Stuttgart. Trotz des guten Wahlergebnisses für Winfried Kretschmann und des reibungslosen Starts für Deutschlands erste grün-rote Landesregierung: Der Streit um das Milliarden-Bahnprojekt bleibt als Stolperstein auf der Wegstrecke der neuen Regierung von Baden-Württemberg liegen.
Der neue Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) löste mit seiner Ankündigung in der tageszeitung (Donnerstag), er wolle nicht für den Weiterbau von Stuttgart 21 verantwortlich sein, Ärger beim Koalitionspartner SPD aus. Vize-Regierungschef Nils Schmid (SPD) sagte dazu der dpa: „Die Regierung baut gemeinsam, wenn der Ausstieg in der Volksabstimmung keine Mehrheit findet." Bei dem Projekt trügen Grüne und SPD eine gemeinsame Verantwortung. Sie müssten das Projekt auch gemeinsam rückabwickeln, wenn die Bürger mehrheitlich für den Ausstieg seien. „Da kann man jetzt nicht mit Rosinenpickerei anfangen", sagte der neue Finanz- und Wirtschaftsminister.
Kretschmann, der knapp sieben Wochen nach der Landtagswahl mit mehr Stimmen als seine Koalition Mandate hat, zum ersten grünen Ministerpräsidenten Deutschlands gewählt worden war, äußerte Verständnis für Hermanns Äußerungen. Er sagte am Donnerstagabend im SWR zwar zu dessen Aussage: „Sie hat mich überrascht." Doch es sei durchaus vorstellbar, dass Stuttgart 21, sollte das Projekt entgegen den grünen Hoffnungen verwirklicht werden, in ein anderes Ressort wechsle. „Es ist ja besser, es macht dann jemand, der davon auch überzeugt ist (...)", betonte der 62-Jährige.
Eine Atempause könnte die Bahn der neuen Regierung nach einem Bericht der Stuttgarter Nachrichten (Freitag) geben: Die Deutsche Bahn wolle den momentanen Bau- und Vergabestopp bis zur ersten Sitzung des Lenkungskreises von Stuttgart 21 verlängern, berichtete das Blatt unter Berufung auf das Umfeld des Konzerns. „Das soll ein klares Zeichen sein, dass wir keine Provokation wollen", zitierte es einen Vertrauten von DB-Chef Rüdiger Grube.
Auch die Industriepolitik könnte für weitere Diskussionen zwischen Grün und Rot sorgen. Schmid sagte in einem Interview mit dem Handelsblatt (Freitag), er wolle dafür sorgen, dass die Autoindustrie prosperiere. „Ich werde ein waches Auge drauf haben, dass die industrielle Basis unseres Landes eine gute Zukunft hat", sagte Schmid. Ein Strukturwandel könne auch bei der Autoindustrie nur gemeinsam mit den Unternehmen geschafft werden. Er erklärte zudem:
„Die Grundlage der Regierung ist der Koalitionsvertrag. Da steht nicht drin, dass wir weniger Autos haben wollen, sondern andere."
Ministerpräsident Kretschmann hatte in der ZDF-Sendung „Was nun, Herr Kretschmann?" erklärt, er würde seine Forderung an die Autobranche, weniger Autos zu produzieren, selbstverständlich wiederholen. „Sollen wir denn weiter in Staus ersticken?", fragte Kretschmann.
Die Südwest-CDU will sich derweil nach dem Ende der gemeinsamen Regierung aus der „babylonischen Gefangenschaft" mit der FDP befreien. Das sagte Landtagsfraktionschef Peter Hauk der Financial Times Deutschland (Freitag). Mit den Liberalen gebe es gemeinsame Positionen in der Wirtschaftspolitik, doch: „In der Gesundheits- und Sozialpolitik haben wir mehr Übereinstimmungen mit den Sozialdemokraten", sagte Hauk. Und er sehe auch Chancen für die Zusammenarbeit mit der neuen Ministerpräsidenten-Partei nach dem beschleunigten Atomausstieg: „Entscheidend sind die tatsächlichen Schnittmengen und nicht irgendwelche Farbenlehren", so der CDU-Politiker. (dpa)