aus? Ich glaube nicht, dass solche Einzelvorfälle lange in den Köpfen der Konsumenten hängen bleiben, es sei denn, dass weitere negative Presse hinzukommt. Dies ist gerade bei Amazon zu beobachten, wo neben der Leiharbeiterdiskussion auch noch Kritik an der Ausnutzung von Steuerschlupflöchern laut wird. Ist das Unternehmen dauerhaft der öffentlichen Schelte ausgesetzt, dann könnte es zu einem Imageschaden kommen, der sich auch im Umsatz niederschlägt. Muss sich die Handelslogistik aufgrund der Vorfälle ändern, und wenn ja, wie? Aufgrund des Kostendrucks im deutschen Handel sind die Spielräume der Logistikmanager begrenzt. Zum Teil lassen sich personalintensive Kommissionierprozesse automatisieren – weniger Mitarbeiter gleich weniger Probleme. Dies ist aber nur mittelfristig bei größeren Um- und Neubauten von Lagern möglich. Auch ist diese Lösung nicht für alle Produktsortimente praktikabel. Ansonsten bleibt den Unternehmen nur ein vernünftiger, menschlicher Umgang mit Leiharbeitern. Entspannung könnte außerdem eine gesetzlich geregelte gleiche Bezahlung von Fest- und Leiharbeitern bringen. Welche neuen Anforderungen könnten aufgrund der jüngsten Vorfälle auf Logistikdienstleister zukommen? Sicher müssen die Logistikleiter in Industrie und Handel systematischer auf die Arbeitsbedingungen bei ihren Dienstleistern achten. Dies wurde bisher oftmals nur sporadisch gemacht. ❙❚■ Andre Kranke Nachgefragt bei Harald Gerking, geboren 1954 in Bünde, ist Unternehmensberater. Von 1991 bis 2011 war der promovierte Ingenieur als Logistikleiter für Unternehmen wie Baur, Horten, Kaufhof, Keramik Laufen, Woolworth und Hella tätig. um was es geht Kritik an Arbeitsbedingungen Im vergangenen Jahr standen namhafte Unternehmen wie GLS, Hermes oder Zalando am öffentlichen Pranger, vor wenigen Wochen kritisierten die Medien massiv die Arbeitsbedingungen beim Internethändler Amazon. Immer häufiger stehen Logistik- und Handelsbetriebe wegen den Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter im Bereich Logistik in der Kritik. Schlechter Lohn, miserable Behandlung, hoher Leistungsdruck und der Einsatz vieler Leiharbeiter, so die Hauptvorwürfe der Medien. ak

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