Falsche Bonitätsauskünfte

Falsche Bonitätsauskünfte Hopp oder Top? Wenn Schufa und Co. das Geschäft gefährden Wirtschaftsauskunfteien sollen eigentlich überprüfen, wie flüssig potenzielle Vertragspartner sind und so das Risiko bei Neugeschäften minimieren. Erteilen die Datensammler aber falsche Bonitätsauskünfte, kann dieser Service nach hinten losgehen. Mangelhaft: Die vernichtende Bonitätsauskunft einer Wirtschaftsauskunftei hat eine mittelständische Spedition in Hamburg vor wenigen Jahren über 20 neue Geschäftsbeziehungen gekostet. Das Tragische daran: Die Angaben der Datensammler stimmten nicht. Von der falschen Bewertung erfuhr die Spedition zufällig durch einen Auftraggeber, der von seiner Bank veranlasst worden war, eine Bonitätsauskunft über seine Geschäftspartner einzuholen. „In der Regel erfährt ein Unternehmen, über das falsche Bonitätsauskünfte kursieren, das gar nicht“, sagt Wolfgang Scheer. Der Rechtsanwalt der Kanzlei Scheer und Hartmann in Hamburg betreut vor allem Transportunternehmen und deren Versicherer. Bei Rechtsstreitigkeiten vertritt er auch die besagte Spedition, die namentlich nicht genannt werden möchte. Bonitätsauskünfte sind Werturteile Es kommt immer wieder vor, dass Wirtschaftsauskunfteien mit einer Einschätzung danebenliegen. Welche Folgen das haben kann, zeigt das Beispiel des Bundesverbandes Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL): Dessen Hauptgeschäftsführer Karlheinz Schmidt war vor einiger Zeit Opfer einer Namensverwechslung, die zu einer sofortigen Kürzung des Kontokorrents einer bekannten Direktbank führte. „Die Falschinformation konnte nur über Umwege auf ihren Ursprung hin verfolgt und korrigiert werden“, sagt Schmidt. Deshalb sei es enorm wichtig zu wissen, was Wirtschaftsauskunfteien über Unternehmen und handelnde Personen gespeichert haben, um gegebenenfalls auf die Korrektur falscher Einträge zu bestehen. Die Eigenrecherche sei zwar aufwendig, aber die Mühe wert: „Das Bestehen der Firma kann davon abhängen“, betont der BGL-Hauptgeschäftsführer. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt es sich bei einer Bonitätsauskunft um ein Werturteil (Aktenzeichen: VI ZR 120/10). Dessen Verbreitung ist vom Betroffenen grundsätzlich hinzunehmen, wenn es auf zutreffenden und für die Ermittlung eines individuellen Bonitätsurteils über den Geschäftsbetrieb des Unternehmens relevanten Tatsachen beruht, und diese nachvollziehbar und sachkundig die erteilte Auskunft objektiv rechtfertigen. „In vielen Fällen beruhen die herausgegebenen Bewertungen aber nahezu ausschließlich auf einem gemeldeten Zahlungsverhalten des Betroffenen oder auf rein statistisch ermittelten Branchenzahlen – auch wenn dessen tatsächliche Umsätze und Gewinne erheblich höher sind“, moniert Scheer. So auch im Fall der Hamburger Spedition: Die Wirtschaftsauskunftei stützte ihre negative Bonitätsauskunft über das Unternehmen überwiegend auf das angeblich schleppende Zahlungsverhalten und auf Durchschnittswerte zum Umsatz vergleichbarer Unternehmen in der Speditionsbranche. „Es gibt aber viele weitere Faktoren, die berücksichtigt und gewichtet werden müssten, wenn man eine korrekte Bonitätsauskunft geben wollte“, unterstreicht Scheer. Zudem habe die Wirtschaftsauskunftei zu keiner Zeit offengelegt, welche Bonitätsmerkmale sie ermittelt und nach welchen Bewertungskriterien sie diese gewichtet und in ihre Einschätzung einfließen lässt. Die in Verruf geratene Spedition nahm die Wirtschaftsauskunftei deshalb vor Gericht zunächst per einstweiliger Verfügung auf Unterlassung und später per Klage auch auf Schadenersatz in Anspruch. Das Hanseatische Oberlandesgericht bestätigte jetzt, dass die Bonitätsbewertung der beklagten Wirtschaftsauskunftei nicht auf einer zutreffenden und tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und sprach dem Kläger daraufhin sowohl einen Unterlassungs- als auch einen Schadenersatzanspruch zu. Nach Ansicht der Richter rechtfertigte allein das tatsächliche oder angebliche Zahlungsverhalten eines Unternehmers nicht, die Kreditwürdigkeit seines Geschäftsbetriebes insgesamt als mangelhaft zu bewerten. Kleinen Unternehmen droht Gefahr Falsche Bonitätsbewertungen drohen nach Ansicht von Scheer vor allem kleineren Personengesellschaften und reinen Gewerbetreibenden, die Bilanzen weder erstellen noch veröffentlichen