Interview: Arvato-Healthcare-Chef zum künftigen Wachstumskurs

Im Juli hat Yusen Logistics die Übernahme der französischen Walden Group angekündigt, die sich wie Ihr Unternehmen auf die Pharmalogistik spezialisiert hat. Was bedeutet der Deal für Arvato Healthcare? Wir können damit gut leben. Zumal Yusen Logistics Group bislang nicht wirklich als ein Wettbewerber von uns aufgetreten ist. Wenn Sie in der Industrie nach den maßgeblichen Logistikunternehmen für die Pharmabranche in Europa fragen, werden stets Arvato, Movianto und Alloga genannt. So gesehen ändert sich nicht viel und ich bin da recht gelassen - wir machen einfach weiter (lacht). Machen Sie Ihren Marktbegleiter nicht ein wenig klein? Zur Walden Group gehört doch auch Movianto - neben Firmen wie Eurotranspharma, Transpharma und Walden Digital. Zudem ist Walden in fast allen großen europäischen Ländern präsent. Das ist richtig. Walden Group und Movianto waren in der Tat immer schon Wettbewerber von uns. Ich gehe zunächst davon aus, dass Yusen das Geschäft so weiter betreiben wird. Ich denke, das erwarten auch die Kunden. Wie wollen Sie jetzt gegen den neuen Mega-Player punkten? Zumal auch andere Logistikgrößen wie DHL, UPS und Geodis stärker in das Pharma- und Healthcare-Geschäft streben. Richtig ist, dass sowohl UPS als auch DHL stark in Übernahmen investieren und stärker kommunizieren - auch mit eigenen neuen Marken. Für uns ändert sich dadurch trotzdem nicht wirklich viel. Denn in erster Instanz zeichnen wir uns als Arvato durch unsere zielkundenspezifische Dienstleistungspalette aus. So bieten wir unseren Kunden Warehousing in Eigenregie, maßgeschneiderte Transportlösungen über langjährige Transport- und Logistikpartnerschaften sowie Order-to-Cash-Management, also Auftragsbearbeitung und Finanzdienstleistungen - von der Rechnungserstellung über das Risikomanagement bis hin zum Debitorenmanagement und der Zahlungsabwicklung. Aktuell sind wird gerade dabei, dieses mit unserer neuen Plattform "Mediverse" zu digitalisieren, über die wir uns mit Apotheken und Krankenhäusern verbinden. Das können nicht viele Logistikdienstleister. Außerdem sind nur wenige Player so stark in Europa präsent wie wir - und zwar mit einem einheitlichen, cloudbasierten IT-System, einem Qualitätsmanagement-System, einem standardisierten Operationsmanagement in allen Lagern und einem international verantwortlichen Kundenmanager mit operativem Durchgriff. Last but not least sind wir als Arvato Healthcare neben Movianto der wesentliche Anbieter, der hochpreisige Spezialpharmazeutika lagert und versendet. Was uns zudem auszeichnet: Wir sind in allen Temperaturzonen aktiv, die es für temperaturgeführte Produkte braucht. Wir können sogar Cryostorage bei minus 196 Grad anbieten, wie es für Zell- und Gentherapien erforderlich ist. Welcher Ihrer Geschäftsbereiche wächst aktuell am stärksten? Das stärkste Umsatzwachstum haben wir aktuell im E-Commerce, mit dem wir rund 20 Prozent unseres Umsatzes erwirtschaften. Der direkte Vertrieb von Pharma- und Medizinprodukten ist stark reguliert und viele Hersteller bauen diesen Kanal gerade erst auf, oft auch mit neuen Produkten. Wir wachsen hier sowohl mit unseren Bestandskunden als auch mit Neukunden, zusammengenommen um einen mittleren zweistelligen Prozentsatz im laufenden Jahr. Trotz dieses enormen Wachstums machen wie aber nach wie vor jeweils 40 Prozent unseres Umsatzes in den B2B-Kanälen für Arzneimittel und Medizintechnik. Wer sind Ihre wichtigsten Kunden? Namen zu nennen ist in unserem Geschäft sehr sensibel. Das wollen Kunden oft nicht. Nur so viel: Einer unserer Top-5-Kunden ist das Unternehmen Olympus. Weitere wichtige Kunden sind japanische und amerikanische Pharma- und Medizintechnikunternehmen. In den letzten drei, vier Jahren haben wir zudem verstärkt Pharmakunden gewonnen, die historisch aus dem großvolumigen Pharmageschäft