müssen. „Hier haben die Wirtschaftsauskunfteien keine Möglichkeit, an zuverlässige Daten zu Umsatz, Gewinn und so weiter heranzukommen – allenfalls müssen sie auf eine Selbstauskunft des Unternehmens hoffen“, sagt der Rechtsanwalt. Deshalb könnten sie nur mit branchentypischen Durchschnittswerten arbeiten. Dabei ist es laut Scheer häufig völlig unerheblich, ob ein Spediteur in Wirklichkeit ein gesundes Unternehmen leitet und bestimmte Rechnungen bewusst nicht begleicht, weil sie unbegründet sind. „In unserem Fall war es zum Beispiel so, dass der Mandant die Rechnungen einiger Auftraggeber auf meine Empfehlung nicht bezahlt hat, weil er gegen diese Unternehmen selbst fällige Gegenforderungen hatte“, erklärt er. Von Scheer wegen falscher Bonitätsbewertungen vor Gericht in Anspruch genommene Auskunfteien haben sich mitunter beschwert, dass Unternehmen ihnen keine Auskünfte über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse erteilt haben. „Sie vertraten ernsthaft die Auffassung, unsere Mandanten seien verpflichtet, ihnen Auskünfte zu erteilen, damit sie in der Lage sind, zutreffende Bonitätsauskünfte zu verkaufen“, erzählt der Jurist. Eine Auskunftspflicht bestünde aber nicht. Lediglich Kapitalgesellschaften (AG, GmbH, KGaA) und bestimmte Personengesellschaften (GmbH & Co KG) sind gesetzlich verpflichtet, Bilanzen zu erstellen und zu veröffentlichen. Diese sind dann für alle im Bundesanzeiger einsehbar. Berechnungsmethode ist umstritten In der Kritik steht vor allem das Scoring der Auskunfteien – ein mathematisch-statistisches Verfahren, das zur Ermittlung der Zahlungsmoral von Firmen und Verbrauchern dient. Seit 2010 können natürliche Personen bei Schufa und Co. laut dem Bundesdatenschutzgesetz einmal pro Kalenderjahr formlos schriftlich eine Gratisauskunft anfordern. Der angeschriebene Datensammler muss dann offenlegen, welche Werte in den letzten zwölf Monaten berechnet wurden und wo die gespeicherten Daten dafür herkamen. Unter diese Regelung könnten auch Freiberufler und Kleingewerbetreibende wie Einzelunternehmer fallen, die mit ihrem Privatvermögen haften, vermutet Scheer. Juristische Personen haben zwar keinen gesetzlichen Auskunftsanspruch, dennoch gewähren einige Wirtschaftsauskunfteien ihnen einen kostenlosen Einblick in die über sie gespeicherten Daten, um Fehler zu reduzieren. Einer der größten Anbieter ist Creditreform. Die Unternehmensgruppe erteilt in der Stunde rund 7000 Wirtschaftsauskünfte. Die Finanzlage von Unternehmen und auch Branchen soll der sogenannte Bonitätsindex veranschaulichen. Er berücksichtigt 15 bonitätsrelevante Merkmale zur wirtschaftlichen Situation eines Unternehmens oder einer Branche und kann Werte zwischen 100 und 600 annehmen. Dabei steht ein hoher Indexwert für schlechtere Zahlungsmoral (siehe Kasten auf Seite 66). Der durchschnittliche Bonitätsindex für alle von Creditreform erfassten deutschen Unternehmen lag im ersten Quartal dieses Jahres bei 263 Punkten. Die Bonitätsnoten in den einzelnen Wirtschaftszweigen unterschieden sich zum Teil deutlich voneinander – die schlechtesten Bewertungen erhielten Unternehmen aus dem Verkehrs- und Logistiksektor (267 Punkte). Für alle Beteiligten geht es um viel Geld Kein Wunder also, dass sich Industrie- und Handelsunternehmen absichern, bevor sie erstmals Aufträge erteilen. „Alle unsere Mitgliedsunternehmen holen bei der Anbahnung einer neuen Geschäftsbeziehung zunächst Bonitätsauskünfte über die möglichen Partner ein“, sagt Gunnar Gburek, Bereichsleiter Logistik beim Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik. „Je enger man sich an einen Geschäftspartner bindet, desto genauer nimmt man ihn unter die Lupe.“ Das beruhe auf Gegenseitigkeit, auch Transport- und Logistikunternehmer prüften, mit wem sie es zu tun haben. „Beide Seiten investieren schließlich allerhand und haben viel zu verlieren, wenn die Zusammenarbeit nicht funktioniert“, erklärt Gburek. Zum Beispiel, weil der Dienstleister, der die Kontraktlogistik neu übernommen hat, schon nach drei Monaten in Konkurs geht. Von den 8500 Einzel- und Firmenmitgliedern des BME hat Gburek bislang nicht von Problemen bei Bonitätsauskünften erfahren. „Ich glaube nicht, dass ein Einkäufer wegen einer negativen Bonitätsauskunft sofort den bestehenden Vertrag mit dem Dienstleister infrage stellt“, beruhigt er. Im Zweifel hole er sich eine zweite Auskunft ein oder suche das Gespräch mit der Firma, sagt der Logistikexperte des BME. Anders verhalte es sich bei Ausschreibungen: „Wenn ein Unternehmen eine schlechte Bewertung hat, wird es schwer“, betont Gburek. Er schränkt aber ein: „Wer sich die Mühe gemacht hat, drei Transporteure in die engere Auswahl zu fassen, wird das Angebot des Dienstleisters mit einer vermeintlich negativen Bonität sicherlich nicht gleich vom Tisch wischen.