kommen. Was verändert sich noch derzeit in der Pharmaindustrie? Die großen Pharmaunternehmen haben in den letzten Jahrzehnten ihre Umsätze mit patentgeschützten Medikamenten im mittleren Preissegment erzielt, also Arzneimitteln mit einem zweistelligen Euro-Herstellerabgabepreis. Bei vielen dieser Produkte laufen indes derzeit die Patente aus, sprich sie werden deutlich preisgünstiger und im Wesentlichen durch Generika ersetzt. Für Endkunden ist das positiv. Für Pharmahersteller bedeutet das Erlösrückgänge, die sie natürlich kompensieren wollen. Dadurch steigt zum einen der Preisdruck in der Logistik. Zum anderen kaufen die Pharmahersteller verstärkt Produzenten auf, die im hochpreisigen Specialty-Pharma-Segment aktiv sind, um wieder profitabel zu wachsen. Für Arvato Healthcare birgt dies Risiken, aber auch neue Chancen. Welche sind das? Zu den Risiken gehört, dass wir möglicherweise einen akquirierten kleineren Specialty-Pharma-Kunden verlieren, wenn ein großes Pharmaunternehmen die Logistik in seine Strukturen integriert. Chancen sehe ich darin, die großen Pharmafirmen bei ihrer Transformation vom großvolumigen Hersteller zum Specialty-Pharma-Anbieter in der Logistik zu unterstützen. Das ist sehr gefragt. Wir hatten in den letzten Jahren einen Fall, bei dem das aufkaufende Unternehmen die von uns mitgestalteten Logistikstrukturen und -prozesse der übernommenen Specialty-Pharma-Unternehmen so attraktiv fand, dass sie auch mit ihrem bestehenden Geschäft zu uns wechselten. Das Unternehmen Arvato Healthcare Arvato Healthcare ist nach eigenen Angaben weltweit an 19 Standorten aktiv. Das Unternehmen verfügt über 250.000 Quadratmeter eigene Lagerfläche und arbeitet mit externen Transportpartnern zusammen, die für rund 70 Kunden die Auslieferung in 127 Ländern übernehmen. Der Logistiker bietet Multi-Channel-Lösungen für die Industrien Pharma, MedTech, Lifestyle & Consumer Health, Cell & Gene, Direct-to-patient und High-Value-Produkte. Zudem offeriert Arvato Healthcare temperaturgesteuerte Lagerung und Transporte und verfügt über die Zertifizierungen GDP, GMP, ISO sowie bekannter Versender. Das alles klingt sehr komplex. Verdient Arvato Healthcare noch Geld? Formulieren wir es mal so: Wir erfüllen damit die Vorgaben unseres Shareholders. Das ist bekanntlich Ihr Mutterkonzern Bertelsmann. Und Bertelsmann will Sie jetzt nicht verkaufen? Das müssten Sie Bertelsmann fragen. Aber ich gehe nicht davon aus. Zumal unser Mutterkonzern nach wie vor ordentlich in uns investiert. Zum einen haben wir unseren Healthcare-Standort in Harsewinkel soeben für einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag erweitert. Zudem haben wir bei Arvato Anfang 2025 die zwei neuen Unternehmen ATC Computer Transport & Logistics in Irland und Carbel in den USA gekauft. Und der Appetit ist nach wie vor groß. Wir haben soeben eine neue kleine M&A-Abteilung aufgebaut und dazu einen Experten eingestellt und ein Team zusammengestellt, das sich um dieses Thema kümmert und nach potenziellen Kandidaten Ausschau hält. Übernahmen sind für Arvato Healthcare also durchaus ein Thema. Wie sähe denn Ihr Wunschkandidat aus? Natürlich haben wir uns Movianto angesehen, sind aber bekanntlich nicht zum Zuge gekommen. Aber zu Ihrer Frage: Für uns ist generell in Europa, den USA oder auch weltweit das Geschäftsfeld " Zell- und Gentherapie" attraktiv, in das wir reinwollen. Außerdem halten wir Ausschau nach Unternehmen im Bereich klinische Studien. Beide Geschäftsfelder erfordern eine sehr personalisierte Logistik. Das machen wir zwar heute schon für einige Kunden im Rahmen bestehender Verträge, wir sehen da aber noch ein großes Potenzial. UPS und DHL sind da ja auch unterwegs, aber ich sehe sie da eher im Transport aktiv. Zusätzlich wollen wir uns in den USA verstärken - neben der organischen Wachstumsoption ist auch hier ein Zukauf denkbar. Im Medtech-Bereich sind wir schon in den USA aktiv, und nun liegen uns auch für das Pharmasegment Kundenanfragen vor. Wie viele Mittel stellt Ihnen Ihr Mutterkonzern für Akquisitionen bereit? Da gibt es keine feste Zahl. Das hängt von der Attraktivität des jeweiligen Unternehmens ab. Bertelsmann ist bereit, in seine Wachstumsgeschäfte zu investieren und dazu gehört Arvato und sicher auch das Healthcare-Geschäft von Arvato. In welchem Bereich sehen Sie für Arvato Healthcare in den kommenden Jahren das größte Potenzial? Es gibt da sehr grob unterteilt zwei Ansätze. Autologe Zell- und Gentherapien sind Behandlungsverfahren, bei denen körpereigene Zellen, Gewebe oder Blutbestandteile eines Patienten entnommen, außerhalb des Körpers aufbereitet oder verändert und anschließend demselben Patienten wieder zurückgegeben werden. Bei allogenen Therapien dienen hingegen Spenderzellen als Basis für das Medikament, mit denen dann mehrere genetisch passende Patienten behandelt werden können. Logistisch gesehen ist der erste Ansatz transportlastig, sprich das Material muss vom Patienten zum Hersteller und zurück. Hier wird nur kurz zwischengelagert. Im zweiten Fall spielt die Lagerung eine größere Rolle. In beiden Fällen braucht es aber jeweils Tiefsttemperaturen von minus 196 Grad Celsius. Das bekommt man nur über Kryokonservierung mit flüssigem Stickstoff hin. Bis wann könnte das im größeren Stil kommen? Das weiß ich nicht. Das hängt unter anderem vom Forschungserfolg und der gesellschaftlichen Zahlungsbereitschaft ab, denn die Therapien versprechen zwar schwerste Krankheiten zu heilen, sind aber auch sehr, sehr teuer. Was ich sagen kann, ist, dass es neben einigen zugelassenen Therapien immer mehr klinische Studien gibt. Ob und wann das Ganze ein großer Wachstumsmarkt wird, wird man sehen. Wir bleiben auf jeden Fall an dem Thema dran und glauben daran, dass es ein großes Thema wird. Bis wann werden Sie Ihren Umsatz von heute verdoppelt haben? Wir nehmen uns in den kommenden Jahren jährlich rund zehn bis 15 Prozent Umsatzwachstum vor. Sprich: In fünf Jahren wollen wir eine Umsatzverdopplung durchaus schaffen - organisch. Akquisitionen würden das Wachstum beschleunigen. Kurz gesagt: Wenn es so kommt, wachsen wir wie in der Vergangenheit doppelt so schnell wie der Markt, der Studien zufolge jährlich um 5,8 bis sechs Prozent wächst - zumindest in den Segmenten, in denen Arvato Healthcare tätig ist. Das Marktwachstum wird dabei durch weiteres Outsourcing gestützt. Was ist der wichtigste Logistiktrend, auf den Sie sich einstellen? Der bedeutendste Trend in der Logistik - insbesondere in der Healthcare-Logistik - ist der zunehmende Einsatz neuer Technologien. Dazu gehören Automatisierungslösungen ebenso wie künstliche Intelligenz. Die Anforderungen unterscheiden sich dabei je nach Segment deutlich: In der Medizintechnik führen komplexe Produkte, ein oft breites und tiefes Sortiment, spezifische Prozessanforderungen und zahlreiche Zusatzservices zu besonders anspruchsvollen Logistikprozessen und entsprechenden Automatisierungslösungen. Im Pharmabereich hingegen steht die Sicherstellung der Produktintegrität - insbesondere im Hinblick auf Temperaturführung - im Fokus. Dies bringt einen hohen administrativen Aufwand mit sich, der sich durch den Einsatz digitaler, KI-gestützter und automatisierter Lösungen reduzieren lässt. Darüber hinaus wächst die Nachfrage nach global integrierten Lösungen. Entscheidend ist dabei weniger eine physische Zentralisierung, sondern vielmehr das ganzheitliche Management aller Prozesse aus einer Hand - idealerweise auf einer einheitlichen IT-Plattform. In Zeiten, in denen dezentrale Lagerstrukturen wieder stärker in den Fokus rücken, bietet dieser Ansatz klare Vorteile: Neben niedrigeren Transportkosten, reduzierten Emissionen und kürzeren Lieferzeiten wird auch die Resilienz der Lieferkette erhöht.