“ Die eingangs erwähnte Spedition in Hamburg dürfte solche Ansagen wenig trösten. Der Ruf des etablierten Unternehmens ist angekratzt. Schmerzensgeld wegen der nicht zustande gekommenen Geschäfte hat es bisher auch nicht erhalten. „Es lässt sich schwer nachweisen, ob die Unternehmen, die sich bei der Wirtschaftsauskunftei nach der Bonität erkundigt haben, bei anderer Auskunft meinen Mandanten beauftragt hätten, wie viele Aufträge sie über wie viele Jahre vergeben hätten und wie hoch der entgangene Gesamtgewinn meines Mandanten gewesen wäre“, erklärt Scheer. ❙❚■ André Gieße Wirtschaftsauskunfteien wie Schufa, Creditreform oder Bürgel benoten die Zahlungsmoral von Firmen So berechnet Creditreform die Bonität von Unternehmen Wer beabsichtigt, eine neue Geschäftsverbindung einzugehen, möchte eventuelle Geschäftspartner möglichst gut einschätzen können und vorab wissen, ob sie ihren Verpflichtungen nachkommen können. Creditreform bietet die Möglichkeit, Unternehmen in Bezug auf ihre Finanzsituation zu überprüfen. Veranschaulichen soll diese der sogenannte Bonitätsindex. Er berücksichtigt eine Vielzahl von Informationen. Sie reichen von der Rechtsform und der Branchenzugehörigkeit über die Unternehmensentwicklung, die Auftragslage und die Mitarbeiterzahl bis hin zu wichtigen Bilanzkennzahlen und dem Zahlungsverhalten. Alle bonitätsrelevanten Merkmale werden im Rahmen einer qualitativen und quantitativen Analyse einzeln bewertet und zu einer dreistelligen Gesamtnote verdichtet. Diese kann einen Wert von 100 bis 600 annehmen. Das entspricht dem Spektrum zwischen einer ausgezeichneten Bonität und dem Ausfall einer Forderung. ag Benotungsverfahren Falsche Bonitätsauskünfte Falsche Bonitätsauskünfte „Man muss sich dagegen wehren“ Rechtsanwalt Wolfgang Scheer hat erfolgreich gegen eine falsche Bonitätsauskunft über eine mittelständische Spedition geklagt. Wodurch lässt sich verhindern, dass falsche Bonitätsauskünfte über ein Unternehmen in Umlauf kommen? Wolfgang Scheer: Dem Risiko, dass über das eigene Unternehmen falsche Bonitätsauskünfte erteilt und in Umlauf gebracht werden, ist im Prinzip jeder ausgeliefert. Es ist deshalb besonders wichtig, dass sich die Auskunfteien ihrer großen Verantwortung bewusst sind. Einerseits gegenüber dem Unternehmen, über das sie eine Auskunft erteilen, und das sie durch eine falsche negative Bewertung in den Ruin treiben können, andererseits gegenüber dem nachfragenden Unternehmen, das im Vertrauen auf die Richtigkeit der Bonitätsauskunft folgenschwere Entscheidungen treffen könnte. Wie kann man sich wehren, wenn die Angaben der Wirtschaftsauskunftei nicht stimmen? Diverse Wirtschaftsauskunfteien verkaufen für teures Geld Bonitätsauskünfte, die nicht sauber recherchiert und unsolide sind. Da es keinen vorbeugenden Schutz gegen solche Bonitätsauskünfte gibt, wird man diese Auskunfteien wohl nur durch massenweise gerichtliche Verbote zu einer Änderung ihrer Geschäftspolitik bewegen können. Wer schnell auf eine Falschauskunft reagieren will, sollte die entsprechende Auskunftei auf Unterlassung in Anspruch nehmen. Erst außergerichtlich – und wenn das nicht innerhalb von ein bis zwei Tagen klappt, per einstweiliger Verfügung. Anschließend sollte man auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Schadenersatz klagen. Auf welche Gesetze kann man sich bei einer solchen Klage berufen? Die Erteilung und Verbreitung negativer Bonitätsauskünfte, die nicht auf sorgfältig recherchierten und bewerteten Individualdaten des bewerteten Unternehmens beruhen, stellen einen rechtswidrigen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des bewerteten Unternehmens dar. Ein solcher Eingriff begründet Unterlassungs- und Schadenersatzansprüche des betroffenen Unternehmens gemäß den Paragrafen 823, 1004 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). ag Interview Wolfgang Scheer